VwGH 2011/04/0111

VwGH2011/04/011128.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Grünstäudl und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Dr. Greisberger, über die Beschwerde der X in Y, vertreten durch Dr. Michael Metzler, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 49, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 24. März 2011, Zl. VwSen-531057/25/Re/Sta, betreffend Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage (mitbeteiligte Partei: A in B, vertreten durch Dr. Bernhard Gumpoldsberger, Rechtsanwalt in 4642 Sattledt, Schulstraße 8; weitere Partei: Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend), zu Recht erkannt:

Normen

GewO 1994 §74 Abs2;
GewO 1994 §77 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
GewO 1994 §74 Abs2;
GewO 1994 §77 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er nicht die Zurückweisung der Berufung hinsichtlich der Einwendungen wegen "Beeinträchtigung durch Luftinhaltsstoffe (Enzyme, Pilze, Lebensmittelzusätze)" betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft W. vom 20. Juni 2010 wurde der mitbeteiligten Partei die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Betriebsanlage für Bäckerei-Feinbackwaren, bestehend aus Backstube, Lager und Büro, an einem näher bezeichneten Standort gemäß § 77 iVm § 74 GewO 1994 unter Auflagen erteilt.

Der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin wurde mit dem angefochtenen Bescheid insofern Folge gegeben, als zusätzliche Auflagen vorgeschrieben und näher angeführte Projektkonkretisierungen zum Gegenstand der Genehmigung gemacht wurden. Im Übrigen wurde die Berufung ab- bzw. hinsichtlich näher genannter Einwendungen zurückgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde (hier auf das Wesentliche zusammengefasst) aus, die mitbeteiligte Partei habe mit dem Genehmigungsansuchen ein schalltechnisches Projekt vorgelegt, das Messergebnisse betreffend die Ist-Situation und Prognosen über die zu erwartenden betriebsbedingten Schallimmissionen enthalte. Dieses schalltechnische Projekt sei vom gewerbetechnischen Amtssachverständigen sowohl im erstinstanzlichen als auch im Berufungsverfahren einer Überprüfung unterzogen worden. In seinem Gutachten habe der Sachverständige - unter anderem - wie folgt ausgeführt:

Der Amtssachverständige habe einen Ortsaugenschein durchgeführt und eine Schallpegelmessung hinsichtlich der gegebenen örtlichen Situation vorgenommen. Die Messergebnisse zeigten eine gute Übereinstimmung mit den von der mitbeteiligten Partei im schalltechnischen Projekt genannten Messergebnissen. Eine eingehende Überprüfung des schalltechnischen Projektes habe ergeben, dass auch die dortige Prognose über die zu erwartenden betriebsbedingten Schallimmissionen, die berechnet worden seien, plausibel und nachvollziehbar sei und dass hinsichtlich deren Richtigkeit kein Zweifel bestehe. Nach diesen Berechnungsergebnissen lägen, was Geräusche mit schwankendem Charakter (v.a. Zu- und Abfahrten) betreffe, "die zu erwartenden Betriebsimmissionen allesamt zu jedem Beurteilungszeitpunkt so weit unter der Ist-Situation, dass damit keine Veränderung der örtlichen Situation erfolgt". Einzige Ausnahme sei die einmal in der Woche an einem Werktag zur Tageszeit stattfindende Mehllieferung, bei der es zu einer kurzzeitigen Erhöhung der Ist-Situation um höchstens 2 bis 3 dB komme.

Was die von der Betriebsanlage ausgehenden Dauergeräusche durch die haustechnischen Anlagen (Lüftungen, Heizung, Klimageräte, usw.) betreffe, so sei von fallweise geringen Überschreitungen der Ist-Situation an einem der Messpunkte (Garten an der Adresse der Beschwerdeführerin) am Sonntag zur Tageszeit auszugehen. Auf die Dauergeräusche in den Nachtstunden müsse hier nach Ansicht des Sachverständigen nicht eingegangen werden, "da in den Nachtstunden der allgemeine Grundstücksbereich, sprich Gartenbereich, nicht als der übliche und damit schützenswerte Aufenthaltsbereich von Personen angesehen wird".

Zusammenfassend sei der gewerbetechnische Amtssachverständige zu dem Ergebnis gelangt, dass durch das Vorhaben keine Veränderung der örtlichen Ist-Situation in Bezug auf die "aus fachlicher Sicht relevanten Nachbarbereiche (in der Nacht der Wohnbereich)" zu erwarten seien. Alle erforderlichen Schallschutzmaßnahmen (u.a. Errichtung einer Schallschutzwand, Begrenzung der Schallleistungspegel der haustechnischen Anlagen, Geschlossenhalten von bestimmten Toren und Fenstern der Betriebsanlage) seien zwar bereits im Projekt enthalten, aus der Sicht des Sachverständigen empfehle sich aber deren Vorschreibung in Form von Auflagen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung sei auch eine Beurteilung durch den medizinischen Sachverständigen erfolgt. Dieser sei (auf der Grundlage der Angaben des technischen Sachverständigen) zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die betriebskausalen Geräusche so in die bestehende Geräuschkulisse integrierten, dass sie nicht zu gesundheitsrelevanten Veränderungen führten. Eine Erhöhung der Umgebungslärmsituation um 2 bis 3 dB durch die Mehlanlieferung sei nicht geeignet, erhebliche Belästigungsreaktionen oder Gesundheitsgefährdungen hervorzurufen, weshalb gegen das Vorhaben aus medizinischer Sicht keine Bedenken bestünden.

Diesen schlüssigen Ausführungen der Sachverständigen, so die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung, sei die Beschwerdeführerin nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen getreten. Was aber den Einwand der Beschwerdeführerin betreffe, sie sei an jedem Teil ihrer Liegenschaft zu jeder Uhrzeit zu schützen, so könne dieser Ansicht nicht uneingeschränkt beigepflichtet werden. Vielmehr sei in diesem Zusammenhang auf die Sachverständigenäußerungen zu verweisen, wonach Anrainern insbesondere zur Nachtzeit kein schützenswerter Aufenthalt im Garten an der Grundstücksgrenze zuzubilligen sei. Darüber hinausgehend seien die vom lärmtechnischen Amtssachverständigen errechneten geringfügigen Überschreitungen des Ist-Zustandes in der medizinischen Begutachtung mitberücksichtigt worden.

Ausgehend davon und aufgrund der im Spruch des angefochtenen Bescheides ergänzten Betriebsbeschreibung und Auflagen erachtete die belangte Behörde die Genehmigungsvoraussetzungen des § 77 GewO 1994 erfüllt. Die Zurückweisung der Berufung hinsichtlich näher genannter Einwendungen sei Folge der Präklusion dieser Einwendungen.

Die vorliegende Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid, "soweit der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben wurde". Die Beschwerde richtet sich auch in den Beschwerdegründen bei einer Gesamtbetrachtung nicht gegen den Teil des angefochtenen Bescheides, mit dem in der Berufung vorgebrachte Einwendungen der Beschwerdeführerin zurückgewiesen wurden.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,

1. das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994 in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen Familienangehörigen, oder des nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen eingetragenen Partners, der Nachbarn oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden; als dingliche Rechte im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten auch die im § 2 Abs. 1 Z. 4 lit. g angeführten Nutzungsrechte,

2. die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen ...

Gemäß § 77 Abs. 1 GewO 1994 ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, dass überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.

Soweit die Beschwerde zunächst als Verfahrensmangel geltend macht, die belangte Behörde habe näher genannte Lärmquellen der gegenständlichen Betriebsanlage (Abluftanlage, Absaughaube, Ventilator, usw.) nicht auf ihre immissionsseitigen Auswirkungen beurteilt, ist ihr das gewerbetechnische Gutachten (wiedergegeben im Bescheid S. 7) entgegen zu halten, wonach "alle geplanten haustechnischen Anlagen" wie im Projekt beschrieben auch in der Berechnung berücksichtigt wurden. Dem ist die Beschwerdeführerin nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen getreten.

Dennoch ist die Beschwerde begründet:

Die Beschwerdeführerin macht als inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend, aus den Gutachten ergebe sich, dass der örtliche Basispegel (Ist-Wert) am Sonntag (nach dem Gutachten: zur Tageszeit) fallweise überschritten werde. Die belangte Behörde klammere nun aber rechtsirrig die Nachtzeit von der Beurteilung aus, weil es nach Ansicht der belangten Behörde den allgemeinen Lebensgewohnheiten entspreche, sich in den Nachtstunden im Haus aufzuhalten. Sie gehe davon aus, dass der Aufenthalt im Garten zur Nachtzeit nicht schützenswert sei. Die belangte Behörde verletze mit dieser Rechtsansicht die grundlegenden Prinzipien des Eigentumsrechts, mit der Substanz und den Nutzungen des eigentümlichen Grundstückes nach Willkür zu schalten. Die Benützung des Gartens sei auch während der Nachtzeit möglich und durchaus denkbar, sodass eine Überschreitung des Basispegels in der Nachtzeit nicht unberücksichtigt bleiben dürfe.

Dazu ist zunächst festzuhalten, dass das oben wiedergegebene (hilfsweise) Gegenargument der belangten Behörde, die vom lärmtechnischen Amtssachverständigen errechneten geringfügigen Überschreitungen des Ist-Zustandes seien in der medizinischen Begutachtung mitberücksichtigt worden, den angefochtenen Bescheid nicht zu tragen vermag, weil gerade die Auswirkungen der von der Betriebsanlage herrührenden Dauergeräusche, die während der Nachtstunden im Gartenbereich der Beschwerdeführerin auftreten, im Gutachten des technischen Sachverständigen (und daher auch im darauf aufbauenden medizinischen Gutachten) ausdrücklich (Bescheid S. 8) mit der bereits genannten Begründung nicht beurteilt wurden.

Das (primäre) Argument der belangten Behörde, eine Beurteilung der betriebskausalen Lärmimmissionen im Gartenbereich der Beschwerdeführerin sei für die Nachtzeit nicht notwendig, weil Anrainern (Nachbarn) einer Betriebsanlage ein schützenswerter Aufenthalt im Garten an der Grundstücksgrenze nicht zuzubilligen sei, steht mit der im Folgenden zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im Widerspruch:

Im Erkenntnis vom 28. August 1997, Zl. 95/04/0222, dem ebenfalls die Frage zugrunde lag, in Bezug auf welche Örtlichkeit (Wohnhaus oder Garten) die Immissionen einer Betriebsanlage zu beurteilen seien, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt:

"Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 29. November 1979, Slg. 9979/A, vom 9. Oktober 1984, Zl. 84/04/0084, und vom 25. September 1990, Zl. 90/04/0013) hat die Zumutbarkeit einer Lärmbelästigung auf jene der Lärmquelle am nächsten liegenden Teil des Nachbargrundstückes abzustellen, der bei Bedachtnahme auf die im Zeitpunkt der Entscheidung der Gewerbebehörde insbesondere auf dem Gebiet des Baurechtes geltenden Vorschriften dem regelmäßigen Aufenthalt des Nachbarn, sei es in einem Gebäude, sei es außerhalb eines Gebäudes, dienen KANN. Nichts anderes kann auch für die im Beschwerdefall relevante Beurteilung der Zumutbarkeit einer Geruchsbelästigung gelten. Aus der Dispositionsfreiheit der Nachbarn (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 10. April 1984, Zl. 83/04/0295) folgt für den Beschwerdefall, daß die Genehmigungsfähigkeit der Betriebsanlage davon abhängt, ob eine Gesundheitsgefährdung einer sich nicht nur vorübergehend auf dem in Rede stehenden Grundstück - gleichgültig wo - aufhaltenden Person ausgeschlossen werden kann und bejahendenfalls, ob zu erwarten ist, daß Belästigungen hinsichtlich einer solchen Person auf ein zumutbares Maß beschränkt werden (vgl. insbesondere das zitierte Erkenntnis vom 9. Oktober 1984). Die Dispositionsfreiheit ist freilich nach dem Vorhergesagten insoweit eingeschränkt, daß dem Rechtsvorschriften entgegenstehen; ebenso kann aber auch (außer einer rechtlichen) eine bloß faktische Unmöglichkeit des Aufenthaltes bestehen."

Der vorliegende Beschwerdefall zeigt keinen Grund für ein Abweichen von dieser Rechtsauffassung auf, die der Verwaltungsgerichtshof auch in den Erkenntnissen vom 25. September 1990, Zl. 90/04/0013, und vom 14. September 2005, Zl. 2004/04/0131, vertreten hat.

Entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde kommt es somit entscheidend darauf an, dass die Benützung des Gartens der Beschwerdeführerin auch in der Nachtzeit zumindest möglich ist und in ihrer Dispositionsfreiheit steht, weshalb Geräuschimmissionen zu dieser Zeit aus der Beurteilung nicht ausgeblendet werden dürfen.

Die belangte Behörde hat es somit in unrichtiger Beurteilung der Rechtslage unterlassen, eine entsprechende Gutachtensergänzung einzuholen, was den angefochtenen Bescheid mit einem sekundären Verfahrensmangel belastet.

Der angefochtene Bescheid war daher im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 28. Februar 2012

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