VwGH 2009/22/0113

VwGH2009/22/011318.6.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des R, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/1/30, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 19. Februar 2009, Zl. 317.582/10- III/4/09, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs2;
NAG 2005 §72 Abs1;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs2;
NAG 2005 §72 Abs1;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom 19. Februar 2009 wurde ein Antrag des Beschwerdeführers, eines serbischen Staatsangehörigen, vom 18. Mai 2007 auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 23. März 2000 illegal in Österreich eingereist sei und am 31. März 2000 einen Asylantrag gestellt habe, welcher "mit Datum vom 27. April 2007 gemäß § 7 und § 8 Asylgesetz zweitinstanzlich rechtskräftig negativ entschieden" worden sei. Mit diesem Datum sei die vorläufige Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers nach dem Asylgesetz widerrufen worden.

Der Beschwerdeführer sei seit 15. November 2000 durchgehend mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet; er halte sich seit seiner Einreise im Jahr 2000 ununterbrochen im Bundesgebiet auf und sei hier seit 27. Februar 2006 erwerbstätig.

Am 22. Juli 2004 habe der Beschwerdeführer in Wien eine serbische Staatsangehörige geheiratet, die seit 19. Februar 2002 über einen unbefristeten Aufenthaltstitel "jeglicher Aufenthaltszweck" verfüge. Den gegenständlichen Antrag habe der Beschwerdeführer nach dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens gestellt, während er sich unzulässigerweise im Inland aufgehalten habe.

Eine mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 5. September 2007 gegen den Beschwerdeführer erlassene Ausweisung sei mit Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 16. Jänner 2008 behoben worden; angesichts der Umstände, dass sich der Beschwerdeführer schon acht Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet aufhalte, in Wien in einer Gemeinschaft mit seiner Ehefrau lebe, die zum unbefristeten Aufenthalt berechtigt sei und (aufgrund eines schweren Autounfalles am 14. Oktober 2006) einen 50%-igen Behinderungsgrad aufweise, habe sich die Berufungsbehörde des Ausweisungsverfahrens veranlasst gesehen, von dem ihr gesetzlich eingeräumten Ermessen Gebrauch zu machen und von der Erlassung der Ausweisung Abstand zu nehmen. (Die Berufung des Beschwerdeführers hatte in diesem Zusammenhang auf das hg. Erkenntnis vom 31. März 2008, 2008/18/0094, hingewiesen.)

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der gegenständliche Erstantrag - mangels Vorliegens eines Falles des § 21 Abs. 2 NAG - unzulässigerweise entgegen § 21 Abs. 1 NAG im Inland gestellt worden sei. Der Beschwerdeführer hätte seinen Antrag bei der örtlich für ihn zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einbringen und die Entscheidung über den Antrag im Ausland abwarten müssen.

In seiner Berufung habe der Beschwerdeführer vorgebracht, dass seine Ehefrau bei einem schweren Verkehrsunfall am 14. Oktober 2006 eine Kompressionsfraktur erlitten habe und seither unter starken Schmerzen leide. Sie bedürfe einer Unterstützung bei sämtlichen Haushaltstätigkeiten sowie der Pflege "rund um die Uhr".

Es sei für die belangte Behörde nicht nachvollziehbar, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers der Pflege "rund um die Uhr" benötige, weil dieser doch "laufend einer Erwerbstätigkeit" nachgehe. Außerdem habe der Beschwerdeführer in einer Stellungnahme vom 6. Juni 2007 angegeben, dass in Österreich noch die Großmutter und der Vater seiner Ehefrau lebten, jedoch hätte seine Ehefrau mit ihrem Vater keinen Kontakt, die Großmutter wiederum sei selbst im hohen Alter und könne die Ehefrau des Beschwerdeführers nicht unterstützen. Demnach - so die belangte Behörde weiter - sei es der Ehefrau des Beschwerdeführers offensichtlich möglich, sich alleine zu versorgen bzw. die medizinische Versorgung in Österreich in Anspruch zu nehmen.

Der Beschwerdeführer habe somit keinen Umstand aufzeigen können, der eine sofortige oder auch nur eine beschleunigte Familienzusammenführung als einzig zumutbare Möglichkeit fordern würde. Es stelle daher keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben dar, vom Beschwerdeführer den "gesetzlich vorgeschriebenen Weg für eine Familienzusammenführung unter Einhaltung der Bestimmungen über die Antragstellung im Ausland" zu verlangen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde bestreitet nicht, dass der Beschwerdeführer noch nie über einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt hat. Die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag um einen Erstantrag im Sinn des § 21 Abs. 1 NAG handle, begegnet somit keinen Bedenken. Dem in dieser Bestimmung verankerten Grundsatz der Auslandsantragstellung folgend hätte der Beschwerdeführer daher den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Ausland stellen und die Entscheidung darüber im Ausland abwarten müssen.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall - zum relevanten Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - nur gemäß § 74 NAG (in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch besteht (vgl. etwa zuletzt das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2009, 2008/22/0152, mwN).

Die Beschwerde weist in diesem Zusammenhang auf die - auch von den oben wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides umfasste - Berufungsentscheidung der Sicherheitsdirektion Wien in dem den Beschwerdeführer betreffenden Ausweisungsverfahren hin; die Sicherheitsdirektion Wien habe damit festgestellt, dass im Fall des Beschwerdeführers humanitäre Gründe vorlägen, weshalb die belangte Behörde einer Inlandsantragstellung hätte zustimmen müssen.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgeführt, dass aus dem engen Zusammenhang der Berücksichtigung humanitärer Gründe im Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung und im Niederlassungsverfahren eine Verknüpfung folgt, welche das Ergebnis der Interessenabwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK im Ausweisungsverfahren auch für die auf Art. 8 EMRK gestützte Erteilung einer (humanitären) Niederlassungsbewilligung - jedenfalls bei gleichgebliebenen Umständen - als relevant erscheinen lässt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 31. März 2008, 2008/18/0094, vom 17. September 2008, 2008/22/0264, sowie vom 14. Oktober 2008, 2008/22/0035).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung der belangten Behörde, dass - ungeachtet der Feststellungen des rechtskräftigen Berufungsbescheides im Ausweisungsverfahren - kein humanitärer Aspekt (im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG) gegeben sei, nicht teilen. Dann ist aber auch die Inlandsantragstellung von Amts wegen gemäß § 74 NAG zuzulassen, weshalb die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers nicht nach § 21 Abs. 1 NAG hätte abweisen dürfen.

Der somit mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastete Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 18. Juni 2009

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