VwGH 2010/15/0144

VwGH2010/15/014423.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des K Z in O, vertreten durch Dr. Michael Kotschnigg, Steuerberater in 1020 Wien, Praterstraße 14/23, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom 28. Juni 2010, Zlen. RV/1203- L/09, RV/1284-L/09, RV/0343-L/10, betreffend u.a. Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 1 BAO, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §303 Abs1 litb idF 2002/I/097;
BAO §303 Abs1 litb;
BAO §303 Abs4;
BAO §85 Abs2;
VwRallg;
BAO §303 Abs1 litb idF 2002/I/097;
BAO §303 Abs1 litb;
BAO §303 Abs4;
BAO §85 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Auf Grund der Beschwerde und der mit ihr vorgelegten Bescheidausfertigung ergibt sich Folgendes:

Der Beschwerdeführer erzielte im Streitjahr 2005 Einkünfte als selbständiger Unternehmensberater. Mangels Abgabe von Steuererklärungen wurden die Umsatz- und Einkommensteuerbemessungsgrundlagen 2005 mit Bescheiden vom 11. April 2007 im Schätzungswege festgesetzt.

Die Bescheide erwuchsen unangefochten in Rechtskraft.

Im August 2007 reichte der Beschwerdeführer die Umsatz- und Einkommensteuererklärungen 2005 zunächst auf elektronischem Wege, später per Post samt Bilanz beim Finanzamt ein. In der Einkommensteuererklärung wurden negative Einkünfte ("nachträgliche Betriebsausgaben" iSd § 32 Z 2 EStG 1988 von insgesamt EUR 653.048,09) ausgewiesen.

Das Finanzamt nahm das Verfahren betreffend Umsatzsteuer 2005 mit Bescheid vom 17. März 2008 (zu Gunsten des Beschwerdeführers) von Amts wegen wieder auf und setzte die Umsatzsteuer dieses Jahres erklärungsgemäß fest.

Mit Eingabe vom 2. Juli 2009 beantragte der Beschwerdeführer auch das Einkommensteuerverfahren 2005 wiederaufzunehmen. Er begründete seinen Antrag damit, dass es "aufgrund einer wirtschaftlich existenzbedrohenden Situation im Zeitraum 2004 bis 2007 bedauerlicherweise zum Versäumnis der rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärungen gekommen sei". Der in der Einkommensteuererklärung 2005 angeführte Verlust sei darauf zurückzuführen, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2001 mit einem bestimmten mehrere Jahre dauernden Projekt beauftragt worden sei und er das für den Erfolgsfall vereinbarte Honorar in den Jahren 2002 und 2003 bereits erfolgswirksam in seine Bücher aufgenommen habe. Letzten Endes sei das Projekt aber wider Erwarten gescheitert, sodass der gesamte Erfolgsanspruch hinfällig geworden und im Streitjahr 2005 als Forderungsverlust hätte ausgebucht werden müssen. Damit seien Tatsachen neu hervorgekommen, die ohne grobes Verschulden des Beschwerdeführers bisher nicht geltend gemacht worden seien.

Mit Bescheid des Finanzamtes vom 21. September 2009 wurde der Antrag mit der Begründung abgewiesen, dass dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Ergehens des Einkommensteuerbescheides 2005 alle Belege zur Erstellung einer entsprechenden Steuererklärung vorgelegen seien. Das Finanzamt gehe daher von einem groben Verschulden des Beschwerdeführers bei der "Nichtgeltendmachung vorhandener Tatsachen oder Beweismittel" aus.

Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen.

Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und allgemeinen rechtlichen Ausführungen zur Bestimmung des § 303 Abs. 1 lit. b BAO stützte sich die belangte Behörde in der Bescheidbegründung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen:

Durch das Urteil des OGH vom 24. Mai 2005, sei der vom Beschwerdeführer angesprochene Forderungsausfall endgültig festgestanden. Dem Beschwerdeführer sei dies spätestens Ende Mai 2005 bekannt gewesen. Faktum sei weiters, dass der Beschwerdeführer seinen abgabenrechtlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei (Einreichung von Steuererklärungen für das Jahr 2005) und aus diesem Grund von der Abgabenbehörde erster Instanz eine Schätzung habe vorgenommen werden müssen. Der Einkommensteuerbescheid 2005 sei rechtskräftig geworden. Der Beschwerdeführer habe die Bilanz 2005 "mit den darin ausgewiesenen Forderungsverlusten erst nach dem rechtskräftigen Schätzungsverfahren vorgelegt". Nach Ansicht der belangten Behörde hätte der Beschwerdeführer "die Verluste auch in der Berufung gegen die Schätzungsbescheide vorbringen" können. Es müsse dem Beschwerdeführer infolge jahrelanger Streitigkeiten auch bekannt gewesen sein, dass möglicherweise ein Zahlungsausfall drohe. Dennoch habe der Beschwerdeführer die Rechtsmittelfrist ungenützt verstreichen lassen. Da im Beschwerdefall schon keine neue Tatsache iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO vorläge (Fehlen eines Wiederaufnahmsgrundes), sei auf die Frage, ob der Beschwerdeführer wegen seiner vorübergehenden wirtschaftlichen Notlage kein grobes Verschulden zu vertreten hätte, nicht mehr einzugehen.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die gegenständliche Beschwerde. Der Beschwerdeführer bringt vor, der angefochtene Bescheid entspreche nicht dem Gesetz, weil der maßgebliche Sachverhalt nur bruchstückhaft, anstatt geschlossen dargestellt werde. Überdies habe die belangte Behörde den Wiederaufnahmsgrund des Finanzamtes durch einen anderen ersetzt. Ein (unzulässiger) Austausch von Wiederaufnahmsgründen durch die belangte Behörde sei insoweit erfolgt, als das Finanzamt als einzigen Grund für die Ablehnung der Wiederaufnahme das "grobe Verschulden" des Beschwerdeführers ins Treffen geführt habe, worauf die belangte Behörde gar nicht eingegangen sei. Das weitere Argument, der Beschwerdeführer hätte den Forderungsausfall bereits im Berufungsweg geltend machen können, sei zwar richtig, jedoch unberechtigt, weil es - konsequent zu Ende gedacht - in Abgabensachen eine Wiederaufnahme dann gar nicht geben dürfte.

Die belangte Behörde habe keine Feststellungen zum maßgeblichen Geschehen getroffen, das darin liege, dass Forderungen aus den Jahren 1998 bis 2004 in Höhe von 600.000 EUR ausgefallen seien, welche in den Vorjahren nach allgemeinen Bilanzierungsgrundsätzen in voller Höhe versteuert worden seien. Die Berücksichtigung dieses Tatumstandes im Sachverhalt hätte genügt, um zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis zu gelangen. Der angefochtene Bescheid erwecke unterschwellig den Eindruck, als spielten die Vorjahre bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Streitjahres keine entscheidende Rolle. Auch sei es aufschlussreich, dass das Finanzamt das Verfahren betreffend die Umsatzsteuer 2005 wieder aufgenommen habe, wiewohl es dort nur um 3.224,77 EUR gegangen sei. Es sei bemerkenswert, dass die belangte Behörde an dem recht eigenwilligen Vorgehen des Finanzamtes rein gar nichts auszusetzen habe. Der Besteuerung dürften nur reale, nicht alternativ mögliche oder gar fiktive Sachverhalte zu Grunde gelegt werden. Aus naheliegenden Gründen bleibe das Finanzamt jede Antwort auf die Kernfrage schuldig, weshalb die Umsatzsteuer 2005 aufgerollt worden sei, die Einkommensteuer desselben Jahres trotz finanzieller Auswirkungen von mindestens 200.000 EUR (Verlustvortrag) hingegen nicht.

Insbesondere übersehe die belangte Behörde, dass die Besteuerung an Lebenssachverhalte anknüpfe, die aus unmittelbar einsichtigen Gründen Rechtsfolgen nach sich zögen. Die Ablehnung einer Wiederaufnahme mangels neuer Tatsachen wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der maßgebliche Sachverhalt der Behörde bereits im Erstverfahren vollständig offengelegt worden wäre und sie schon damals bei richtiger rechtlicher Beurteilung zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können. Im Beschwerdefall seien die Besteuerungsgrundlagen aber mangels Deklaration im Schätzungswege ermittelt worden. Folglich sei jeder im weiteren Verfahren neu hervorgekommene Umstand ein tauglicher Wiederaufnahmsgrund, somit auch der in diesem Jahr eingetretene Forderungsverlust, den das Finanzamt bei Ergehen des Erstbescheides weder gekannt habe noch kennen konnte. Damit hätte die belangte Behörde der Berufung vollinhaltlich stattgeben müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO idF BGBl. I Nr. 197/2002 ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Eine Verfahrenswiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 lit. b leg. cit. hat somit nur unter bestimmten Voraussetzungen zu erfolgen, deren Vorliegen vom Wiederaufnahmewerber - gegebenenfalls über Aufforderung gemäß § 85 Abs. 2 BAO - in seinem Antrag konkretisiert und schlüssig darzulegen ist. Der Wiederaufnahmewerber ist im Verwaltungsverfahren für das Vorliegen des Wiederaufnahmsgrundes behauptungs- und beweispflichtig (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 22. November 2006, 2006/15/0173).

Sache des Berufungsverfahrens war der vom Beschwerdeführer eingereichte Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens im Zusammenhang mit dem darin vorgebrachten Wiederaufnahmsgrund des Ausfalls bestimmter in den Vorjahren ertragssteuerlich erfasster Forderungen. Mit diesem vom Beschwerdeführer vorgebrachten Wiederaufnahmsgrund hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auseinandergesetzt. Von einem Austausch von Wiederaufnahmsgründen durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz (ein Vorgang, für den sich in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Beispiele im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme von Amts wegen gemäß § 303 Abs. 4 BAO finden) kann im Beschwerdefall daher keine Rede sein.

Ein Wiederaufnahmeantrag gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann nur auf solche Tatsachen oder Beweismittel gestützt werden, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne deren grobes Verschulden erst nachträglich möglich wurde. Die belangte Behörde ist bei der Befassung mit dem antragsgegenständlichen Vorbringen zur Beurteilung gelangt, dass die angeführten Umstände nicht als Wiederaufnahmsgrund taugten, weil der Beschwerdeführer bereits im Zeitpunkt der Bescheiderlassung von diesen Tatsachen Kenntnis hatte und sie daher dem Finanzamt hätte bekannt geben können. Die Beschwerde bestreitet dies nach den oben wiedergegebenen Ausführungen nicht. Damit ist aber das Schicksal der Beschwerde entschieden.

Hätte der Beschwerdeführer sein im Wiederaufnahmeantrag erstattetes Vorbringen dem Finanzamt bereits im wiederaufzunehmenden Verfahren zur Kenntnis bringen können, durften die Abgabenbehörden den Antrag auf Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2005 auch dann ablehnen, wenn ein anderes Verfahren (betreffend Umsatzsteuer 2005) von Amts wegen wieder aufgenommen wurde und es dabei zu einer Gutschrift an Umsatzsteuer 2005 in Höhe von 3.224,77 EUR gekommen ist. Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, besteht nämlich auch kein Anspruch auf amtswegige Wiederaufnahme (vgl. den hg. Beschluss vom 31. März 2004, 2004/13/0036).

Es mag sein, dass der angefochtene Bescheid Begründungsmängel aufweist. Zur Bescheidaufhebung führt die Unzulänglichkeit einer Begründung aber nur dann, wenn diese Unzulänglichkeit zur Folge hat, dass einem Beschwerdeführer dadurch die Verfolgung seiner Rechte vor dem Verwaltungsgerichtshof oder diesem die inhaltliche Prüfung des Bescheides verwehrt bleibt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 2001, 2001/13/0104). Eine derartige Relevanz des gerügten Begründungsmangels ist vor dem Hintergrund der aufgezeigten Rechtslage nicht gegeben.

Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die in der Beschwerde behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 23. September 2010

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