VwGH 2010/21/0316

VwGH2010/21/03165.7.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde 1.) des K, 2.) der P, 3.) des A, 4.) der S und 5.) der E, alle vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen die Bescheide der Bundespolizeidirektion Wien, jeweils vom 12. August 2010,

1.) Zl. III-1118888/FrB/10 (hg. Zl. 2010/21/0316), 2.) Zl. III- 1225800/FrB/10 (hg. Zl. 2010/21/0317), 3.) Zl. III-1225821/FrB/10 (hg. Zl. 2010/21/0318), 4.) Zl. III-1241119/FrB/10 (hg. Zl. 2010/21/0319), und 5.) Zl. III-1241120/FrB/10 (hg. Zl. 2010/21/0320), jeweils betreffend Ladung in einer Angelegenheit nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §19 Abs1;
AVG §19;
FrPolG 2005 §74 Abs2 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §19 Abs1;
AVG §19;
FrPolG 2005 §74 Abs2 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet, die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind ihre gemeinsamen Kinder. Alle sind türkische Staatsangehörige.

Der Erstbeschwerdeführer reiste im Jahr 2002 in das Bundesgebiet ein. Später folgten ihm die Zweitbeschwerdeführerin und der gemeinsame Sohn (der Drittbeschwerdeführer). Die Viert- und Fünftbeschwerdeführerinnen wurden bereits in Österreich geboren. Alle Beschwerdeführer beantragten in Österreich erfolglos die Gewährung von Asyl bzw. internationalem Schutz.

Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden der Sicherheitsdirektion Wien jeweils vom 18. Jänner 2010 wurden die Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 27. April 2010, B 304 bis 308/10-4, ab. Nach Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof wurde der zu Zlen. 2010/18/0198 bis 0202 protokollierten, im Oktober 2010 ergänzten Beschwerde mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Mit den vorliegend in Beschwerde gezogenen Ladungsbescheiden vom 12. August 2010 forderte die Bundespolizeidirektion Wien (die belangte Behörde) die fünf Beschwerdeführer auf, am 19. August 2010 um 15.00 Uhr "zu uns" zu kommen, um in der von ihr zu bearbeitenden Angelegenheit "Klärung der Identität, Interviewtermin bei dem türkischen Konsulat" als Parteien mitzuwirken. Angeführt war (ohne Nennung einer Zimmernummer oder des Namens eines Ansprechpartners) die Adresse des Generalkonsulats der Republik Türkei in Wien. Ein persönliches Erscheinen sei erforderlich. Es seien ein amtlicher Lichtbildausweis und "alle Identitätsdokumente" mitzubringen. Für den Fall, dass die Beschwerdeführer der Ladung ohne wichtigen Grund nicht Folge leisten, wurde gemäß § 74 Abs. 2 Z. 4 FPG die Erlassung eines Festnahmeauftrages angedroht. Als weitere Rechtsgrundlage für die Ladungsbescheide wurde § 19 AVG angeführt.

Über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Der in den bekämpften Bescheiden angeführte § 19 AVG lautet:

"Ladungen

§ 19. (1) Die Behörde ist berechtigt, Personen, die in ihrem Amtsbereich ihren Aufenthalt (Sitz) haben und deren Erscheinen nötig ist, vorzuladen. Im Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten sind auch Ladungen von Personen, die ihren Aufenthalt (Sitz) außerhalb des Amtsbereiches des unabhängigen Verwaltungssenates haben, zulässig.

(2) In der Ladung ist außer Ort und Zeit der Amtshandlung auch anzugeben, was den Gegenstand der Amtshandlung bildet, in welcher Eigenschaft der Geladene vor der Behörde erscheinen soll (als Beteiligter, Zeuge usw.) und welche Behelfe und Beweismittel mitzubringen sind. In der Ladung ist ferner bekanntzugeben, ob der Geladene persönlich zu erscheinen hat oder ob die Entsendung eines Vertreters genügt und welche Folgen an ein Ausbleiben geknüpft sind.

(3) Wer nicht durch Krankheit, Behinderung oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, hat die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten und kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Die Anwendung dieser Zwangsmittel ist nur zulässig, wenn sie in der Ladung angedroht waren und die Ladung zu eigenen Handen zugestellt war; sie obliegt den Vollstreckungsbehörden.

(4) Gegen die Ladung oder die Vorführung ist kein Rechtsmittel zulässig."

Die in den angefochtenen Bescheiden weiters zitierte Bestimmung des § 74 Abs. 2 Z. 4 FPG, angefügt durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 (FrÄG 2009), BGBl. I Nr. 122, hat folgenden Wortlaut:

"(2) Ein Festnahmeauftrag kann gegen einen Fremden auch dann erlassen werden,

...

4. wenn er, ohne ausreichende Entschuldigung, einer ihm zu eigenen Handen zugestellten Ladung, in der dieses Zwangsmittel angedroht war, zur Befragung zur Klärung seiner Identität und Herkunft, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Heimreisezertifikates seitens ausländischer Behörden, nicht Folge geleistet hat."

Die Erläuterungen der Regierungsvorlage zur letztgenannten Bestimmung (330 BlgNR 24. GP 32) merken dazu an:

"Im Hinblick auf Erfahrungen in der Praxis soll die neue Z 4 des § 74 Abs. 2 nunmehr klarstellen, dass ein Festnahmeauftrag gegen einen Fremden auch dann erlassen werden kann, wenn er der Ladung zu einer Amtshandlung, die der Erlangung eines Heimreisezertifikates dient, unentschuldigt nicht Folge leistet. Es handelt sich dabei um einen Festnahmeauftrag zur Vorführung vor die Behörde, auch wenn die Amtshandlung eine Befragung durch Vertreter des Herkunftsstaates des Fremden mitumfasst oder außerhalb der behördlichen Amtsräume stattfindet."

Der Gesetzgeber geht also davon aus, dass die Behörde berechtigt sein soll, einen Fremden festzunehmen, um ihn zu einer Befragung durch Vertreter des Herkunftsstaates auch außerhalb der behördlichen Amtsräume (hier: in das Generalkonsulat der Republik Türkei) vorzuführen. Das impliziert, dass auch eine derartige Ladung zulässig ist, wenn die weiteren Voraussetzungen des dafür als Rechtsgrundlage allein in Frage kommenden § 19 AVG erfüllt sind. Stets muss es sich aber um eine Ladung zu einer behördlichen Amtshandlung handeln, in deren Rahmen die beabsichtigte Befragung stattfinden soll. Diese Amtshandlung kann auch "an Ort und Stelle" erfolgen. Um sie als "behördlich" verstehen zu können, ist allerdings die Leitung durch ein Organ der Behörde unverzichtbar (vgl. in diesem Sinn das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2010/21/0401).

In der Beschwerde wird die Auffassung vertreten, die - insoweit unklaren - gegenständlichen Ladungsbescheide hätten keine Ladung vor eine österreichische Behörde (iSd eben Gesagten) verfügt. Dem ist die belangte Behörde nicht entgegen getreten. Aus den Verwaltungsakten ergibt sich vielmehr, dass die für den 19. August 2010 vorgesehene Befragung ohne Teilnahme eines Behördenvertreters erfolgen sollte.

Ist demnach davon auszugehen, dass entgegen § 19 Abs. 1 AVG keine Ladung vor die Behörde erfolgte, so waren die angefochtenen Bescheide im Hinblick auf die obigen Ausführungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Die Durchführung der von den Beschwerdeführern beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 5. Juli 2011

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