Normen
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 iVm § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Begründend führte sie im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am 3. Mai 1999 illegal nach Österreich eingereist und habe zunächst über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach asylrechtlichen Bestimmungen verfügt. Nachdem seine Mutter einen österreichischen Staatsbürger geheiratet habe, habe er eine Niederlassungsbewilligung als begünstigter Drittstaatsangehöriger eines Österreichers mit Gültigkeit bis 31. Jänner 2004 erhalten. Am 12. Februar 2004 sei ein Verlängerungsantrag eingebracht worden.
Am 12. März 2004 sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien gemäß § 142 Abs. 1, § 15 sowie § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon neun Monate bedingt nachgesehen, rechtskräftig verurteilt worden, weil er teils alleine, teilweise mit Mittätern anderen Personen durch Androhung von Schlägen bzw. gewaltsames Entreißen der Beute in vier Angriffen im Oktober 2003 insgesamt fünf Handys gestohlen sowie im Jahr 2003 in mehreren Angriffen Passantinnen deren Handtasche samt Inhalt zu stehlen versucht habe. Im Dezember 2002 bzw. Oktober 2003 habe sich der Beschwerdeführer an zwei weiteren Straftaten durch "Aussuchen einer Passantin bzw. Bereithalten zum allfälligen Eingreifen und Leisten von Aufpasserdiensten" beteiligt.
Am 26. Oktober 2008 sei der Beschwerdeführer wegen des Verdachtes gemäß § 27 Abs. 3 SMG bei der Staatsanwaltschaft Wien angezeigt worden; das Strafverfahren sei noch anhängig. Ein weiteres durch die Anzeige vom 28. Oktober 2009 gemäß § 129 StGB eingeleitetes Verfahren sei am 21. Jänner 2010 gemäß § 190 Z. 2 StPO eingestellt worden.
Im September 2008 sowie im Dezember 2009 sei der Beschwerdeführer zweimal gemäß § 1 Abs. 3 FSG wegen des Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne die dafür erforderliche Lenkberechtigung zur Bezahlung einer Geldstrafe rechtskräftig bestraft worden.
In rechtlicher Hinsicht beurteilte die belangte Behörde die im § 60 Abs. 2 Z. 1 und Z. 2 FPG normierten Tatbestände als verwirklicht und die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG als gegeben. Das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit - in concreto: das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Gewalt- und Eigentumskriminalität sowie der Einhaltung der verwaltungsstrafrechtlichen Bestimmungen - in erheblichem Ausmaß. Das wiederkehrende (gleichgelagerte) strafbare Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche sehr augenfällig, dass er letztlich nicht gewillt sei, die für ihn maßgebenden Rechtsvorschriften seines Gastlandes einzuhalten. Daher könne eine Verhaltensprognose keinesfalls zu seinen Gunsten gestellt werden. Dies umso weniger, als er seine Straftaten in einer Vielzahl von Angriffen in einem sehr kurzen Zeitraum, somit von hoher krimineller Energie gekennzeichnet, gesetzt habe.
In weiterer Folge beurteilte die belangte Behörde die Zulässigkeit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch unter dem Gesichtspunkt des § 66 FPG als gegeben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten seitens der belangten Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 12. März 2004 zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten sowie das der Verurteilung zu Grunde liegende Fehlverhalten. Er wendet sich jedoch gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Gefährdungsprognose und bringt dazu vor, "angeblich anhängige Verfahren" seien kein Hinweis auf ein "ständig delinquierendes Verhalten" des Beschwerdeführers. Für ihn gelte die Unschuldsvermutung. Er sei nur ein einziges Mal strafrechtlich verurteilt worden, ihm sei diese Verurteilung eine Lehre gewesen und er habe keine wie immer gearteten weiteren strafbaren Handlungen mehr begangen.
Dieses Vorbringen ist berechtigt.
Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist es zwar zulässig, ein (bloß) einer Strafanzeige (ohne nachfolgende Verurteilung) zu Grunde liegendes Fehlverhalten bei der Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose zu berücksichtigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. August 2008, Zl. 2008/22/0630, mwN). Dies setzt jedoch voraus, dass die der Strafanzeige zu Grunde liegenden Taten, ihre Art und Schwere sowie das Fehlverhalten festgestellt wurden und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild konkret dargestellt wurde. Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Bescheid nicht. Die belangte Behörde stellte das Fehlverhalten des Beschwerdeführers nur im Zusammenhang mit dem Urteil vom 12. März 2004 dar. Die diesbezüglichen Tathandlungen wurden in einem Zeitraum zwischen Dezember 2002 und Ende 2003 begangen. Zu den Anzeigen vom Oktober 2008 wegen des Verdachtes des Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz sowie vom Oktober 2009 wegen Einbruchsdiebstahls - letzteres Verfahren wurde im Jänner 2010 eingestellt - enthält der angefochtene Bescheid keine Beschreibung der dem Beschwerdeführer konkret angelasteten Straftaten und der Begleitumstände (und demgemäß auch keine beweiswürdigenden Ausführungen). Wenn die belangte Behörde in ihrer Gefährdungsprognose somit davon ausgeht, die Straftaten des Beschwerdeführers seien "in einer Vielzahl von Angriffen in einem sehr kurzen Zeitraum, somit von hoher krimineller Energie gekennzeichnet, gesetzt" worden, ist nicht nachvollziehbar, ob sich diese Beurteilung auf die in den Jahren 2002 und 2003 begangenen - somit zumindest über sechs Jahre zurückliegenden - strafbaren Handlungen oder auf einen späteren Zeitpunkt bezieht. Somit kann nicht beurteilt werden, ob der Beschwerdeführer - der im Übrigen bei Begehung der Straftaten in den Jahren 2002 und 2003 noch minderjährig war - zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG darstellte.
Mangels ausreichender Feststellungen, die aber für eine umfassende Beurteilung des vorliegenden Falls unerlässlich sind, entzieht sich der angefochtene Bescheid der inhaltlichen Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof. Er war sohin wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a und b VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 24. Jänner 2012
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