VwGH 2010/21/0164

VwGH2010/21/016424.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerden von 1. D C,

2. S C, und 3. A C, alle vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres jeweils vom 19. April 2010, Zl. 155.850/2-III/4/10, Zl. 155.850/3- III/4/10, und Zl. 155.850/4-III/4/10, jeweils betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §292 Abs3;
ASVG §293 Abs1;
FrÄG 2009;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4 idF 2009/I/122;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3 idF 2009/I/122;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs5 idF 2009/I/122;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §46 Abs4;
VwRallg;
ASVG §292 Abs3;
ASVG §293 Abs1;
FrÄG 2009;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4 idF 2009/I/122;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs3 idF 2009/I/122;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §11 Abs5 idF 2009/I/122;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §46 Abs4;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Auf Grund der Beschwerden und der ihr angeschlossenen Bescheidkopien ergibt sich Folgendes:

Die Erstbeschwerdeführerin und ihre beiden minderjährigen Kinder (Zweit- und Drittbeschwerdeführer), türkische Staatsangehörige, stellten bei der österreichischen Botschaft in Ankara am 14. Juli 2009 - auf ihren Ehemann bzw. Vater, einen im Besitz eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG" befindlichen türkischen Staatsangehörigen, bezogene - Erstanträge auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" mit dem Ziel der Familienzusammenführung in Österreich.

Diese Anträge wies die Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) mit den im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheiden vom 19. April 2010 gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) ab.

Die im wesentlichen inhaltsgleichen Begründungen dieser Bescheide lassen sich dahin zusammenfassen, dass der Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführer, der eine Haftungserklärung abgegeben habe, unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen über ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen in der Höhe von EUR 1.436,16 verfüge. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes würden die zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel durch Kredit- und Mietbelastungen sowie "Pfändungen" geschmälert. Demnach seien die monatlichen Mietkosten von EUR 350,--, vermindert um den "Wert der freien Station" von EUR 250,50, zusätzlich zu berücksichtigen. Dazu komme aufgrund des Ergebnisses eines Schuldenregulierungsverfahrens noch eine weitere monatliche Belastung des Ehemannes bzw. Vaters der Beschwerdeführer, die zu ihren Gunsten mit EUR 50,-- angenommen werde. Die Höhe der nachzuweisenden Unterhaltsmittel müsse dem Richtsatz nach § 293 ASVG entsprechen, der für eine Ehepaar, das im gemeinsamen Haushalt lebe, EUR 1.175,45 und für ein minderjähriges Kind EUR 82,16 betrage. Demnach müsste der Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführer über ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.571,43 (EUR 1.175, 45 für das Ehepaar und 3 x EUR 82,16 = EUR 246,48 für Zweit- und Drittbeschwerdeführer sowie für ein schon in Österreich befindliches weiteres minderjähriges Kind zuzüglich EUR 99,50 an Mietbelastung und EUR 50,-- für die Schuldentilgung) verfügen. Dem stehe das tatsächlich bezogene Einkommen von monatlich EUR 1.436,16 gegenüber, sodass die für einen Aufenthalt der Beschwerdeführer erforderlichen Unterhaltsmittel nicht nachgewiesen worden seien.

Es sei schließlich auch nicht geboten, gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK den beantragten Aufenthaltstitel zu erteilen, weil nach der Judikatur des EGMR einer Ausländerfamilie nicht das unbedingte Recht auf ein gemeinsames Familienleben in einem Vertragsstaat zustehe und die genannte Bestimmung nicht die generelle Verpflichtung eines Vertragsstaates umfasse, die Wahl des Familienwohnsitzes anzuerkennen.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, weitgehend inhaltlich gleichen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof - wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges gemeinsam - erwogen hat:

1.1. Die Anträge der Beschwerdeführer waren jeweils auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 46 Abs. 4 NAG gerichtet. Nach dieser Bestimmung ist der genannte Aufenthaltstitel Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen insbesondere unter der Voraussetzung zu erteilen, dass sie die Bedingungen des 1. Teiles des NAG erfüllen und der Zusammenführende einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" innehat. Die mit dem Verweis auf den 1. Teil des NAG (u.a.) angesprochenen allgemeinen Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel sind im § 11 angeführt, der in der hier maßgeblichen Fassung des am 1. Jänner 2010 in Kraft getretenen Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2009 (FrÄG) auszugsweise wie folgt lautet:

"§ 11.

(1) ...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

...

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

...

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

  1. 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
  2. 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
  3. 4. der Grad der Integration;
  4. 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;
  5. 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
  6. 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

    8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

(4) ...

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung (Abs. 2 Z 15 oder 18), ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen."

1.2. Zur geänderten Fassung des § 11 Abs. 5 NAG führen die Materialien zum FrÄG (RV 330 BlgNR XXIV. GP 43) Folgendes aus:

"Der vorgeschlagene Abs. 5 normiert wie bisher, unter welchen Voraussetzungen der Aufenthalt eines Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führt. Entsprechend der geltenden Rechtslage sind dabei Einkünfte in der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 ASVG nachzuweisen. Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass damit lediglich ein Referenzwert festgelegt wird, nicht jedoch müssen die Betreffenden bezugsberechtigt für den ASVG Richtsatz sein. Dabei ist wie bisher der je nach der zugrundeliegenden familiären Situation in Betracht kommende Richtsatz - der für Alleinstehende oder für Ehepaare, mit oder ohne Erhöhung des Satzes für Kinder etc. - heranzuziehen.

Der Zweck des Verweises des § 11 Abs. 5 auf § 293 ASVG ist, einen ziffernmäßig bestimmten Betrag zu fixieren, bei dessen Erreichung von einer Deckung der üblicherweise notwendigen Kosten der Lebensführung ausgegangen werden kann. Nicht beinhaltet in diesen(m) Betrag sind jedoch jene Kosten und Belastungen, die über die gewöhnliche Lebensführung im Einzelfall hinausgehen, womit unterschiedlichen Lebenssachverhalten Rechnung getragen wird. Um klar zu stellen, dass diese außergewöhnlichen Kosten dem gemäß § 293 ASVG erforderlichen Betrag hinzuzählen sind, soll der zweite Satz im Abs. 5 eingefügt und damit eine Präzisierung herbeigeführt werden.

Durch die demonstrative Aufzählung von 'Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen' soll verdeutlicht werden, dass die individuelle Situation des Antragstellers oder des im Falle einer Familienzusammenführung für ihn Aufkommenden, die Höhe der erforderlichen Unterhaltsmittel beeinflusst, weshalb die tatsächliche Höhe der Lebensführungskosten als relevanter Faktor mit zu berücksichtigen ist. Diese Ausgaben sind daher wie bisher vom (Netto)Einkommen in Abzug zu bringen. Dadurch bleibt gewährleistet, dass z.B. mit besonders hoher Miete belastete Fremde von vornherein nachweisen müssen, dass sie sich die von ihnen beabsichtigte Lebensführung im Hinblick auf ihr Einkommen auch tatsächlich leisten können.

Dezidiert soll nun auch festgelegt werden, dass dabei, das heißt bei der Feststellung der über die gewöhnliche Lebensführung hinausgehenden Kosten, der 'Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt' zu bleiben hat und dass dieser Betrag 'zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes' des Abs. 5 führt. Diese in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG genannte Größe entspricht dem ziffernmäßigen Betrag der freien 'Station'. In Folge dessen, dass nun Mietbelastungen als regelmäßige Aufwendung das feste und regelmäßige Einkommen des Antragstellers schmälern, hat der Wert der freien Station einmalig unberücksichtigt zu bleiben ('Freibetrag'). Dies bedeutet, dass letztlich nur jene Mietbelastungen oder andere in der beispielhaften Aufzählung des zweiten Satzes des Abs. 5 genannte Posten, vom im Abs. 5 genannten Einkommen in Abzug zu bringen sind, welche über dem in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG genannten (Frei)Betrag liegen. Das bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass der Betrag des § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG die notwendigen Unterhaltsmittel in Höhe der in Betracht kommenden Richtsätze des § 293 ASVG dann schmälert, wenn etwa gar kein Mietaufwand anfällt. Durch die Einfügung der Haftungs- und Patenschaftserklärung im letzten Satz des Abs. 5 wird der geltenden Praxis sowie der letzten Novelle des NAG, BGBl. I Nr. 29/2009, Rechnung getragen."

2.1. In den Beschwerden wird zugestanden, dass sich aus den vorgelegten Lohnbestätigungen für die Monate Mai bis Oktober 2009 ein Nettodurchschnittverdienst des Ehemannes bzw. Vaters der Beschwerdeführer in dem von der belangten Behörde angenommenen Ausmaß von EUR 1.436,16 ergibt. Die Beschwerdeführer meinen aber, es wäre jenes - um die Schuldentilgungsrate zu vermindernde - Einkommen zugrunde zu legen gewesen, das der Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführer in dem im Schuldenregulierungsverfahren vorgelegten Vermögensverzeichnis mit EUR 1.503,71 angegeben habe.

Daraus ist für die Beschwerdeführer aber schon deshalb nichts zu gewinnen, weil auch ein Einkommen in dieser Höhe den von der belangten Behörde ermittelten Betrag von EUR 1.571,43 deutlich unterschreitet und für eine Stattgebung aller Anträge nicht ausreicht. Dabei kann - mangels gegenteiligen Vorbringens in der Beschwerde - mit der belangten Behörde unterstellt werden, dass die Beschwerdeführer (Mutter mit minderjährigen Kindern) nur gemeinsam nach Österreich nachziehen wollen.

2.2. Weiters machen die Beschwerdeführer geltend, die im Schuldenregulierungsverfahren festgesetzte Quote betrage 11,3 Prozent der Gesamtschulden von EUR 57.149,35, woraus sich eine monatliche Tilgungsrate von EUR 76,87 ergebe. Dadurch, dass die belangte Behörde diesen Betrag nur mit EUR 50,-- angesetzt hat, sind die Beschwerdeführer aber nicht in ihren Rechten verletzt.

2.3.1. Schließlich meinen die Beschwerdeführer noch, die Höhe der Miete hätte bei der Berechnung des zur Verfügung stehenden Betrages keine Rolle spielen dürfen. Die belangte Behörde hätte nur zu prüfen gehabt, ob das Einkommen des Ehemannes bzw. Vaters der Beschwerdeführer den vom Gesetz geforderten Richtsatz übersteige. Die von der belangten Behörde vorgenommene Berechnung widerspreche dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. September 2009, Zl. 2007/18/0651.

2.3.2. Den Beschwerdeführern ist zwar zuzugestehen, dass der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 3. April 2009, Zl. 2008/22/0711, auf das in dem von ihnen genannten Erkenntnis Bezug genommen wird, ausführte, es bestehe keine Grundlage, das zu berücksichtigende Einkommen des Unterhaltspflichtigen durch Wohnkosten zu schmälern, und es sei auch kein Grund ersichtlich, demselben einen "Wert der freien Station" hinzuzurechnen. Die Beschwerdeführer übersehen aber, dass sich diese Judikatur auf die Rechtslage vor den - hier jedoch bereits zu berücksichtigenden - Änderungen im § 11 Abs. 5 NAG durch das FrÄG bezieht. Nach der nunmehrigen Fassung der genannten Bestimmung in Verbindung mit den wiedergegebenen Erläuterungen kann aber nicht zweifelhaft sein, dass die von der belangten Behörde gewählte Vorgangsweise - Berücksichtigung der den "Freibetrag" nach § 292 Abs. 3 ASVG übersteigenden monatlichen Mietbelastungen als einkommensmindernd -

mit der im vorliegenden Fall maßgeblichen, nunmehr geltenden Rechtslage im Einklang steht.

3. Somit lässt bereits der Inhalt der Beschwerden, in denen der (vom Verwaltungsgerichtshof nicht zu beanstandenden) behördlichen Beurteilung unter dem Gesichtspunkt des § 11 Abs. 3 NAG nicht entgegen getreten wird, erkennen, dass die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen.

Die Beschwerden waren daher gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 24. Juni 2010

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