VwGH 2011/23/0670

VwGH2011/23/067024.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des IS, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Maria-Theresia-Straße 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 22. November 2007, Zl. St 338/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, reiste im Alter von 12 Jahren im April 1993 gemeinsam mit seiner Mutter, seiner Schwester und seiner Halbschwester nach Österreich ein, wo sich bereits sein Vater aufhielt. Am 16. November 1993 wurde ihm erstmals ein Aufenthaltstitel erteilt, der in weiterer Folge laufend verlängert wurde.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Braunau am Inn vom 26. August 2004 wurde ein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung nach Zahlung einer Geldbuße (in Höhe von EUR 350,--) sowie Nachweis der erfolgten Schadensgutmachung (in Höhe von insgesamt EUR 300,--) endgültig eingestellt.

Mit Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 21. September 2005 wurde der Beschwerdeführer wegen der Verbrechen der Geldfälschung nach § 232 Abs. 1 StGB und des teils versuchten, teils vollendeten schweren gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und 2, 130 zweiter Fall, § 15 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten rechtskräftig verurteilt. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer im November 2004 mit mehreren Mittätern - durch das Kopieren von insgesamt EUR 4.000,-- Banknoten mit einem Farbkopierer - Geld mit dem Vorsatz nachgemacht, es als echt und unverfälscht in Verkehr zu bringen. Weiters habe der Beschwerdeführer mit mehreren Mittätern im Zeitraum von Oktober bis November 2004 zahlreiche Einbrüche verübt und dabei Dritten fremde bewegliche Sachen in einem EUR 3.000,-- übersteigenden Wert mit dem Vorsatz weggenommen bzw. wegzunehmen versucht, sich durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei die Täter in der Absicht gehandelt hätten, sich durch wiederkehrende Begehung von Einbruchsdiebstählen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.

Im Hinblick darauf erließ die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn mit Bescheid vom 22. November 2005 gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 36 Abs. 1 Z 1 und 2 und Abs. 2 Z 1 des Fremdengesetzes 1997 (FrG).

Mit Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 24. Mai 2006 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall des Suchtmittelgesetzes (SMG) und des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 zweiter und dritter Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht betreffend die Verurteilung vom 21. September 2005 wurde abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer wiederholt Suchtgift, nämlich Heroin, im Zeitraum von Juni 2005 bis Jänner 2006 erworben und besessen sowie im Sommer 2005 in zumindest einfach großer Menge (§ 28 Abs. 6 SMG) von Deutschland aus- und nach Österreich eingeführt.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Braunau am Inn vom 21. November 2006 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster, zweiter und sechster Fall SMG rechtskräftig verurteilt, wobei gemäß den §§ 31, 40 StGB von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen wurde. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer im Zeitraum von Jänner 2003 bis Dezember 2004 Suchtgift, nämlich zumindest 5,5 g Heroin, für den Eigenkonsum erworben und besessen bzw. zumindest 0,2 g Heroin an einen Dritten weitergegeben.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. November 2007 gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 22. November 2005 keine Folge und bestätigte diesen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG).

Nach der teilweisen Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides und der Berufung wies die belangte Behörde auf die nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides ergangenen Verurteilungen hin, hinsichtlich derer dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden sei. Daran anschließend stellte sie fest, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG angesichts der mehrmaligen rechtskräftigen Verurteilungen erfüllt sei.

Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei auch im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG dringend erforderlich, da eine gerichtliche Verurteilung nicht ausgereicht habe, um den Beschwerdeführer "auf den Weg der Tugend und Rechtstreue zurückzuführen". Weiters verwies die belangte Behörde auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität und die damit verbundene große Wiederholungsgefahr. In Ansehung seiner persönlichen Situation stellte die belangte Behörde fest, dass sich der Beschwerdeführer bereits seit seinem 12. Lebensjahr in Österreich aufhalte, er hier eine Schulbildung absolviert habe, diversen Beschäftigungen nachgegangen sei und seine gesamte Familie in Österreich aufhältig sei. Dennoch würden - im Hinblick auf das gravierende strafrechtliche Verhalten und die negative Zukunftsprognose - die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer wiegen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Aus diesen Gründen habe eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht unter Heranziehung des der Behörde zustehenden Ermessens erfolgen können.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 5. März 2008, B 50/08-5, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 24. April 2008 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im November 2007 geltende Fassung.

Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache (u.a.) zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.

Im Hinblick auf die dargestellte Verurteilung vom 29. September 2005 ist die Ansicht der belangten Behörde, der wiedergegebene Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG sei erfüllt, nicht als rechtswidrig zu erkennen. Das diesen Verurteilungen zugrunde liegende Fehlverhalten rechtfertigt auch die Annahme, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde bzw. anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Interessen zuwiderlaufe. Die belangte Behörde hat zutreffend auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität und die damit einhergehende große Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hingewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits mehrfach festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstelle, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben sei und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse bestehe (vgl. das Erkenntnis vom 29. März 2012, Zl. 2011/23/0662).

Wenn der Beschwerdeführer vorbringt, er sei nicht rechtskräftig wegen eines Drogendeliktes verurteilt worden, und lediglich auf seinen (nach einer Therapie der Vergangenheit angehörenden) Drogenkonsum verweist, so ist dem die im angefochtenen Bescheid dargestellte Verurteilung nach dem SMG aus dem Jahr 2006 entgegenzuhalten. Das diesbezüglich einschlägige Fehlverhalten des Beschwerdeführers hat sich über einen langen Zeitraum, nämlich (mit Unterbrechung) von Jänner 2003 bis Jänner 2006, erstreckt und es hat sich nicht bloß auf den Erwerb und Besitz von Heroin beschränkt, sondern auch die Aus- und Einfuhr bzw. - zumindest einmalig - die Weitergabe erfasst. Hinzu kommt, dass sich der Beschwerdeführer auch von der ersten Verurteilung im September 2005 wegen Geldfälschung und Einbruchsdiebstahl nicht davon hat abhalten lassen, innerhalb offener Probezeit und trotz des erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotes weitere Straftaten zu begehen. Schließlich manifestiert sich auch in den von der belangten Behörde näher dargestellten, insgesamt neun - wenn auch teilweise nur versuchten - Einbruchsdiebstählen, die der ersten Verurteilung zugrunde lagen, ein nicht unbeträchtliches kriminelles Potential des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, dass seine Zukunftsprognose durchaus positiv erfolgen könne, zumal er sich "seit 2005 nicht mehr straffällig verhalten" und sich zur Gänze von seiner Drogenabhängigkeit gelöst habe.

Dem ist entgegenzuhalten, dass gemäß der Verurteilung vom 24. Mai 2006 das strafbare Verhalten im Zusammenhang mit dem Erwerb und dem Besitz von Heroin bis zum Jänner 2006 andauerte. Davon ausgehend ist die Zeit des Wohlverhaltens bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides im November 2007 aber zu kurz, um einen Wegfall oder eine erhebliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefährdung annehmen zu können.

Ungeachtet seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet ist der Aufenthaltsverbot-Verbotstatbestand des § 61 Z 3 FPG nicht erfüllt, weil der Beschwerdeführer im April 1993 nach Österreich eingereist war und das strafbare Verhalten, das der letzten Verurteilung (vom 21. November 2006) zugrunde lag und das von der belangten Behörde zulässig auch zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogen wurde, im Jänner 2003 begonnen hatte.

Nach § 60 Abs. 6 FPG gilt § 66 FPG auch für Aufenthaltsverbote. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, mit dem in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, ist daher nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Es darf jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthalts und das Ausmaß der Integration des Fremden und seiner Familienangehörigen sowie auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.

Der Beschwerdeführer wendet sich insbesondere gegen die von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung. Er verweist diesbezüglich auf seinen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet, seine in Österreich absolvierte Schulbildung, sein aufrechtes Beschäftigungsverhältnis sowie auf den Umstand, dass seine gesamte Familie in Österreich aufhältig sei. Diese Umstände wurden von der belangten Behörde aber ohnehin ausreichend in ihre Interessenabwägung einbezogen. Dem Interesse des volljährigen und ledigen Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht aber das große öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten der vorliegenden Art in zumindest gleich hohem Gewicht gegenüber. An dieser Einschätzung vermögen auch fehlende Bindungen zum Herkunftsland des Beschwerdeführers nichts zu ändern. Schwierigkeiten, die bei einer Rückkehr dorthin auftreten können, sind vom Beschwerdeführer im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen. Die von der belangten Behörde im Ergebnis vertretene Auffassung, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung, ist somit nicht als rechtswidrig zu erkennen.

Wenn der Beschwerdeführer darauf verweist, dass seine Eltern krank seien und insbesondere seine Mutter auf seine Hilfestellung dringend angewiesen sei, so handelt es sich dabei um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung (§ 41 Abs. 1 VwGG). Gleiches gilt für das Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei mittlerweile staatenlos, sowie für seinen Verweis auf die Schreiben seines Bewährungshelfers vom 9. Jänner 2008 bzw. vom 3. März 2009.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. April 2012

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