VwGH 2011/23/0396

VwGH2011/23/039631.5.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der D in W, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. November 2008, Zl. E1/127.303/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine 1983 in Wien geborene serbische Staatsangehörige, wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. November 2007 wegen der Vergehen nach § 28 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten rechtskräftig verurteilt, weil sie am 5. April 2007 mit einem Mittäter 43g Heroin - somit eine große Menge Suchtgift (§ 28 Abs. 6 SMG) - mit dem Vorsatz besessen hatte, dass es in Verkehr gesetzt werde, und darüber hinaus von November 2006 bis zum 5. April 2007 Heroin zum Eigenkonsum erworben und besessen hatte.

Zuletzt verfügte die Beschwerdeführerin über eine bis 25. Juni 2008 gültige Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Angehöriger".

Im Hinblick auf die eingangs dargestellte Verurteilung erließ die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 25. Februar 2008 gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Die belangte Behörde gab der dagegen erhobenen Berufung mit dem angefochtenen Bescheid vom 18. November 2008 nur insoweit Folge, als das Aufenthaltsverbot mit fünf Jahren befristet wurde. Begründend führte sie zusammengefasst aus, dass auf Grund der Verurteilung der Beschwerdeführerin, die ab 20. Februar 2002 über Niederlassungsbewilligungen verfügt habe, der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei. Angesichts des dieser Verurteilung zu Grunde liegenden Fehlverhaltens und wegen der der Suchtgiftkriminalität innewohnenden Wiederholungsgefahr lägen - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG - auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 FPG vor.

Die Beschwerdeführerin habe geltend gemacht, seit der Scheidung ihrer Eltern bis 2002 (teilweise) in Serbien bei ihren Großeltern gelebt und dort die Schule besucht und abgeschlossen zu haben. Nun lebe ihre gesamte Familie einschließlich ihrer leiblichen Mutter in Wien, während sich in Serbien keine Familienmitglieder mehr befänden. Sie sei - so stellte die belangte Behörde fest - vom 19. November 2003 bis 30. Juni 2005 als Arbeiterin beschäftigt gewesen und seit 20. Juli 2005 selbst krankenversichert. Im Bundesgebiet sei sie vom 9. Jänner 1984 bis 23. April 1985, in der Folge immer wieder während der Sommermonate, sodann mit Unterbrechungen seit 11. Dezember 1998 und seit 9. Oktober 2002 durchgehend mit Hauptwohnsitz gemeldet (gewesen). Die Beschwerdeführerin leide an einer medikamentös behandelten und mittels EEG zu kontrollierenden Epilepsie. Sowohl die erforderlichen Medikamente als auch die Untersuchungsmethode seien in Serbien verfügbar. Laut dem Gutachten des Polizeichefarztes der Bundespolizeidirektion Wien sei etwa vier Wochen nach dem an ihr ab 6. Februar 2008 stationär durchgeführten, relativ kleinen operativen Eingriff wegen Condylomen eine Abschiebung wieder möglich. Es lägen damit keine Krankheiten vor, die nicht auch im Heimatland behandelt werden könnten.

Angesichts dieser Umstände ging die belangte Behörde von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführerin aus. Dessen ungeachtet sei diese Maßnahme im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität zur Erreichung im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannter Ziele, nämlich zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit Dritter, dringend geboten und daher nach § 66 FPG zulässig. Eine Interessenabwägung falle zu Ungunsten der Beschwerdeführerin aus, würden doch ihre persönlichen Interessen im Hinblick darauf, dass die für das Ausmaß jeglicher Integration wesentliche soziale Komponente durch ihr strafbares Verhalten deutlich beeinträchtigt werde, eine weitere Minderung erfahren. Ihre privaten Interessen müssten daher gegenüber dem hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität in den Hintergrund treten. So sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Erlassung eines Aufenthaltsverbots im Zusammenhang mit Suchtgiftdelikten auch bei ansonsten völliger sozialer Integration eines Fremden nicht rechtswidrig. Da auch keine besonderen, zu Gunsten der Beschwerdeführerin sprechenden Umstände gegeben seien, könne auch nicht im Rahmen des Ermessens von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand genommen werden.

Zur Dauer des Aufenthaltsverbots führte die belangte Behörde aus, dass auf das konkret gesetzte Fehlverhalten und die daraus resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen sowie die privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen sei. In Anbetracht des Gesamtfehlverhaltens der Beschwerdeführerin sei selbst unter Bedachtnahme auf ihre private Situation ein Wegfall der für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Gründe, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch ihren Aufenthalt im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des nunmehr (mit fünf Jahren) festgesetzten Zeitraums zu erwarten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (November 2008) geltende Fassung.

Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme iSd Abs. 1 rechtfertigende Tatsache u.a. zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden ist.

Auf Grundlage der festgestellten rechtskräftigen Verurteilung ist die - in der Beschwerde auch nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG sei erfüllt, nicht als rechtswidrig zu erkennen.

Die Beschwerdeführerin verweist allerdings auf ihre bloß einmalige Verurteilung. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz jedoch bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist, und an deren Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. März 2012, Zl. 2011/23/0662, mwN). Eine Wiederholungsgefahr ist im konkreten Fall schon auf Grund des Umstands, dass die Beschwerdeführerin selbst dem Suchtmittelmissbrauch ergeben war, nicht auszuschließen. Es ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin Heroin in einem die Grenzmenge gemäß § 28 Abs. 6 SMG übersteigenden Ausmaß für den Verkauf bereitgehalten hat. Wenn die Beschwerde rügt, dass sich der angefochtene Bescheid auf die Wiedergabe der Tatsache der Verurteilung der Beschwerdeführerin beschränke, ist dieser Vorwurf unberechtigt. Die belangte Behörde hat das der Verurteilung zu Grunde liegende Fehlverhalten ausreichend dargestellt.

Angesichts dessen ist die Annahme der belangten Behörde gemäß § 60 Abs. 1 FPG, der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet gefährde sowohl die öffentliche Ordnung und Sicherheit als auch andere im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen (etwa den Schutz der Gesundheit Dritter), nicht als rechtswidrig zu erkennen. Schließlich ist auch die Zeit des Wohlverhaltens der Beschwerdeführerin bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides als zu kurz anzusehen, um einen Wegfall der von ihr ausgehenden Gefahr annehmen zu können.

Soweit die Beschwerdeführerin noch auf die Voraussetzungen zur Beschränkung der Freizügigkeit von dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden Personen verweist und dazu das Urteil des EuGH vom 27. Oktober 1977, Rs C-30/77 (Fall Bouchereau) sowie Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG über die Freizügigkeit der Unionsbürger zitiert, übersieht sie, dass sie als serbische Staatsangehörige dieser bevorzugten Personengruppe nicht angehört.

Nach § 60 Abs. 6 FPG gilt § 66 FPG auch für Aufenthaltsverbote. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots, mit dem in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen würde, ist daher nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Es darf jedenfalls dann nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthalts und das Ausmaß der Integration des Fremden und seiner Familienangehörigen sowie auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.

Die Beschwerdeführerin wendet sich auch gegen die gemäß der genannten Bestimmung vorgenommene Interessenabwägung und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass mit dem Aufenthaltsverbot ein massiver Eingriff in ihr Familienleben verbunden wäre. In Österreich lebten ihre Eltern und ihre Brüder, wobei ihre leibliche Mutter und die Ehefrau ihres Vaters österreichische Staatsbürgerinnen seien. Zwar sei sie wegen der Scheidung im Alter von eineinhalb Jahren nach Serbien gezogen, die Ferien habe sie jedoch in Österreich verbracht. Seit ihrem 16. Lebensjahr halte sie sich (beinahe) durchgehend in Österreich auf. Der Mittelpunkt ihres Lebensinteresses liege in Österreich; zu Serbien habe sie keinerlei Bezugspunkte mehr.

Mit diesen Ausführungen vermag die Beschwerde jedoch keine Umstände aufzuzeigen, welche die belangte Behörde nicht schon ausreichend berücksichtigt hätte. So ist auch die belangte Behörde von einem Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin ausgegangen, wobei jedoch die Beziehungen zu ihren Eltern und Brüdern schon im Hinblick auf die Volljährigkeit der Beteiligten zu relativieren sind. Soweit die Beschwerde fehlende Feststellungen in diesem Zusammenhang rügt, zeigt sie keine konkreten weiteren Umstände auf, die eine positive Interessenabwägung zu Gunsten der Beschwerdeführerin ermöglicht hätten. Die Relevanz eines allfälligen Feststellungsmangels wird daher nicht dargelegt. Nachdem die Beschwerde die von der belangten Behörde festgestellten Meldezeiten als Anwesenheitszeiten der Beschwerdeführerin zugesteht, ergibt sich schon daraus keineswegs die in der Beschwerde behauptete durchgehende Aufenthaltsdauer von rund zehn Jahren (seit dem 16. Lebensjahr der Beschwerdeführerin), sondern von lediglich etwa sechs Jahren bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides. Auch die Beschäftigung durch etwas mehr als 18 Monate wurde bereits von der belangten Behörde berücksichtigt. Diese endete jedoch bereits im Juli 2005. Auch insoweit vermag die Beschwerde eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt nicht aufzuzeigen. Schließlich ist es für das Vorliegen einer Integration auf Grund der Aufenthaltsdauer ohne Belang, aus welchen Gründen der Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich nur eine bestimmte Dauer aufweist.

Die belangte Behörde hat jedoch den Interessen der Beschwerdeführerin zu Recht die große Gefährdung der öffentlichen Interessen gegenübergestellt, die aus dem von der Beschwerdeführerin in Bezug auf eine große Suchtgiftmenge gesetzten strafbaren Verhalten resultiert. Im Hinblick auf das beträchtliche öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität erweist sich die Ansicht der belangten Behörde, dass das gegen die Beschwerdeführerin verhängte Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten sei und die persönlichen Interessen die gegenläufigen öffentlichen Interessen nicht überwiegen, sodass die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 66 FPG zulässig sei, daher nicht als rechtswidrig. An dieser Einschätzung kann auch das Vorbringen, dass die Beschwerdeführerin keinerlei Bezugspunkte zu ihrem Heimatland mehr habe, nichts ändern. Im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin ihre gesamte Schulausbildung in ihrem Heimatland absolvierte, ist ihr eine (Wieder-)Eingliederung in dessen Gesellschaft durchaus zumutbar. Allfällige Schwierigkeiten dabei hätte sie im öffentlichen Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität in Kauf zu nehmen.

Schließlich ist auch kein ausreichender Grund ersichtlich, wonach es geboten gewesen wäre, im Rahmen der Ermessensentscheidung von der Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbots Abstand zu nehmen.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 31. Mai 2012

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