VwGH 2010/21/0110

VwGH2010/21/011019.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des D, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 10, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 13. Jänner 2010, Zl. UVS 26.20-5/2009-4, betreffend Antrag auf Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art32;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
EURallg;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art32;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
EURallg;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist rumänischer Staatsangehöriger und reiste gemäß seinen Angaben erstmals 1996 nach Österreich ein. Hier heiratete er im Jänner 1997 eine österreichische Staatsbürgerin.

Mit Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 6. Februar 1998 wurde über den Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Bandendiebstahls durch Einbruch, teils in der Begehungsform des Versuches, sowie wegen des Verbrechens der Hehlerei eine vierjährige Freiheitsstrafe - mit Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 24. Juni 1998 reduziert auf dreieinhalb Jahre - verhängt. Dem lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer als Mitglied einer rumänischen Bande zwischen November 1996 und Juni 1997 in über 30 Fällen im Raum Judenburg (versuchte) Einbruchsdiebstähle und in einem Fall auch Hehlerei begangen hatte.

Im Hinblick auf die dargestellte strafgerichtliche Verurteilung bzw. das dieser zugrunde liegende strafrechtliche Fehlverhalten erließ die Bezirkshauptmannschaft Judenburg gegen den mittlerweile geschiedenen Beschwerdeführer mit Bescheid vom 19. Mai 2000 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Auf dessen Grundlage wurde er nach bedingter Entlassung aus der Freiheitsstrafe (verbüßter Strafteil: drei Jahre) im Juni 2000 nach Rumänien abgeschoben.

Nach eigenen Angaben gelangte der Beschwerdeführer am 28. November 2000 neuerlich nach Österreich. Hier wurde er am 6. Dezember 2000 bei einem versuchten Ladendiebstahl betreten, weswegen er mit Urteil des Bezirksgerichtes Judenburg vom 7. Dezember 2000 zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt wurde. Am 14. Dezember 2000 wurde er daraufhin neuerlich nach Rumänien abgeschoben.

Bereits im Februar 2001 reiste der Beschwerdeführer wiederum nach Österreich ein. Am 7. Juli 2001 wurde er abermals, nunmehr zum dritten Mal, nach Rumänien abgeschoben.

Mit Eingabe vom 26. Februar 2008 stellte der Beschwerdeführer den Antrag, das bestehende Aufenthaltsverbot aufzuheben. Das begründete er im Wesentlichen damit, dass die dem Aufenthaltsverbot zugrunde liegende Verurteilung bereits über zehn Jahre zurückliege und dass er am 13. November 2006 Vater einer österreichischen Staatsbürgerin geworden sei; die Kindesmutter, gleichfalls österreichische Staatsbürgerin, beabsichtige ihn zu ehelichen, wenn ein gemeinsames Familienleben in Österreich gestattet werde.

Die Bezirkshauptmannschaft Judenburg wies diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Juni 2008 gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ab, wobei sie im Wesentlichen auf den versuchten Ladendiebstahl vom 6. Dezember 2000 und die mehrfache Einreise nach Österreich trotz aufrechtem Aufenthaltsverbot verwies; die für die seinerzeitige Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe "und auch die Sonderbestimmungen gemäß § 86 Abs. 1 FPG" seien (daher) nach wie vor gegeben. Dieser Bescheid erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Am 30. Juni 2009 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf Aufhebung des bestehenden Aufenthaltsverbotes. Auch diesen Antrag wies die Bezirkshauptmannschaft Judenburg, mit Bescheid vom 2. September 2009, gemäß § 65 Abs. 1 FPG ab.

Der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark (die belangte Behörde) mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 13. Jänner 2010 keine Folge. Das begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass jene Sachverhaltsänderungen, die sich seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes bis zum 11. Juni 2008 ergeben hätten, von der Rechtskraft des Bescheides vom 11. Juni 2008 (Entscheidung der Bezirkshauptmannschaft Judenburg über den ersten Aufhebungsantrag) erfasst seien. Nunmehr seien daher nur mehr "jene Gründe" zu prüfen, die sich seit rechtskräftiger Erledigung des vorherigen Antrages ergeben hätten. Solche Gründe seien weder vorgebracht worden noch sonst ersichtlich, weshalb sich der gegenständliche Aufhebungsantrag schon aus diesem Blickwinkel als unbegründet erweise. Auch wenn man berücksichtige - so die belangte Behörde weiter -, dass nun jedenfalls ein weiterer Zeitraum vorliege, in dem sich der Beschwerdeführer augenscheinlich wohl verhalten habe, und diesen Zeitraum nicht isoliert, sondern in seiner gesamten Länge seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes werten wollte, sei das Aufenthaltsverbot aufrechtzuerhalten. Zwar sei der Beschwerdeführer seit Dezember 2000 in Österreich nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten und weise auch das rumänische Strafregister keine Eintragungen auf; es sei jedoch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer den seinerzeitigen versuchten Ladendiebstahl trotz vorheriger einschlägiger "Verurteilungen" und trotz Aufenthaltsverbotes nach neuerlicher illegaler Einreise begangen habe und dass er trotz mehrfacher Abschiebung durch mehrfache illegale Einreise trotz aufrechten Aufenthaltsverbotes "insistierend" gegen die österreichische Rechtsordnung verstoßen habe. Damit komme eine besondere Gleichgültigkeit gegenüber der österreichischen Rechtsordnung und den in Österreich rechtlich geschützten Werten zum Ausdruck, was auch die Partnerschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin (Mutter des 2006 geborenen Kindes) erheblich relativiere. Die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes erscheine somit erforderlich, weil auf Grund des persönlichen Verhaltens des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet sei und sein persönliches Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinn des § 86 Abs. 1 "erster bis fünfter" Satz FPG berühre. Auch im Grunde des § 66 FPG sei die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes nicht geboten.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer ist als rumänischer Staatsangehöriger seit 1. Jänner 2007 EWR-Bürger. Im Hinblick darauf legte die belangte Behörde bei der im gegenständlichen Zusammenhang maßgeblichen Frage, ob in Bezug auf den Beschwerdeführer eine Gefährlichkeitsprognose weiterhin zu treffen sei, zutreffend den verschärften Prognosemaßstab nach § 86 Abs. 1 FPG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011) zugrunde. Dass § 86 Abs. 1 FPG - neben Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen - nur "gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger" anspricht, steht dem im Hinblick auf die gebotene richtlinienkonforme Auslegung dieser Bestimmung nicht entgegen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Februar 2011, G 54/10, iVm mit Art. 32 der Richtlinie 2004/38/EG ).

Die belangte Behörde ist weiter mit ihrer Auffassung im Recht, dass jene Sachverhaltsänderungen, die bis zur Erlassung der in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung der Bezirkshauptmannschaft Judenburg vom 11. Juni 2008 über den ersten Aufhebungsantrag des Beschwerdeführers eingetreten sind, bereits einer Beurteilung unterzogen wurden. Soweit ihren primären Überlegungen, seither seien keine neuen Gründe für eine Aufhebung des Aufenthaltsverbotes vorgebracht worden, und der gegenständliche Antrag sei schon aus diesem Blickwinkel unbegründet, die Ansicht zugrunde liegen sollte, die bis zur genannten Entscheidung vom Juni 2008 verstrichene Zeit sei damit einer Bewertung im Rahmen des nunmehrigen Aufhebungsantrages entzogen, könnte ihr aber nicht gefolgt werden. Vielmehr ist im Sinn ihrer vorsichtshalber ohnehin angestellten Erwägungen davon auszugehen, dass es zur Einschätzung der aktuellen Gefährlichkeit des Beschwerdeführers einer Bedachtnahme auf den gesamten zur Verfügung stehenden Beobachtungszeitraum - insbesondere seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes - bedarf. Dabei zeigt sich, dass dem Beschwerdeführer seit dem versuchten Ladendiebstahl vom 6. Dezember 2000 kein weiteres strafrechtliches Fehlverhalten angelastet werden kann. Dieser versuchte Ladendiebstahl lag bei Erlassung des bekämpften Bescheides bereits mehr als neun Jahre zurück. Ungeachtet des insoweit einschlägigen Rückfalls in Bezug auf die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen gravierenden Vermögensdelikte, seit deren Begehung bereits mehr als zwölfeinhalb Jahre verstrichen sind, kann aber nicht mehr gesagt werden, vom Beschwerdeführer gehe - aus strafrechtlicher Sicht - nach wie vor eine gegenwärtige Gefahr im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG aus. Soweit die belangte Behörde aber für ihre Beurteilung, die Annahme des § 86 Abs. 1 FPG sei gerechtfertigt, das mehrfach gezeigte fremdenrechtliche Fehlverhalten des Beschwerdeführers ins Treffen führt, ist ihr zu erwidern, dass insoweit im Hinblick auf die Unionsbürgerschaft des Beschwerdeführers für sich genommen kein Grundinteresse der Gesellschaft berührt sein kann (vgl. in diesem Sinn etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2009/21/0376). Dass aus dem fremdenrechtlichen Fehlverhalten des Beschwerdeführers nicht darauf geschlossen werden kann, er werde in Hinkunft wiederum strafrechtlich relevante Handlungen begehen, sei der Vollständigkeit halber angemerkt.

Im Ergebnis zeigt sich, dass die belangte Behörde ohne ausreichende Anhaltspunkte zugrunde legte, vom Beschwerdeführer gehe aktuell eine Gefahr im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG aus. Ihr Bescheid ist daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Da die Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen nach dieser Verordnung enthalten ist, war das auf Ersatz derselben gerichtete Mehrbegehren abzuweisen.

Wien, am 19. April 2012

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