VwGH 2010/15/0034

VwGH2010/15/003424.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über den Antrag der V und Beteiligungen GmbH in P, vertreten durch Mag. Herwig Ranger, Steuerberater in 4600 Wels, Durisolstraße 7, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung der Mängel der zur hg. Zl. 2009/15/0211 protokollierten Beschwerde gegen den Bescheid des Finanzamtes Grieskirchen Wels vom 6. Mai 2008, Zl. 033/6435, betreffend Investitionszuwachsprämie 2004, den Beschluss gefasst:

Normen

BAO §308 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
BAO §308 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.

Begründung

Die Beschwerdeführerin erhob am 2. Dezember 2009 Beschwerde "gegen den Bescheid des Finanzamtes Grieskirchen Wels über die Festsetzung folgender Prämie Investitionszuwachsprämie gemäß § 108e EStG 1988 für das Wirtschaftsjahr 2004 vom 06.05.2008, Steuernummer 033/6435, zugestellt am 29.05.2008". In der Beschwerde wurde sodann ausführlich auch die Berufungsentscheidung des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom 19. Oktober 2009, RV/1127-L/08, zitiert.

Mit Verfügung vom 9. Dezember 2009 wurde der Beschwerdeschriftsatz zur Behebung folgender Mängel zurückgestellt: der angefochtene Bescheid sei nach Datum und Geschäftszahl zu bezeichnen; es sei die Behörde zu bezeichnen, die den Bescheid erlassen habe; es sei der Tag, an dem der angefochtene Bescheid zugestellt worden sei, anzugeben; es sei eine weitere Ausfertigung der Beschwerde für den Bundesminister für Finanzen beizubringen. Zur Behebung dieser Mängel wurde eine Frist von zwei Wochen bestimmt. Diese Verfügung wurde dem Vertreter der Beschwerdeführerin am 18. Dezember 2009 zugestellt.

Da die Mängel nicht behoben wurden, wurde das Verfahren mit Beschluss vom 2. Februar 2010, 2009/15/0211, eingestellt.

Mit dem am 23. Februar 2010 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragt die Beschwerdeführerin nunmehr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Übernahmebestätigung vom 18. Dezember 2009 trage die Unterschrift einer Sekretärin, die nicht mehr beim Vertreter der Beschwerdeführerin beschäftigt sei.

Briefzustellungen erfolgten stets um die Mittagszeit. Der 18. Dezember 2009 sei ein Freitag gewesen, an dem die Bürozeiten um 12.30 Uhr endeten. Am Freitagnachmittag würden die Büroräumlichkeiten von einer Reinigungsfirma gesäubert. Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Sekretärin "aus den vorerwähnten Gründen" unmittelbar vor der Beendigung ihrer Dienstzeit vergessen habe, eine entsprechende Eintragung in das Posteingangsbuch vorzunehmen bzw. dem Vertreter das Poststück auszuhändigen. Die Sekretärin habe sich an ihre Vorgangsweise nicht mehr erinnern können. In der Folge dürfte der "Reinigungstrupp" das Kuvert unter einen Stapel anderer Papiere verlegt haben. Bei einer Durchsuchung in allen Kanzleiräumlichkeiten habe das noch ungeöffnete Kuvert der Postzusendung unter verschiedenen Aktenstücken am 10. Februar 2010 aufgefunden werden können. Dieses "unvorherzusehende" Ereignis beruhe auf dem Umstand des Vergessens der Sekretärin, die notwendige Eintragung in das Posteingangsbuch vorzunehmen. Darüber hinaus sei eine Verkettung unglücklicher Umstände eingetreten, die zusätzlich verstärkt durch den Trubel der bevorstehenden Feiertage trotz der Ausübung der stets präsenten Aufmerksamkeit des Vertreters - dazu gehöre auch die regelmäßige Überwachung des Posteinganges - zu dem Versehen geführt habe. Der Vertreter versichere glaubhaft, in keinster Weise die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen noch grob fahrlässig gehandelt zu haben.

Gleichzeitig wurde die Beschwerde - verbessert - wieder vorgelegt.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder uanbwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Das Verschulden des Vertreters ist dem Verschulden des Vertretenen gleichzuhalten. Hingegen ist das Verschulden von Kanzleiangestellten berufsmäßiger Parteienvertreter nicht schädlich; maßgeblich ist diesfalls, ob den Parteienvertreter ein (den minderen Grad des Versehens übersteigendes) Verschulden trifft. Der Parteienvertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Wahrnehmung von Fristen sichergestellt sind (vgl. Ritz, BAO3 § 308 Rz 17, mwN).

Im Interesse vernünftiger Rechtsschutzwahrung ist es zwar nicht angezeigt, jedes in der Kanzlei eines berufsmäßigen Parteienvertreters unterlaufene Missgeschick dem Parteienvertreter mit Wirkung für die Partei als ein den Grad minderen Versehens übersteigendes Verschulden zuzurechnen. Dass aber ein einer fristgebundenen Maßnahme potentiell bedürftiges Geschäftsstück in der Kanzlei eines berufsmäßigen Parteienvertreters abgelegt wird (oder - wie hier - unter einen Stapel anderer Papiere gelegt und sodann fast zwei Monate lang überhaupt unbehandelt bleibt), ohne dass der Parteienvertreter selbst es zu Gesicht bekommt und ohne dass es in das Fristenbuch eingetragen wird, ist ein Geschehnisablauf, der in einem Kanzleibetrieb mit dem zu fordernden Organisationsstandard schlechterdings nicht eintreten können darf (vgl. den hg. Beschluss vom 4. März 2009, 2009/15/0024, mwN, sowie das hg. Erkenntnis vom 19. April 2007, 2007/09/0019).

Bereits im Wiedereinsetzungsantrag sind Art und Intensität der über die Kanzlei ausgeübten Kontrolle darzutun (vgl. den hg. Beschluss vom 25. April 2001, 2001/03/0080, mwN). Außer dem allgemeinen Hinweis, es liege seine "stets präsente Aufmerksamkeit" vor (wozu auch die regelmäßige Überwachung des Posteinganges gehöre), enthält der Wiedereinsetzungsantrag kein konkretes Vorbringen, insbesondere auch nicht betreffend einer erforderlichen täglichen Vorlage der Post. Zur Qualifikation und Verlässlichkeit der (damals) mit der Entgegennahme der Post betrauten Mitarbeiterin des Vertreters der Beschwerdeführerin enthält der Antrag überhaupt kein Vorbringen.

Damit kann aber von einem einen minderen Grad des Versehens nicht übersteigenden Verschulden keine Rede sein, weil die zur Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche Sorgfalt mangels eines wirksamen Kontrollsystems verletzt wurde. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte daher nicht Folge gegeben werden.

Wien, am 24. Juni 2010

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