VwGH 2011/08/0002

VwGH2011/08/000217.10.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der P Ges.m.b.H. in S, vertreten durch Dr. Michael Schneditz-Bolfras, Dr. Fritz Vierthaler und Dr. Christoph Mizelli, Rechtsanwälte in 4810 Gmunden, Marktplatz 16, gegen den Bescheid der Landeshauptfrau von Salzburg vom 23. November 2010, Zl. 20305-V/14.716/4-2010, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Salzburger Gebietskrankenkasse in 5020 Salzburg, Engelbert-Weiß-Weg 10), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §68 Abs1;
ASVG §68 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 12. Oktober 2009 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die beschwerdeführende Gesellschaft als Dienstgeberin iSd § 35 Abs. 1 ASVG, für näher bezeichnete Dienstnehmer und jeweils näher bezeichnete Zeiträume in den Beitragsjahren 2004 bis 2007 Sozialversicherungsbeiträge und Verzugszinsen in Gesamthöhe von EUR 119.296,81 zu entrichten.

Begründend führte sie im Wesentlichen aus, im Zuge einer gemeinsamen Prüfung lohnabhängiger Abgaben sei festgestellt worden, dass die beschwerdeführende Gesellschaft zu Unrecht Trennungsgelder beitragsfrei ausgezahlt habe und regelmäßige Überstunden in Kranken- und Feiertagsentgelte der Arbeiter nicht eingerechnet worden seien; auch seien kleinere Kollektivvertragsdifferenzen festgestellt worden. Die Trennungsgelder seien beitragsfrei ausgezahlt worden, obwohl die tägliche Rückkehr zum Wohnort der Dienstnehmer erfolgt sei und die Entfernung zwischen der Baustelle und dem Wohnort weit unter den "Zumutbarkeitsgrenzen" gelegen sei. Es seien hierzu die Einsatzorte der Dienstnehmer laut Stundenerfassung deren Wohnsitzen gegenübergestellt worden.

Im gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch machte die beschwerdeführende Gesellschaft geltend, dass für alle Dienstnehmer Tamsweg der Betriebsort sei. Sie seien auf Baustellen in Salzburg und Umgebung eingesetzt gewesen. Insbesondere auf Grund der Entfernung zwischen dem Betriebsort Tamsweg und ihrem tatsächlichen Einsatzort sei ihnen die tägliche Rückfahrt nach Tamsweg nicht zuzumuten. Es sei ihnen daher gerechtfertigter Weise Trennungsgeld ausgezahlt worden. Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gelte die Beitragsfreiheit für Aufwendungen im Sinn des zweiten Satzes des § 49 Abs. 3 Z 1 ASVG auch, wenn der Auszahlung von Trennungsgeldern keine tatsächlichen Aufwendungen gegenüber stünden; lediglich die in § 49 Abs. 3 Z 1 erster Satz ASVG angeführten Leistungen bedürften, um beitragsfrei zu sein, eines entsprechenden Nachweises für tatsächliche Ausgaben. Nicht nachzuvollziehen seien auch die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, wonach eine Heimfahrt jedenfalls dann zumutbar sei, wenn ein Arbeitnehmer tatsächlich zu Hause nächtige; es obliege jeder einzelnen Privatperson, ob sie tatsächlich auch eine weite Heimreise antrete oder nicht. Bei den Lohnsteuerprüfungen in den vergangenen Jahren sei auch nie beanstandet worden, dass beitragsfreie Trennungsgelder ausgezahlt worden seien. Die beschwerdeführende Gesellschaft habe außerdem bereits im Jahr 1997 an das Finanzamt Tamsweg eine diesbezügliche Anfrage gestellt. Damals sei dem Geschäftsführer mitgeteilt worden, dass die Auszahlung beitragsfreier Trennungsgelder "vollkommen in Ordnung gehe". Das nunmehrige Verhalten der Behörde verstoße daher gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Darüber hinaus seien die Beiträge für den Zeitraum 2004 bis 2006 bereits verjährt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch als unbegründet ab. Sie ging davon aus, dass die nicht erfolgte Einrechnung von Überstunden in die Kranken- und Feiertagsentgelte sowie die festgestellten kleineren Kollektivvertragsdifferenzen unstrittig seien. In ihrer rechtlichen Beurteilung schloss sie sich sodann im Wesentlichen den Ausführungen der Erstbehörde an. Zum Verjährungseinwand führte sie aus, dass die fünfjährige Verjährungsfrist nach § 68 Abs. 1 dritter Satz ASVG zur Anwendung komme; die beschwerdeführende Gesellschaft wäre nur dann ihrer Sorgfaltspflicht gehörig nachgekommen, wenn sie sich bei der für die Vorschreibung von Sozialversicherungsbeiträgen zuständigen Stelle, nämlich der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse, und nicht beim Finanzamt über die rechtlichen Voraussetzungen zur beitragsfreien Auszahlung von Trennungsgeldern informiert hätte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Hinsichtlich der behaupteten Beitragsfreiheit der ausgezahlten Trennungsgelder wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe des - ebenfalls gegenüber der beschwerdeführenden Gesellschaft ergangenen - Erkenntnisses vom heutigen Tag, Zl. 2010/08/0184, verwiesen. Auch im vorliegenden Beschwerdefall konnte ein mit den Trennungsgeldern - sei es auch in pauschalierter Form - abgegoltener Mehraufwand der Dienstnehmer nicht aufgezeigt werden.

2. Was die von der beschwerdeführenden Gesellschaft ins Treffen geführte Auskunft des Finanzamtes Tamsweg aus dem Jahr 1997 betrifft, so konnte daraus weder ein Anspruch darauf abgeleitet werden, dass die Trennungsgelder (weiterhin) als beitragsfrei behandelt werden, noch war sie geeignet, einen Sorgfaltsverstoß der beschwerdeführenden Gesellschaft bei der Erstattung der objektiv unrichtigen Meldungen und damit die Anwendung der fünfjährigen Verjährungsfrist des § 68 Abs. 1 dritter Satz ASVG auszuschließen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei Beurteilung der Frage, ob ein Meldepflichtiger bei gehöriger Sorgfalt "Angaben bzw. Änderungsmeldungen" (im Folgenden: Meldungen) als "notwendig" oder "unrichtig" hätte erkennen müssen, davon auszugehen, dass er sich alle zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen notwendigen Kenntnisse verschaffen muss und deren Mangel im Falle einer darauf zurückzuführenden Meldepflichtverletzung als Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt zu vertreten hat. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass ein Meldepflichtiger, der nicht über die genannten Kenntnisse verfügt, nicht schon deshalb im Sinne des § 68 Abs. 1 dritter Satz ASVG exkulpiert ist, weil er sich mit der strittigen Frage ohnedies, wenn auch nur auf Grund seiner eingeschränkten Kenntnisse, auseinandergesetzt hat und dementsprechend vorgegangen ist. Einen solchen Meldepflichtigen trifft vielmehr eine Erkundigungspflicht, sofern er seine - objektiv unrichtige - Rechtsauffassung nicht etwa auf höchstgerichtliche (und erst später geänderte) Rechtsprechung oder bei Fehlen einer solchen auf eine ständige Verwaltungsübung zu stützen vermag. Insbesondere wird ein solcher Meldepflichtiger gehalten sein, sich über die Vertretbarkeit seiner Rechtsauffassung bei der Behörde und/oder einer zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Person oder Stelle Gewissheit zu verschaffen. Erhält er dann allerdings von ihr trotz ausführlicher Darlegung des maßgebenden Sachverhaltes eine ausdrückliche Auskunft in einer bestimmten Richtung und geht er danach vor, so liegt trotz einer objektiven Unrichtigkeit keine Sorgfaltspflichtverletzung vor. Der meldepflichtige Dienstgeber ist somit nur dann im Sinne des § 68 Abs. 1 dritter Satz ASVG entschuldigt, wenn er die ihm zumutbaren Schritte unternommen hat, sich in der Frage der Meldepflicht sachkundig zu machen, und die Unterlassung der Meldungen bzw. die Unrichtigkeit derselben auf das Ergebnis dieser Bemühungen ursächlich zurückzuführen ist. Dabei macht es keinen Unterschied, ob er sich auf eine ihm mitgeteilte Verwaltungspraxis der Gebietskrankenkasse, auf ständige hg. Rechtsprechung oder auf sonstige verlässliche Auskünfte sachkundiger Personen oder Institutionen zu stützen vermag (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. März 1994, Zl. 93/08/0176, VwSlg 14.020 A, sowie aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2011, Zl. 2007/08/0109, jeweils mwN).

Im Beschwerdefall hat die beschwerdeführende Gesellschaft im Jänner 1997 folgende Anfrage an das Finanzamt Tamsweg gerichtet:

"Betrifft: Trennungsgeld

Sachverhalt: Kollektivvertrag für Bauhilfsgewerbe Arbeitnehmer Wohnsitz 9560 Feldkirchen/Kärnten

Anspruch auf Trennungsgeld wenn die Baustelle in 9062 Moosburg, Kärnten ist?

Anspruch auf Trennungsgeld wenn die Baustelle im Lungau ist?"

Die Antwort auf diese Anfrage wurde laut Aktenvermerk telefonisch erteilt, laut Vorbringen der Beschwerdeführerin lautete sie dahingehend, dass die Auszahlung von Trennungsgeldern "in Ordnung gehe".

Die Anfrage wurde aber zum einen nicht bei einer für die Vollziehung des Sozialversicherungsrechts zuständigen Behörde - insbesondere der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse - gestellt und hat sich zum anderen nach ihrem Wortlaut nicht auf die Verpflichtung zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen bezogen. Schon deswegen kann nicht gesagt werden, dass die beschwerdeführende Gesellschaft mit dieser Anfrage, die zudem nur auf einen bestimmten Einzelfall abgestellt hatte und bezogen auf den hier strittigen Zeitraum schon rund zehn Jahre zurücklag, ihrer Erkundigungspflicht im Sinn der oben zitierten Rechtsprechung ausreichend nachgekommen wäre.

Dass aber die bloße "Nichtbeanstandung" beitragsfreier Zahlungen in der Vergangenheit noch keine Verwaltungsübung darstellt, auf die der Meldepflichtige vertrauen dürfte, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits im oben genannten Erkenntnis vom 22. März 1994 zum Ausdruck gebracht.

Die belangte Behörde hat daher zu Recht die fünfjährige Verjährungsfrist nach § 68 Abs. 1 dritter Satz ASVG angewendet. Das Recht auf Feststellung der Beitragsforderungen war demnach für den gesamten beschwerdegegenständlichen Zeitraum noch nicht verjährt.

3. Im Übrigen wendet sich die Beschwerde nicht gegen die Berechnung der festgestellten Beitragsforderungen.

4. Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 17. Oktober 2012

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