VwGH 2011/08/0015

VwGH2011/08/001514.3.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Peck, über die Beschwerde der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt in Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 3. Dezember 2010, Zl BMASK-424703/0001- II/A/3/2010, betreffend Pflichtversicherung in der Unfallversicherung nach § 8 Abs 1 Z 3 lit c ASVG (mitbeteiligte Parteien: 1. Verein N in Wien, 2. B R in Wien), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §10 Abs2;
ASVG §4 Abs1 Z4;
ASVG §4 Abs2;
ASVG §74 Abs3 Z2;
ASVG §8 Abs1 Z3 litc;
ASVG §10 Abs2;
ASVG §4 Abs1 Z4;
ASVG §4 Abs2;
ASVG §74 Abs3 Z2;
ASVG §8 Abs1 Z3 litc;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Versicherungsanstalt hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem - aufgrund einer Berufung der erstmitbeteiligten Partei - im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde ausgesprochen, dass der Zweitmitbeteiligte in der Zeit vom 14. September bis 14. Dezember 2009 der Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit c ASVG unterlegen sei.

Nach Darlegung des Verwaltungsgeschehens und der Wiedergabe des Wortlauts des § 8 Abs 1 Z 3 lit c ASVG stellte die belangte Behörde im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die erstmitbeteiligte Partei habe am 14. September 2009 bei der beschwerdeführenden Versicherungsanstalt den Zweitmitbeteiligten für die Zeit vom 14. September bis 14. Dezember 2009 als Volontär zur Teilversicherung in der Unfallversicherung angemeldet. Der Zweitmitbeteiligte habe in dieser Zeit an dem von der erstmitbeteiligten Partei initiierten Projekt Haftentlassungshilfe in Form eines darin vorgesehenen dreimonatigen Praktikums teilgenommen. Strittig sei, ob der Zweitmitbeteiligte in diesem Zeitraum als Volontär der Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit c ASVG unterlegen sei.

Im Verfahren vor der belangten Behörde habe die erstmitbeteiligte Partei mit E-Mail vom 3. August 2010 folgende Informationen zum Arbeitstraining des Zweitmitbeteiligten übermittelt (zitiert wie im angefochtenen Bescheid):

"Ziele:

Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit:

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit c ASVG sind die Teilnehmer an Umschulungs-, Nachschulungs- und sonstigen beruflichen Ausbildungslehrgängen der Gebietskörperschaften, des Arbeitsmarktservice, des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, der Sozialversicherungsträger sowie der gesetzlichen beruflichen Vertretungen der Dienstgeber und Dienstnehmer, soweit die Schulung nicht im Rahmen eines Dienst- oder Lehrverhältnisses durchgeführt wird, sowie die Lehrenden bei solchen Lehrgängen, desgleichen die Volontäre, ferner Personen, die in einer Einrichtung untergebracht sind, die der medizinischen Rehabilitation oder Gesundheitsvorsorge dient, hinsichtlich dieser Tätigkeiten in der Unfallversicherung versichert (teilversichert).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem - sowohl von der belangten Behörde als auch von der beschwerdeführenden Versicherungsanstalt zitierten - Erkenntnis vom 17. Oktober 2001, Zl 96/08/0101, ausgeführt hat, verwendet das ASVG den Begriff des Volontärs in mehreren Bestimmungen (§ 4 Abs 1 Z 4, § 8 Abs 1 Z 3 lit c, § 10 Abs 2 und § 74 Abs 3 Z 2 ASVG), ohne ihn zu definieren. Der Begriff des Volontärs wird in den genannten Bestimmungen aber stets - wie üblich - als ein Sonderfall eines Dienst- oder Lehrverhältnisses verstanden, sodass bei seiner Auslegung auf das arbeitsrechtliche Begriffsverständnis abzustellen ist.

Lehre und Rechtsprechung im Arbeitsrecht verstehen unter der Tätigkeit eines Volontärs eine solche Beschäftigung, die nicht in erster Linie Betriebsinteressen dient, sondern im Wesentlichen Zwecken der Ausbildung des Beschäftigten. Sie ist charakterisiert von Unentgeltlichkeit und Fehlen der Arbeitspflicht. Volontär ist, wer in einem Betrieb mit Erlaubnis des Betriebsinhabers die dort bestehenden maschinellen oder sonstigen Einrichtungen kennen lernen will und sich gewisse praktische Kenntnisse und Fertigkeiten durch Handanlegen aneignen darf. Die Initiative zur Beschäftigung geht in der Regel vom Volontär aus. Der ausschließliche Lernzweck, die beiderseitige Ungebundenheit und in der Regel auch die Unentgeltlichkeit sind somit wesentliche Merkmale des Volontariats. Die Gewährung einer freiwilligen Gratifikation oder freien Station schließt ein Volontariat nicht aus (vgl auch das hg Erkenntnis vom 22. Februar 2012, Zl 2011/08/0114, mwN).

2. Die beschwerdeführende Versicherungsanstalt macht in ihrer Beschwerde geltend, es handle sich bei der gegenständlichen Beschäftigung um kein Volontariat, sondern "eine Art betreute Beschäftigungstherapie". Es gehe dabei nicht darum, bestimmte maschinelle oder sonstige Einrichtungen kennen zu lernen oder sich gewisse praktische Kenntnisse und Fertigkeiten durch Handanlegen anzueignen. Im Gegenteil würden von der erstmitbeteiligten Partei und ihren Mitarbeitern offenbar je nach Auftragslage völlig beliebige Tätigkeiten ausgeführt, angeleitet von einem fachkundigen Vorarbeiter. Ein Großteil der angebotenen Arbeiten stellten im Übrigen nur Hilfsarbeiten dar. Im Vordergrund stünde dabei das "Wiedererlernen sozialer Fähigkeiten". Im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Oktober 2001, Zl 96/08/0101, werde festgehalten, dass ein Volontariat im Wesentlichen Zwecken der Ausbildung des Beschäftigten dienen solle. Damit sei gemeint, dass die während des Volontariats auszuführenden Tätigkeiten und die diesen Tätigkeiten zu Grunde liegende Ausbildung im Wesentlichen korrelieren sollen. Dies sei aber dann, wenn der Ausbildungszweck mehr oder weniger in der Reintegration in das Arbeitsleben und damit ins soziale Leben bestehe, während die dabei als "Vehikel", diesen Zweck zu erreichen, dienenden (handwerklichen) Tätigkeiten völlig beliebig seien, eben nicht der Fall. Wie die belangte Behörde ausführe, liege der Erfolg des Beschäftigungsverhältnisses nicht in einem bestimmten Output und werde das möglichst regelmäßige Aufsuchen des Arbeitsplatzes als Erfolg angesehen. Das Aneignen dieser Fertigkeiten sei das unbestrittene Ziel des Praktikums.

3. Nach den - unbestrittenen - Feststellungen der belangten Behörde war die verfahrensgegenständliche Tätigkeit des Zweitmitbeteiligten derart ausgestaltet, dass er über einen Zeitraum von drei Monaten an einem "Arbeitstraining" der erstmitbeteiligten Partei teilnahm. Während dieser Zeit bestimmte er seine Anwesenheitszeiten selbst und war zu keinen Arbeitsleistungen verpflichtet, für tatsächlich erbrachte Anwesenheitszeiten erhielt er jedoch ein "Taschengeld" von EUR 5,10 pro Anwesenheitsstunde. Der Zweitmitbeteiligte verrichtete während seines "Arbeitstrainings" unter fachlicher Anleitung Arbeiten wie die Sanierung von Fenstern und Türen, Bodenverlegung und Fahrradreparaturen.

Aus diesen Feststellungen geht hervor, dass den Zweitmitbeteiligten jedenfalls keine Arbeitspflicht traf, was charakteristisch für ein Volontariat ist und im Gegensatz zur persönlichen Abhängigkeit eines Dienstnehmers im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG steht. Das "Arbeitstraining" hatte (unter anderem) zum Ziel, einen betrieblichen Alltag kennenzulernen, "Arbeitstugenden" wie Pünktlichkeit und Genauigkeit und das Einhalten von Strukturen zu erlernen. Damit diente die Tätigkeit in erster Linie nicht Betriebsinteressen der erstmitbeteiligten Partei, sondern dem Zweck, den Zweitmitbeteiligten auf einen Eintritt in die Arbeitswelt vorzubereiten. Entgegen der Ansicht der beschwerdeführenden Versicherungsanstalt schließt ein solcher Zweck das Vorliegen eines Volontariats nicht aus. Ein Volontariat ist nämlich nicht zwangsläufig auf das Erlernen handwerklicher Fähigkeiten beschränkt, sondern kann auch den Erwerb sozialer Kompetenzen umfassen und muss nicht zwingend im Rahmen einer außerhalb des Volontariats wurzelnden Ausbildung absolviert werden, wenn sich schon aus der Volontariatstätigkeit selbst ein Ausbildungszweck ergibt.

4. Die beschwerdeführende Versicherungsanstalt leitet weiters aus dem "Taschengeld" in der Höhe von EUR 5,10 für jede erbrachte Anwesenheitsstunde ab, dass möglicherweise ein Dienstverhältnis im Sinne des § 4 Abs 2 ASVG vorliege. Mit der 54. Novelle zum ASVG sei § 4 Abs 2 ASVG nämlich dahingehend geändert worden, dass auch jene Personen als Dienstnehmer gälten, die gemäß § 47 Abs 1 iVm Abs 2 EStG lohnsteuerpflichtig seien. Als Volontäre zu qualifizierende Praktikanten seien daher in dem Monat, in dem sie "Taschengeld" bezögen, steuerlich als Arbeitnehmer zu behandeln und dieses "Taschengeld" sei sohin lohnsteuerpflichtig. Aufgrund der Lohnsteuerpflicht handle es sich daher um Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs 2 ASVG, weshalb auch eine dementsprechende Versicherungspflicht bestehe.

5. Gemäß § 4 Abs 1 Z 1 ASVG sind die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Versicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet.

Dienstnehmer im Sinn dieses Bundesgesetzes ist gemäß § 4 Abs 2 ASVG, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen. Als Dienstnehmer gilt jedenfalls auch, wer nach § 47 Abs 1 in Verbindung mit Abs 2 EStG 1988 lohnsteuerpflichtig ist.

Die Beantwortung der Frage, ob bei Erfüllung einer übernommenen Arbeitspflicht die Merkmale persönlicher Abhängigkeit einer Person vom Empfänger der Arbeit gegenüber jenen persönlicher Unabhängigkeit überwiegen und somit persönliche Abhängigkeit iSd § 4 Abs 2 ASVG gegeben ist, hängt - im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem arbeitsrechtlichen Verständnis dieses Begriffspaares - davon ab, ob nach dem Gesamtbild der konkret zu beurteilenden Beschäftigung die Bestimmungsfreiheit des Beschäftigten durch die Beschäftigung weitgehend ausgeschaltet oder - wie bei anderen Formen einer Beschäftigung (zum Beispiel auf Grund eines freien Dienstvertrages) - nur beschränkt ist (vgl das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, VwSlg 12.325/A).

Zur Frage der Lohnsteuerpflicht und einer daraus abzuleitenden Vollversicherungspflicht als Dienstnehmer gemäß § 4 Abs 2 zweiter Satz ASVG ist zunächst anzumerken, dass weder aus den Feststellungen des angefochtenen Bescheides noch aus dem Verwaltungsakt ersichtlich ist, dass der Zweitmitbeteiligte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum der Lohnsteuerpflicht unterlag. Von der beschwerdeführenden Versicherungsanstalt wurde dies zum hier konkret zu beurteilenden Einzelfall auch gar nicht behauptet, sondern bloß dargelegt, dass in einer Besprechung im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger festgehalten worden sei, dass grundsätzlich als Volontäre zu qualifizierende Praktikanten in dem Monat, in dem sie Taschengeld beziehen, steuerlich als Arbeitnehmer zu behandeln seien. Dass und weshalb aus diesen "grundsätzlichen" Überlegungen auch für den vorliegenden konkreten Beschwerdefall das Bestehen der Lohnsteuerpflicht abzuleiten sei, legt die beschwerdeführende Partei nicht dar. Im Hinblick darauf, dass der für die Lohnsteuerpflicht maßgebende § 47 Abs 2 EStG 1988 darauf abstellt, dass ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet - und damit eine Verpflichtung zur Arbeitsleistung voraussetzt -, kann der Verwaltungsgerichtshof im Beschwerdefall, in dem den Zweitmitbeteiligten unstrittig keine Arbeitspflicht traf, auch nicht erkennen, dass eine Vollversicherung als Dienstnehmer aus dem Grund des § 4 Abs 2 zweiter Satz ASVG (bzw eine Teilversicherung als geringfügig Beschäftigter nach § 7 Z 3 lit a ASVG) anzunehmen wäre (vgl das hg Erkenntnis vom 12. Jänner 1967, Zl 1360/66, Slg Nr 3551/F, sowie Doralt, EStG6, § 47 Tz 49, "Volontäre").

Auch sonst scheidet hinsichtlich der Tätigkeit des Zweitmitbeteiligten die Annahme eines Dienstverhältnisses im Sinne des § 4 Abs 2 ASVG bereits aus dem Grund aus, dass der Zweitmitbeteiligte keine Arbeitspflicht übernommen hat, sondern ihm nach den diesbezüglich unstrittigen Feststellungen im angefochtenen Bescheid die Gestaltung seiner Arbeitszeiten freistand bzw er überhaupt begründungslos jede Tätigkeit ablehnen konnte, weshalb kein Verhältnis persönlicher Abhängigkeit begründet wurde.

6. Die Beschwerde erweist sich daher als insgesamt unbegründet und war gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr 455.

Wien, am 14. März 2013

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