Normen
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid vom 16. Jänner 2008 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine ukrainische Staatsangehörige, gemäß den §§ 87, 86 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei am 25. Dezember 2004 auf Grund eines vom 20. Dezember 2004 bis 18. Jänner 2005 gültigen Visums nach Österreich eingereist. Im Visumantrag habe sie als Reisegrund den Besuch der Cousine ihrer Mutter genannt. Nachdem sie am 11. März 2005 den um 15 Jahre jüngeren österreichischen Staatsbürger P.S. geheiratet habe, habe sie am 30. März 2005 in Wien den Erstantrag auf Ausstellung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - § 49 Abs. 1 FrG" gestellt.
Die belangte Behörde stellte in weiterer Folge die Ergebnisse der an den ehelichen Wohnadressen in Wien 20 am 21. Juli 2005 sowie in Wien 5 am 23. Februar 2006 und am 25. Juni 2007 durchgeführten Erhebungen dar. Bei der Erhebung an der Wohnadresse in Wien 20 hätten der Hausbesorger und eine weitere Hauspartei angegeben, dass die Beschwerdeführerin "nicht bekannt und im Haus noch nie gesehen worden sei". Bei der Erhebung an der Wohnadresse in Wien 5 hätte eine Hauspartei angegeben, dass die Beschwerdeführerin dort mit einem russischen oder ukrainischen Mann lebe, der Ehemann der Beschwerdeführerin wohne mit Sicherheit nicht im Haus. Gestützt auf diese Erhebungsergebnisse sowie auf die Aussagen des Ehemannes der Beschwerdeführerin bei dessen Vernehmungen am 9. Oktober 2007 und 12. November 2007 kam die belangte Behörde zu dem Ergebnis, bei der zwischen der Beschwerdeführerin und P.S. geschlossenen Ehe handle es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um eine Scheinehe.
Die Beschwerdeführerin - so die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung - habe sich erst am 27. Oktober 2004 von ihrem früheren Ehemann scheiden lassen und unverzüglich ein "Kurzzeitvisum" unter dem Vorwand eines Bekanntenbesuches besorgt. Sie habe einen Scheinehepartner in der Person des um 15 Jahre jüngeren, damals seit vielen Monaten nur von Notstandshilfe lebenden P.S. gefunden. Dessen falsche Angaben zum Geburtsdatum der Beschwerdeführerin und zum genauen Hochzeitsdatum im Rahmen der am 21. Juli 2005 an der ehelichen Wohnadresse erfolgten Erhebungen dokumentierten, dass er offensichtlich überhaupt kein Interesse an der Ehe gehabt habe. Selbst den Zeitpunkt und den Ort des ersten Kennenlernens - er habe von Ende Oktober/Anfang November 2004 in einer Diskothek in A. gesprochen - habe er völlig falsch benannt. Die Beschwerdeführerin habe hingegen angegeben, ihren Ehemann am 30. Dezember 2004 in einer Diskothek im Prater kennengelernt zu haben.
Zwischen den Eheleuten hätte es erhebliche Sprachschwierigkeiten geben müssen, zumal der Hochzeit auch ein Dolmetsch beigezogen worden sei und die Beschwerdeführerin selbst vorgebracht habe, nur "passiv" deutsch gekonnt zu haben. Unter diesen Umständen - den Verständigungsschwierigkeiten und einer maximal zehnwöchigen Bekanntschaft vor der Trauung - sei es nach den Erfahrungen des täglichen Lebens unwahrscheinlich, dass sich eine echte Liebesbeziehung habe entfalten können.
Auch die Beschwerdeführerin, die ein hohes Interesse daran habe, ihre Angaben so zu wählen, dass ihr weiterer Aufenthalt in Österreich "abgesichert" sei, erscheine unglaubwürdig. So habe sie in der Stellungnahme vom 2. März 2007 das richtige Hochzeitsdatum nicht angeben können. Ihre Aussage vom 15. November 2005, wonach sich ihr Ehemann schon seit einiger Zeit in "Jugoslawien" aufhalte, werde durch dessen Angaben, er sei noch nie in "Jugoslawien" gewesen, eindeutig widerlegt. Auch hinsichtlich der Vaterschaft des am 14. August 2007 geborenen Kindes habe die Beschwerdeführerin nachweislich nicht die Wahrheit gesagt. Sie habe nämlich am 25. Juni 2007 angegeben, den derzeitigen Aufenthalt ihres Ehemannes nicht zu kennen. Dieser sei zuletzt im Oktober 2006 bei ihr gewesen. Es stelle sich daher die Frage, wie P.S. angesichts des Geburtstermines des Kindes der Kindesvater sein könne.
Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin im Antrag vom 9. Dezember 2004 auf Ausstellung eines Visums angekreuzt, verheiratet zu sein, und angegeben, dass O.B. ihr Ehemann sei. Tatsächlich sei die Ehe mit diesem jedoch bereits am 24. Oktober 2004 geschieden worden.
Auf Grund der dargestellten Verfahrensergebnisse und der daraus abgeleiteten Erwägungen sei ausreichend klargestellt, dass die Beschwerdeführerin und P.S. eine Scheinehe geschlossen hätten und die Erstgenannte sich für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung auf diese Ehe berufen, aber mit P.S. nie ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt habe. Die Gefährdungsannahme iSd § 86 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG sei daher gerechtfertigt.
Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG führte die belangte Behörde aus, das Gewicht des etwa dreijährigen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet und der damit verbundenen Integration werde durch den Umstand, dass der Aufenthalt ab dem 19. Jänner 2005, somit seit drei Jahren unrechtmäßig sei, erheblich gemindert. Den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin, die in Wien ihr Kind geboren habe, am weiteren Aufenthalt in Österreich, stehe gegenüber, dass sie durch das rechtsmissbräuchliche Eingehen der Ehe und die Berufung darauf im Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung maßgebliche öffentliche Interessen im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK (Wahrung der öffentlichen Ordnung, "geordnete Besorgung" des Fremdenwesens) erheblich beeinträchtigt habe. Das Aufenthaltsverbot sei somit zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin würden nicht schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Da das Kind der Beschwerdeführerin erst wenige Monate alt und daher seine Integration "als praktisch nicht vorhanden" einzustufen sei, werde die Beschwerdeführerin es erforderlichenfalls in ihre Heimat mitnehmen müssen, zumal seitens des von ihr angegebenen Kindesvaters offensichtlich keine Einwände zu erwarten seien.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Jänner 2008 geltende Fassung.
1. Gegen die Beschwerdeführerin als Familienangehörige eines Österreichers im Sinn des § 87 FPG, der sein Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 FPG zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind diese Voraussetzungen gegeben, wenn ein Fremder im Sinn des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG eine Ehe geschlossen und sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 21. Juli 2011, Zl. 2008/18/0409, mwN).
2. Soweit die Beschwerde im Ergebnis (auch) die Annahme der belangten Behörde hinsichtlich des Vorliegens einer Scheinehe (Aufenthaltsehe) bekämpft, zeigt sie keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Zum einen trifft das Vorbringen, die belangte Behörde habe keine Feststellungen getroffen, dass die Beschwerdeführerin kein gemeinsames Familienleben mit ihrem Ehemann führe, nicht zu. Zum anderen tritt die Beschwerde den unter I.1. genannten, für das Vorliegen einer Aufenthaltsehe sprechenden Feststellungen - insbesondere zu den Ergebnissen der Wohnungserhebungen, zu den fehlenden bzw. unrichtigen Angaben des Hochzeitsdatums durch beide Eheleute sowie zu deren unterschiedlichen Angaben zum Zeitpunkt und Ort des Kennenlernens und zu einem angeblichen, von diesem jedoch bestrittenen Aufenthalt des Ehemannes in Jugoslawien - inhaltlich nicht entgegen.
Vor diesem Hintergrund begegnet die Beweiswürdigung der belangten Behörde im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden eingeschränkten Überprüfungsbefugnis (vgl. dazu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) keinen Bedenken.
3. Hingegen führt das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie lebe mit ihrem Sohn, der österreichischer Staatsbürger sei, zusammen und die bekämpfte Entscheidung habe auch dessen "Ausweisung" zur Folge, die Beschwerde zum Erfolg.
Bereits in ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid hatte die Beschwerdeführerin vorgebracht, dass am 14. August 2007 ihr - nach ihren Angaben der Ehe mit P.S. entstammender - Sohn geboren worden und dieser österreichischer Staatsbürger sei. Zum Beweis dafür legte sie unter anderem eine Geburtsurkunde und den Staatsbürgerschaftsnachweis ihres Sohnes vor. In der genannten Geburtsurkunde wird P.S. als Vater des Kindes angeführt.
Zwar hatte P.S. bei seinen Vernehmungen am 9. Oktober 2007 und 12. November 2007 ausgesagt, unmöglich der Vater dieses Kindes sein zu können bzw. einen Vaterschaftstest anzustreben. Die belangte Behörde traf jedoch keine Feststellungen zur Frage, ob eine Bestreitung der Ehelichkeit bzw. der Abstammung des Kindes vom Ehemann der Beschwerdeführerin erfolgt sei oder ob eine entsprechende gerichtliche Entscheidung vorliege. Ebenso wenig hat sie Feststellungen zur Frage getroffen, ob der Sohn der Beschwerdeführerin die Staatsbürgerschaft wieder verloren hat.
Vor diesem Hintergrund hat sich die belangte Behörde nur unzureichend mit den Auswirkungen der aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihres (österreichischen) Sohnes auseinandergesetzt. Ihre Darlegungen, die Beschwerdeführerin müsse ihr im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides etwa fünf Monate altes Kind "erforderlichenfalls in ihre Heimat mitnehmen", zumal seitens des angegebenen Kindesvaters offensichtlich keine Einwände zu erwarten seien, reichen nicht aus, um die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Beschwerdeführerin und ihren Sohn iSd Art. 8 EMRK beurteilen zu können (vgl. dazu die Rz 42 ff im Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 8. März 2011, C- 34/09 , Zambrano, sowie aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die noch vor dem genannten Urteil ergangenen Erkenntnisse vom 27. März 2007, Zl. 2006/21/0376, und vom 16. Juni 2011, Zl. 2007/18/0684, jeweils mwN).
4. Angesichts dessen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.
Wien, am 20. Dezember 2011
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