Normen
AVG §67d;
FrPolG 2005 §125 Abs14 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §52 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §55 Abs1 idF 2011/I/038;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
AVG §67d;
FrPolG 2005 §125 Abs14 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §52 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §55 Abs1 idF 2011/I/038;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Erstbeschwerdeführerin ist ukrainische Staatsangehörige. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, einem georgischen Staatsangehörigen, reiste sie am 2. Oktober 2003 in das Bundesgebiet ein, wo sie in der Folge - bezogen auf den Asylantrag ihres Ehemannes - einen Asylerstreckungsantrag stellte.
Im Juni 2005 bzw. im Dezember 2006 brachte die Erstbeschwerdeführerin - bereits in Österreich - den Zweitbeschwerdeführer bzw. die Drittbeschwerdeführerin zur Welt. Diese sind wie ihr Vater georgische Staatsangehörige und stellten nach ihrer Geburt gleichfalls einen Asylantrag bzw. einen Antrag auf internationalen Schutz.
Alle genannten Anträge wurden letztlich im Instanzenzug mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 10. November 2010 abgewiesen. Soweit erstinstanzlich asylrechtliche Ausweisungen erlassen worden waren, behob diese der Asylgerichtshof allerdings im Hinblick darauf, dass gegen die Erstbeschwerdeführerin eine derartige Ausweisung - es war bloß über ihren Asylerstreckungsantrag zu entscheiden - noch nicht ergangen war.
Der Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführer war während seines Aufenthalts in Österreich straffällig geworden. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (BH) erließ daher gegen ihn im Dezember 2010 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot, das der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich mit Bescheid vom 1. September 2011 mit der Maßgabe bestätigte, dass eine Rückkehrentscheidung samt fünfjährigem Einreiseverbot ergehe. (Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof zur Zl. 2011/21/0280 mit Beschluss vom 26. Jänner 2012 abgelehnt.)
Die Beschwerdeführer wies die genannte BH mit Bescheid vom 17. Dezember 2010 gemäß §§ 53 Abs. 1 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus Österreich "nach Georgien" aus. Die dagegen erhobene Berufung wies der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom 1. September 2011 mit der Maßgabe ab, dass im Spruch des angefochtenen erstinstanzlichen Bescheides die Wortfolge "nach Georgien" entfalle; im Übrigen bestätigte sie den angefochtenen Bescheid.
Zu Beginn ihrer Erwägungen erklärte die belangte Behörde unter Bezugnahme auf § 67d AVG, sie habe von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung absehen können, weil eine solche nicht erforderlich gewesen sei, nachdem sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt zweifelsfrei aus der Aktenlage ergebe, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig sei und die Akten erkennen ließen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lasse. Sie gehe bei ihrer Entscheidung von dem "völlig unbestrittenen" Sachverhalt aus, wobei auf die Feststellungen der BH verwiesen wurde. Diese hatte die belangte Behörde eingangs ihres Bescheides insbesondere dahingehend zusammengefasst, dass die Erstbeschwerdeführerin nie erwerbstätig gewesen und stets durch die Grundversorgung finanziell unterstützt worden sei, dass sie nie eine Beschäftigungsbewilligung angestrebt und nie einen Deutschkurs belegt habe und dass sie auch nicht selbsterhaltungsfähig sei.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass die gegenständliche Ausweisung auf Basis des § 53 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011 erlassen worden sei. Gemäß § 125 Abs. 14 FPG in der Fassung des FrÄG 2011 sei sie nunmehr als Rückkehrentscheidung im Sinne des § 52 FPG (in der zuletzt genannten Fassung) anzusehen und zu beurteilen.
Die Beschwerdeführer verfügten über keinerlei Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet und seien somit "grundsätzlich unrechtmäßig aufhältig". Allerdings sei bei der Beurteilung der "Ausweisung bzw. der Rückkehrentscheidung" auch auf Art. 8 EMRK sowie auf § 61 FPG Bedacht zu nehmen.
In diesem Zusammenhang hielt die belangte Behörde fest, dass im vorliegenden Fall im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - weil sich die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen sämtliche Mitglieder der Kernfamilie richteten - vorrangig das Privatleben "zu erörtern" sei. Dazu sei auszuführen, dass sich die Erstbeschwerdeführerin seit knapp acht Jahren - im Hinblick auf ihr Asylverfahren weitgehend legal - im Bundesgebiet aufhalte, wobei sie jedoch nie erwerbstätig gewesen sei. Von einer beruflichen Integration oder gar von einer Selbsterhaltungsfähigkeit könne nicht gesprochen werden, zudem habe die Familie weitgehend von der Grundversorgung gelebt. Abgesehen davon, dass die Erstbeschwerdeführerin nunmehr - gemäß ihrem Berufungsvorbringen - der deutschen Sprache mächtig sei, was allerdings nicht durch eine Prüfung belegt werde, fänden sich im Sachverhalt keine besonderen Merkmale sozialer Integration. Dass die Erstbeschwerdeführerin hier den Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin zur Welt gebracht habe, begründe eine solche noch nicht. Dennoch werde allen Beschwerdeführern ein - allerdings unterdurchschnittliches - Maß an Integration zugebilligt, das allerdings auch durch ihren bisherigen unsicheren Aufenthaltsstatus stark gemindert werde.
Der Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin seien überdies - so die belangte Behörde weiter - in einem Alter, in dem für sie die mit einem Staatenwechsel verbundenen Umstände, "sofern sie im Schoß der Kernfamilie verbleiben können", keine unverhältnismäßigen Belastungen darstellten. Wenn in der Berufung angeführt werde, dass der Erstbeschwerdeführerin eine Reintegration in Georgien nicht zumutbar sei, da sie dort - als ukrainische Staatsangehörige - nicht wirtschaftlich oder sozial abgesichert wäre, sei dem zu entgegnen, dass ihr Ehemann, ein georgischer Staatsangehöriger, in seinem Herkunftsland nicht als Fremder angesehen werden würde. Das würde eine Integration der Familie in Georgien, wo das Ehepaar auch schon gelebt habe, erleichtern. Andernfalls könnte sich die Familie auch in der Ukraine niederlassen. Jedenfalls sei die Erstbeschwerdeführerin erst mit 23 Jahren nach Österreich gekommen und beherrsche eine "sowohl in Georgien als auch in der Ukraine gesprochene Sprache". Zwar seien die Beschwerdeführer unbescholten, das ziehe aber nicht per se eine positive Integrationsbeurteilung nach sich. Was schließlich die Dauer der Asylverfahren anlange, so sei auf die zeitliche Lagerung der jeweiligen Antragstellungen zu verweisen, was fraglos eine gewisse Verzögerung erklärbar mache. Insgesamt, so die belangte Behörde abschließend, komme also den öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK eindeutig der Vorrang vor den privaten Interessen der Beschwerdeführer zu; diese könnten sich somit nicht "durchschlagend" auf den Schutz ihres Privat- und Familienlebens berufen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:
Gegen die Beschwerdeführer war mit dem erstinstanzlichen Bescheid der BH vom 17. Dezember 2010 eine Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011 erlassen worden. Diesen Bescheid hat die belangte Behörde - abgesehen von der Eliminierung der Wortfolge "nach Georgien" - schlichtweg bestätigt. Im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Entscheidung (nach Inkrafttreten des FrÄG 2011 mit 1. Juli 2011) hätte sie dagegen die Bestätigung mit der ausdrücklichen Maßgabe vornehmen müssen, dass die Ausweisung nunmehr als - nicht mit einem Einreiseverbot verbundene - Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG (in der Fassung des FrÄG 2011) gilt; außerdem wäre gemäß § 55 Abs. 1 FPG in der zuvor genannten Fassung zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen gewesen (vgl. zum Ganzen näher das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2012, Zl. 2011/21/0277).
Wie in dem dem eben genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Fall besteht aber auch hier ungeachtet des den erstinstanzlichen Bescheid ohne die erwähnte Maßgabe bestätigenden Spruchs des angefochtenen Bescheides in Verbindung mit seiner Begründung kein Zweifel daran, dass - im Ergebnis zutreffend - eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ohne Einreiseverbot erlassen werden sollte.
Die Beschwerdeführer halten sich unbestritten unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Insofern sind damit die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 erster Satz FPG gegeben, was auch die Beschwerdeführer nicht in Frage stellen. Sie wenden sich allerdings gegen die Beurteilung der belangten Behörde nach § 61 FPG, wobei sie u.a. ins Treffen führen, die belangte Behörde hätte ihre Interessenabwägung erst nach Durchführung der ausdrücklich beantragten Verhandlung durchführen dürfen.
Mit diesem Vorbringen sind die Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht. Einleitend ist dazu zwar anzumerken, dass sich den vorgelegten Verhandlungsakten kein Verhandlungsantrag der bereits im Verwaltungsverfahren anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer entnehmen lässt. In der behördlichen Gegenschrift wird allerdings die Stellung eines derartigen Antrags ausdrücklich eingeräumt. Ist deshalb ungeachtet der dem Verwaltungsgerichtshof zugänglichen Aktenlage von der Stellung eines Verhandlungsantrages auszugehen, so hätte die belangte Behörde aber schon aus den im hg. Erkenntnis vom 20. März 2012, Zl. 2011/21/0298, angestellten Erwägungen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird und die auch im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung maßgeblich sind, nicht von der Durchführung einer Verhandlung absehen dürfen. Ähnlich wie in dem dem schon genannten Erkenntnis 2011/21/0277 zugrunde liegenden Fall wäre die belangte Behörde aber auch von Amts wegen zur Durchführung einer Berufungsverhandlung verpflichtet gewesen. Zunächst trifft es nämlich im Sinn des Beschwerdevorbringens zu, dass die (allfällige) Verankerung des Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin im Inland einer näheren Klärung zuzuführen gewesen wäre; in der Beschwerde wird diesbezüglich insbesondere auf Kindergartenbesuche Bezug genommen. Ganz allgemein ist weiter zu konstatieren, dass - gerade in Konstellationen mit minderjährigen Fremden - jedenfalls in Fällen, in denen wie hier seit Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung bzw. Einbringung der dagegen erhobenen Berufung bis zum Entscheidungszeitpunkt ein nicht unbeträchtlicher Zeitraum verstrichen ist, Überlegungen zu einer Verdichtung der (insbesondere) privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich anzustellen sind. Vor allem aber hätte die schon in der Berufung aufgestellte Behauptung, dass eine Rückkehrentscheidung angesichts der unterschiedlichen Staatsbürgerschaften der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Kinder die Gefahr von deren Trennung nach sich ziehe (zur Bedeutung dieses Gesichtspunktes im gegebenen Zusammenhang vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, Zl. 2010/18/0248), einer intensiveren Auseinandersetzung - zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - bedurft. Die der Sache nach im bekämpften Bescheid allein angestellte Überlegung, die gesamte Familie könne entweder in Georgien oder in der Ukraine Aufenthalt nehmen, wird dieser Problematik auch unter Außerachtlassung des nunmehr in der Beschwerde erstatteten Vorbringens, es sei zu einer Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft der Erstbeschwerdeführerin mit ihrem Ehemann bzw. dem Vater der anderen Beschwerdeführer gekommen, nicht gerecht.
Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde durch das Unterlassen der Durchführung einer Berufungsverhandlung einen relevanten Verfahrensfehler gesetzt. Dass die durch Übernahme der erstinstanzlichen Feststellungen ihrem Bescheid zugrundeliegende Sachverhaltsannahme, die Erstbeschwerdeführerin habe "nie eine Beschäftigungsbewilligung beim AMS angestrebt", nach der Aktenlage nicht aktuell ist, tritt angesichts dessen in den Hintergrund und sei nur mehr der Vollständigkeit halber erwähnt.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. Bei diesem Ergebnis braucht auf den mit der Beschwerde eingebrachten - aus verschiedenen Gesichtspunkten verfehlten - "Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens", der auch auf die Behebung des bekämpften Bescheides abzielt, nicht näher eingegangen werden.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 25. Oktober 2012
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