Normen
AVG §52;
AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs2;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2013:2011110051.X00
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat der Ärztekammer für Steiermark Aufwendungen in der Höhe von Euro 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 17. März 2010 auf Wiederaufnahme des mit Bescheid des Verwaltungsausschusses der Ärztekammer für Steiermark vom 7. Mai 2009 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens auf Zuerkennung einer Invaliditätsversorgung gemäß § 69 Abs. 2 AVG zurückgewiesen.
Begründend führte sie - in Übernahme der diesbezüglichen Erwägungen der Erstbehörde - im Wesentlichen Folgendes aus:
Der Beschwerdeführer habe geltend gemacht, aufgrund eines fachärztlichen Gutachtens Dris. Sch. sei ihm zur Kenntnis gelangt, dass er an ADHS leide, was die Auffassung des von der Behörde im wiederaufzunehmenden Verfahren beigezogenen Sachverständigen Dr. W., der Beschwerdeführer sei vom psychiatrischen und neurologischen Gesichtspunkt aus arbeitsfähig, widerlege, und einen Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG darstelle.
Unabhängig davon, ob dieses Gutachten vom 28. Februar 2010 (entsprechend seiner Datierung) oder doch vom 5. März 2010 (wie der Beschwerdeführer geltend gemacht habe) stamme, sei der bei der Erstbehörde am 18. März 2010 eingebrachte Wiederaufnahmeantrag jedenfalls deshalb verspätet, weil der Beschwerdeführer schon vor dem genannten Gutachten Kenntnis von der Diagnose ADHS und damit einem allfälligen Wiederaufnahmegrund erlangt habe. Bereits im Arztbrief der Landesnervenklinik Siegmund Freud vom 27. August 2009, den der Beschwerdeführer zusammen mit seiner Beschwerde vom 30. Oktober 2009 gegen einen weiteren Bescheid der Erstbehörde vom 13. Oktober 2009 vorgelegt habe, werde nämlich die in Rede stehende Diagnose gestellt. Zudem gebe der Beschwerdeführer selbst in dieser Beschwerde an, dass 14 Tage nach der Aufnahme in der genannten Klinik (8. Juli 2009) diese Diagnose - auf die er nun den Wiederaufnahmeantrag stütze - gestellt worden sei. Der Beschwerdeführer habe daher spätestens seit 27. August 2009 von einem etwaig bestehenden Wiederaufnahmegrund Kenntnis gehabt, sodass die zweiwöchige Frist des § 69 Abs. 2 AVG überschritten worden sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
1. Gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruchs anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.
Gemäß § 69 Abs. 2 AVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen ab dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, zu stellen; die Umstände, aus denen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
2. Der Wiederaufnahmewerber muss den Grund, auf den sich das Wiederaufnahmebegehren stützt, in seinem Antrag aus eigenem Antrieb konkretisiert und schlüssig darlegen (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, AVG, § 69, Rz 56 referierte Judikatur). Sein Antrag kann nur dann zur Wiederaufnahme führen, wenn er Tatsachen vorbringt, auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutrifft, dass sie im wiederaufzunehmenden Verfahren zu einem anderen Bescheid geführt hätten (aaO, Rz 45).
Während ein nachträglich eingeholtes Sachverständigengutachten als solches keinen Wiederaufnahmegrund zu bilden vermag, können vom Sachverständigen festgestellte, neu hervorgekommene Tatsachen durchaus einen Wiederaufnahmegrund darstellen (vgl. die Judikaturnachweise bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, E 180ff zu§ 69 AVG).
3.1. Der Beschwerdeführer hat in seinem Wiederaufnahmeantrag das Gutachten des Sachverständigen Dr. W., das zum Ergebnis gekommen ist, der Beschwerdeführer sei vom psychiatrischen und neurologischen Gesichtspunkt aus arbeitsfähig, als unzutreffend bemängelt; wie sich aus dem Befund der Sachverständigen Dr. Sch., die ihn am 5. März 2010 untersucht habe, ergebe, leide er an ADHS; dies belege die Unrichtigkeit der die Abweisung seines Antrags auf Zuerkennung einer Invaliditätsversorgung begründenden Annahme, er sei nicht berufsunfähig.
3.2. Die belangte Behörde hat die Zurückweisung dieses Wiederaufnahmeantrags damit begründet, dass der Beschwerdeführer nicht erst durch das genannte Gutachten, sondern schon aufgrund eines Arztbriefes vom 27. August 2009 Kenntnis von der Diagnose ADHS gehabt habe; der Wiederaufnahmeantrag sei daher verfristet. Im Übrigen sei der Antrag auch inhaltlich unbegründet.
4. Unabhängig von der Frage, ob mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers ein allfälliger Wiederaufnahmegrund dargetan wird, zeigt die Beschwerde nicht auf, dass die Beurteilung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe seinen Antrag erst nach Ablauf von zwei Wochen nach dem Zeitpunkt, in dem er von dem als Wiederaufnahmegrund geltend gemachten Umstand Kenntnis erlangt hat (§ 69 Abs. 2 AVG), eingebracht, unzutreffend sei:
4.1. Die von der Beschwerde vermisste Feststellung, wann der mit 27. August 2009 datierte Arztbrief (mit der Diagnose ADHS) dem Beschwerdeführer zugekommen ist, hat die belangte Behörde insofern getroffen, als sie festgestellt hat, der Beschwerdeführer habe den genannten Arztbrief zusammen mit seiner Beschwerde vom 30. Oktober 2009 der Ärztekammer übermittelt; es ist daher, zumal in dieser - in den Verwaltungsakten erliegenden - Beschwerde auf die in Rede stehende Diagnose im genannten Arztbrief konkret Bezug genommen wird, davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer spätestens mit 30. Oktober 2009 Kenntnis von der ihn betreffenden Diagnose, aus der er den geltend gemachten Wiederaufnahmegrund ableiten möchte, hatte. Damit ist auch nicht mehr entscheidend, ob das Gutachten der Sachverständigen Dr. Sch. vom 28. Februar 2010 oder vom 5. März 2010 stammt (was die belangte Behörde offen gelassen hat).
4.2. Dem Beschwerdeeinwand, am 27. August 2009 (Datum des Arztbriefs) sei "die Kenntnis des Wiederaufnahmegrundes nur scheinbar gegeben" gewesen, weil der Beschwerdeführer aufgrund seiner Erkrankung (ADHS) den Wiederaufnahmegrund nicht erkennen habe können, ist Folgendes zu erwidern:
Die in § 69 Abs. 2 AVG vorgesehene subjektive Frist beginnt bereits mit der Kenntnis des Antragstellers von dem Sachverhalt, der den Wiederaufnahmegrund bilden soll; entscheidend ist die Kenntnis von einem Sachverhalt, nicht aber die rechtliche Wertung dieses Sachverhalts (vgl. die Judikaturnachweise bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, E 40 zu§ 69 AVG).
Für den Fristenlauf ist daher nicht maßgebend, ob dem Antragsteller die mögliche Qualifizierung eines Sachverhalts als Wiederaufnahmegrund bewusst ist.
4.3. Vor dem Hintergrund, dass die Rechtzeitigkeit des Wiederaufnahmeantrags vom Antragsteller zu bescheinigen ist (§ 69 Abs. 2 letzter Satz AVG), und mit Blick auf den Inhalt der vom Beschwerdeführer verfassten Beschwerde vom 30. Oktober 2009, in der er ausführt, er sei "erst jetzt … in der Lage, das gesamte … existenzbedrohende Geschehen einigermaßen zu erfassen und darauf zu reagieren", zeigt die Beschwerde weder einen aus der Unterlassung weiterer Beweisaufnahme resultierenden Verfahrensmangel noch die Unrichtigkeit der Annahme der belangten Behörde, der geltend gemachte Wiederaufnahmeantrag sei verfristet, auf.
4.4. Mit dem Vorbringen schließlich, es sei "beim schicksalhaften Verlauf der Krankheit, welche zum Praxisverlust führte, überhaupt fraglich, ob der bekämpfte Bescheid in seiner Gesamtheit bei der fehlenden Steuerungsfähigkeit … eine Wirkung an sich entfalten konnte", es stelle sich "die Frage der Relevanz vom Gesichtspunkt des § 268 ABGB", dies "unbeschadet der derzeitigen Situation auf Grund der nun erfolgten medikamentösen Behandlung und Therapien, welche erst jetzt kurzfristig erfolgen konnte, wodurch der Beschwerdeführer erkennen konnte, wie schwer er erkrankte", wird vor dem Hintergrund der Aktenlage nicht konkret in Frage gestellt, dass der Beschwerdeführer auf Grund seines Gesundheitszustandes in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des anhängigen Verwaltungsverfahrens und der sich ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten.
5. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 26. April 2013
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)