VwGH 2010/21/0211

VwGH2010/21/021126.8.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 27. Mai 2010, Zl. E1/23768/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß den §§ 31, 53 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - PFG aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei am 1. Oktober 2001 illegal nach Österreich eingereist und habe am selben Tag einen Asylantrag gestellt. Das Verfahren sei, samt feststellendem Ausspruch nach § 8 Asylgesetz 1997, erstinstanzlich am 23. Juli 2002 sowie zweitinstanzlich - und damit rechtskräftig -

am 23. September 2009 "negativ entschieden" worden. Der Beschwerdeführer befinde sich seither rechtswidrig in Österreich. Ihm sei nämlich weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt worden. Ein Aufenthaltsrecht auf Grund einer anderen gesetzlichen Bestimmung sei weder behauptet worden noch aus der Aktenlage ersichtlich.

Der Beschwerdeführer halte sich seit "mehr als 8 Jahren und 4 Monaten" im Bundesgebiet auf. Er sei seit 17. August 2002 bei der Mc Donalds Franchise GmbH nahezu durchgehend einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen, womit er EUR 1.170,-- monatlich verdiene und seinen Lebensunterhalt sicherstellen könne. Er verfüge über eine Wohnung und könne "einigermaßen deutsch sprechen". Einer seiner Brüder lebe ebenfalls in Österreich, jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt mit dem Beschwerdeführer. Dieser sei strafgerichtlich unbescholten und habe in Österreich einen Freundeskreis aufgebaut sowie einige Unterstützungserklärungen beigebracht. Ihm sei somit eine diesen Umständen entsprechende Integration zuzugestehen, sodass durch die Ausweisung in erheblicher Weise in sein Privatleben eingegriffen werde.

Jedoch werde das Gewicht dieser Integration maßgebend dadurch gemindert, dass sein Aufenthalt nur auf Grund eines Asylantrages, der sich letztlich als unberechtigt erwiesen habe, temporär berechtigt gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei - zumal nach der erstinstanzlichen Entscheidung in seinem Asylverfahren am 23. Juli 2002 - bewusst gewesen, dass er ein "Privat- und Familienleben" während eines Zeitraumes geschaffen habe, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. Er habe nicht von vornherein damit rechnen können, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen. Somit relativiere sich auch die berufliche Integration, habe der Beschwerdeführer doch bereits bei Aufnahme der Erwerbstätigkeit gewusst, dass sein Aufenthalt in Österreich nur an das Abwarten der Entscheidung über seinen Asylantrag geknüpft gewesen sei. Zudem sei er in Österreich nicht verheiratet, habe keine Kinder und lebe allein. Seine Berufsausbildung habe er - nach den Feststellungen der Erstbehörde - nicht in Österreich, sondern im Heimatland absolviert, wo er von 1995 bis 2001 selbständig als Elektriker tätig gewesen sei bzw. von Juni 1998 bis Jänner 2001 Militärdienst geleistet habe. Derzeit lebten in der Türkei noch die Eltern des Beschwerdeführers und zahlreiche Geschwister, sodass insgesamt eine Reintegration möglich erscheine. Die mit einem wirtschaftlichen Neubeginn im Heimatstaat zu besorgenden Schwierigkeiten seien im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen und stünden einer Ausweisung nicht entgegen.

Diese sei, zumal bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt die öffentliche Ordnung in hohem Maße gefährde, gemäß § 66 Abs. 1 FPG zu deren Wahrung dringend geboten. Die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften stelle nämlich einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar. Die öffentliche Ordnung werde schwer wiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begäben und versuchten, damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dasselbe gelte, wenn Fremde nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verließen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund seien auch keine tauglichen Gesichtspunkte erkennbar, um das der Behörde durch § 53 Abs. 1 FPG eingeräumte Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers zu üben.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass sein eingangs dargestelltes Asylverfahren rechtskräftig beendet ist. Auch ist der Beschwerde nicht zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - beim Beschwerdeführer vorläge. Es bestehen somit keine Bedenken gegen die behördliche Annahme, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

"1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

  1. 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
  2. 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
  3. 4. der Grad der Integration;
  4. 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
  5. 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
  6. 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

    8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren."

    Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde eine erforderliche Interessenabwägung am Maßstab der Kriterien des § 66 Abs. 2 FPG in der genannten Fassung vorgenommen und dabei auch die in der Beschwerde angeführten, für einen Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sprechenden Umstände (vor allem den rund achteinhalbjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet, die jahrelange unselbständige Erwerbstätigkeit und damit verbundene Selbsterhaltungsfähigkeit, Kenntnisse der deutschen Sprache, Unbescholtenheit sowie Kontakte zu Angehörigen, Freunden und Bekannten in Österreich) in diese Beurteilung einbezogen.

    Dem Vorbringen zur Integration des Beschwerdeführers während seines langjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet hielt die belangte Behörde dabei aber zutreffend entgegen, dass dieser durch eine illegale Einreise begonnene und nur vorläufig rechtmäßige Aufenthalt lediglich auf einen unbegründeten Asylantrag zurückzuführen war und seit Beendigung des Asylverfahrens unrechtmäßig ist. Die während des Aufenthalts erlangten Gesichtspunkte der Integration wurden in einem Zeitraum erworben, als sich der Beschwerdeführer (spätestens) auf Grund der Abweisung seines Asylantrages mit erstinstanzlichem Bescheid vom 23. Juli 2002 der Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er also - für den Fall eines negativen Ausgangs seines Asylverfahrens - nicht mit einem dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet rechnen durfte.

    Warum es an diesem Bewusstsein, das ohne weiteres jedenfalls ab Zustellung des den Asylantrag erstinstanzlich abweisenden Bescheides vom 23. Juli 2002 angenommen werden durfte, gefehlt haben soll, vermag die Beschwerde nicht schlüssig aufzuzeigen.

    Zwar hat § 66 Abs. 2 Z. 8 FPG schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348). Schon von daher geht das abschließende Argument des Beschwerdeführers fehl, eine Relativierung der während eines Asylverfahrens erzielten Integration entziehe den in den §§ 43 und 44 NAG "für Langzeitasylwerber" vorgesehenen Regelungen den Anwendungsbereich. Jedoch sind nach dem Gesagten die im vorliegenden Fall zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände, darunter auch die in der Beschwerde hervorgehobene Unbescholtenheit, in ihrer Gesamtheit betrachtet nicht von solchem Gewicht, dass sie eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung begründen könnten.

    Die belangte Behörde ist nämlich im Recht, wenn sie im Verhalten des Beschwerdeführers eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen gesehen hat. Es trifft zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein sehr hoher Stellenwert zukommt (vgl. zum Ganzen neuerlich etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348, mwN).

    Auch tritt die Beschwerde der Ansicht der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegen, dass dem unverheirateten und kinderlosen Beschwerdeführer eine Ausreise in die Türkei als seinem Heimatstaat, in dem unstrittig noch einige seiner Familienangehörigen leben, zuzumuten sei.

    Der Argumentation mit dem Fehlen dort bestehender sozialer Kontakte in nennenswertem Umfang ist zu entgegnen, dass kein Grund ersichtlich ist, warum derartige, vom Beschwerdeführer selbst aus eigenem Entschluss abgebrochene Beziehungen nicht wieder hergestellt werden könnten. Darüber hinaus sind mit einem wirtschaftlichen Neubeginn in der Türkei verbundene Schwierigkeiten auf Grund des öffentlichen Interesses an der Erlassung einer Ausweisung in Kauf zu nehmen.

    Zusammenfassend ist es somit insgesamt fallbezogen nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Ausweisung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unzulässigen Eingriff in sein Privatleben angesehen hat. Schließlich werden in der Beschwerde auch keine ausreichenden Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinn des Gesetzes erfolgt wäre.

    Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

    Wien, am 26. August 2010

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