VwGH 2011/18/0256

VwGH2011/18/025620.3.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des A G in W, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. Juni 2010, Zl. E1/202.727/2010, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen albanischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei im Jänner 1999 illegal nach Österreich gelangt und habe am 28. Jänner 1999 einen Asylantrag gestellt, der letztlich im Instanzenzug vom unabhängigen Bundesasylsenat abgewiesen worden sei. Die von ihm dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, welcher aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei, habe der Beschwerdeführer im Jänner 2010 zurückgezogen. Sohin halte er sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, sodass die Voraussetzungen des § 53 FPG vorlägen.

Im Rahmen der gemäß § 66 FPG vorzunehmenden Interessenabwägung sei auf die starken familiären Bindungen des Beschwerdeführers zu einem Bruder und einer Schwester, welchen "Asyl zuerkannt" und mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden sei, mit denen er jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt lebe, sowie auf den mehr als elfjährigen Aufenthalt in Österreich Bedacht genommen worden, ebenso auf seine sehr guten Deutschkenntnisse. Allerdings komme der daraus abzuleitenden Integration nur eingeschränktes Gewicht zu, weil der Beschwerdeführer bis zur rechtskräftigen Abweisung seines Asylantrages nur vorläufig zum Aufenthalt in Österreich berechtigt gewesen sei und somit von vornherein mit der Möglichkeit eines negativen Ausganges seines Asylverfahrens habe rechnen müssen. Ferner sei der Beschwerdeführer mit 17 Jahren nach Österreich gekommen und habe seine Schulbildung im Heimatland absolviert; daher sei davon auszugehen, dass er seine Muttersprache perfekt beherrsche. Außerdem lebten seine Eltern in seinem Heimatland und es sei nicht nachzuvollziehen, warum er bestehende soziale Kontakte nicht auffrischen bzw. neue knüpfen könnte. Auch könne sein Versuch, seinen Aufenthalt durch einen (Inlands‑)Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu legalisieren, nicht positiv gewertet werden, weil Aufenthaltstitel gemäß § 21 Abs. 1 NAG nur vom Ausland aus erwirkt werden könnten. Diese Hinwegsetzung über eine maßgebliche fremdenrechtliche Norm bewirke eine Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden, maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens.

Dagegen richtet sich die zunächst beim Verfassungsgerichtshof eingebrachte Beschwerde, die der Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung ihrer Behandlung (Beschluss vom 20. September 2011, B 917/10-6) mit Beschluss vom 21. Oktober 2011, B 917/10-8, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach auftragsgemäßer Ergänzung durch den Beschwerdeführer und Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Die belangte Behörde hat zutreffend festgehalten, dass der im Jänner 1999 noch als Minderjähriger in Österreich eingereiste Beschwerdeführer - seit der von ihm im Jänner 2010 vorgenommenen Zurückziehung der von ihm gegen den rechtskräftigen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof - unrechtmäßig aufhältig war.

Dies wird in der Beschwerde auch nicht bestritten. Sie wendet sich jedoch primär gegen das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung und ist damit im Recht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass ein über zehnjähriger, überwiegend rechtmäßiger inländischer Aufenthalt - mag dieser auch auf asylrechtliche Bestimmungen zurückzuführen sein - den persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet ein großes Gewicht verleihen kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. September 2009, Zl. 2007/18/0538, mwH). Bei einer solchen, dermaßen langen Aufenthaltsdauer wird regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich und damit der Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung auszugehen sein (vgl. dazu aus der letzten Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2008/21/0605, mwN). Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden ausnahmsweise Ausweisungen auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen, so etwa in dem dem hg. Erkenntnis vom 10. Mai 2011, Zl. 2011/18/0100, zugrunde liegenden Fall, in dem der Beschwerdeführer trotz eines Aufenthaltes von elfeinhalb Jahren zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides weder familiäre Anknüpfungspunkte noch relevante integrationsbegründende Umstände (etwa Deutschkenntnisse oder berufliche Integration) nachgewiesen hatte.

Von einem Fehlen jeglicher Integration und dem Vorliegen eines derartigen Ausnahmefalls kann aber im gegenständlichen Beschwerdefall nicht die Rede sein. Die belangte Behörde ist selbst davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer über sehr gute Kenntnisse der deutschen Sprache und starke familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich verfügt; der Beschwerdeführer war auch nach dem im vorgelegten Verwaltungsakt aufliegenden und am 15. April 2010 erstellten Auszug aus dem Zentralmelderegister in der Zeit vom 18. November 2003 bis 3. März 2010 bei seiner Schwester wohnhaft. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer auch konkrete Schritte zu seiner beruflichen Integration gesetzt hat, was durch die im Akt befindlichen Einstellungszusagen des Kolpinghauses Wien-Alsergrund vom 9. April und vom 29. Oktober 2009 dokumentiert ist. Eine nicht bloß theoretische berufliche Integrationsfähigkeit kann ihm daher nicht abgesprochen werden. Dies hat die belangte Behörde nicht in ihre Überlegungen im Rahmen der Interessenabwägung einbezogen.

Angesichts all dieser Umstände erweist sich daher - anders als im oben zitierten Erkenntnis vom 10. Mai 2011 - die Ausweisung des Beschwerdeführers als unverhältnismäßig.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 20. März 2012

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