VwGH 2009/21/0376

VwGH2009/21/037629.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/1/29A, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 14. Oktober 2009, Zl. BMI-1021700/0005-II/3/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste erstmals am 27. August 1998, unter Verwendung eines verfälschten kroatischen Reisepasses, in das Bundesgebiet ein. Nachdem er hier aufgegriffen worden war, verhängte die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 9. März 1999 ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot (wegen Erstattung falscher Angaben zu Identität und Nationalität sowie wegen Mittellosigkeit), außerdem wurde der Beschwerdeführer wegen seines unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet bestraft.

Am 23. Dezember 1999 verließ der Beschwerdeführer Österreich. In der Folge reiste er aber entgegen dem bestehenden Aufenthaltsverbot wieder in das Bundesgebiet ein, wo er im Hinblick darauf am 1. Juni 2001 erneut nach dem Fremdengesetz 1997 bestraft wurde.

Nach überwachter Ausreise am 5. Juni 2001 gelangte der Beschwerdeführer am 30. Oktober 2001 neuerlich nach Österreich, wo er am 5. November 2001 einen Asylantrag stellte. Dieser blieb erfolglos, zuletzt lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 24. Mai 2005, Zl. 2003/01/0617, die Behandlung der gegen den negativen Berufungsbescheid des unabhängigen Bundesasylsenates erhobenen Beschwerde ab.

Mittlerweile war der Beschwerdeführer zweimal strafgerichtlich verurteilt worden, und zwar einmal wegen §§ 223 Abs. 2 und 224 StGB zu einer bedingt nachgesehenen zweimonatigen Freiheitsstrafe (wegen der seinerzeitigen Verwendung des verfälschten kroatischen Reisepasses) und außerdem mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen vom 8. Jänner 2003 wegen des teils vollendeten, teils versuchten Verbrechens nach § 28 Abs. 2 und 3 erster Fall SMG und § 15 Abs. 1 StGB, teils als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB, zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten (unbedingter Strafteil: zwei Monate). Dabei war vom Strafgericht u.a. die bloß untergeordnete Beteiligung an der Straftat als Milderungsgrund herangezogen worden.

Im Hinblick auf die genannten Verurteilungen und das ihnen zugrunde liegende strafrechtliche Fehlverhalten erließ die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 29. April 2004 gegen den Beschwerdeführer, der mittlerweile (2002) von einem österreichischen Staatsbürger adoptiert worden war, neuerlich ein - nunmehr auf zehn Jahre befristetes - Aufenthaltsverbot. Die dagegen erhobene Berufung wies die im Devolutionsweg zuständig gewordene Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 14. Oktober 2009 gemäß § 87 iVm § 86 und § 63 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ab.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer ist seit 5. Oktober 2007 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Im Hinblick darauf hat die belangte Behörde das gegenständliche Aufenthaltsverbot zutreffend an den Kriterien des § 86 Abs. 1 FPG (in der hier anzuwendenden Stammfassung) gemessen.

Nach der genannten Bestimmung ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Die belangte Behörde hat diese Voraussetzungen im Ergebnis unter zwei Gesichtspunkten als erfüllt angesehen. Zum einen angesichts des - von ihr näher dargestellten - strafrechtlichen Fehlverhaltens des Beschwerdeführers, das befürchten lasse, dass er neuerlich in Österreich straffällig werden würde; zum anderen aber wegen der mehrmaligen Verstöße gegen das Fremdenrecht, derentwegen der Beschwerdeführer auch mehrmals bestraft worden sei und aus denen (ebenfalls) abgeleitet werden könne, dass er nicht gewillt sei, sich entsprechend der österreichischen Rechtsordnung zu verhalten.

Was zunächst das strafrechtliche Fehlverhalten anlangt, so bezog sich die belangte Behörde erkennbar auf das in mehreren Phasen begangene Suchtgiftdelikt. Ein bloß sechsjähriges Wohlverhalten - so die belangte Behörde - sei "als zu gering zu bezeichnen", um von einer Läuterung auszugehen.

Dem ist zunächst auf rein formaler Ebene entgegenzuhalten, dass die Tatbegehung bei Erlassung des bekämpften Bescheides bereits sieben Jahre zurücklag. Dazu kommt aber noch, dass der Beschwerdeführer insoweit nur einmal strafrechtlich in Erscheinung trat und dass auch sonst keine Kontakte zum Suchgiftmilieu aufgezeigt werden konnten. Von daher kann aber der Annahme, vom Beschwerdeführer gehe aktuell eine strafrechtlich relevante Gefahr aus, nicht beigetreten werden. Dass eine derartige Gefahr aus der seinerzeitigen Begehung eines Urkundendelikts resultiere, vertritt die belangte Behörde offenbar selbst nicht.

Bezüglich des fremdenrechtlichen Fehlverhaltens führt die belangte Behörde primär ins Treffen, dass es sich bei der Annahme des Beschwerdeführers an Kindes statt im Jahr 2002 um eine "Scheinadoption" gehandelt habe. Außerdem sei der Beschwerdeführer mehrfach unrechtmäßig, zum Teil entgegen dem ersten Aufenthaltsverbot aus dem Jahr 1999, nach Österreich eingereist. In diesem Zusammenhang sei es auch zu Bestrafungen nach dem Fremdengesetz 1997 gekommen. Der 2001 gestellte Asylantrag wiederum habe nur der Legalisierung des Aufenthalts des Beschwerdeführers gedient. Schließlich sei auch zu beachten, dass er eine Beschäftigung ausübe, obwohl er nicht über die erforderliche Bewilligung nach dem AuslBG verfüge. Letzteres lasse nicht auf einen "positiven Gesinnungswandel" schließen. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet berühre somit ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf die Wahrung eines geordneten Fremdenwesens.

Auch diese Überlegungen vermögen ein Aufenthaltsverbot im Grunde des § 86 Abs. 1 FPG fallbezogen nicht zu rechtfertigen. Was zunächst die - in der Beschwerde nicht mehr bestrittene - "Scheinadoption" anlangt, so liegt sie bereits Jahre zurück, der Adoptivvater ist 2004 verstorben. Vor allem ist in diesem Zusammenhang aber zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nunmehr, seit 2007, mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet ist, sodass unter dem Aspekt "Scheinadoption" nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr vom Vorliegen einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr gesprochen werden kann, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. in diesem Sinn das hg. Erkenntnis vom 8. September 2009, Zl. 2008/21/0661). Für einen - allenfalls weiter zu befürchtenden - unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet trifft das im Hinblick auf die für die Anwendung des § 86 Abs. 1 FPG gebotene unionsrechtskonforme Auslegung von vornherein nicht zu. Was aber schließlich den Vorwurf anlangt, der Beschwerdeführer gehe einer Beschäftigung nach, obwohl er nicht über die erforderliche Bewilligung nach dem AuslBG verfüge, so ist darauf hinzuweisen, dass insoweit (noch) nicht einmal der Aufenthaltsverbotstatbestand nach § 60 Abs. 2 Z 8 iVm Abs. 5 FPG (in der hier maßgeblichen Fassung vor dem FrÄG 2011) erfüllt ist.

Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass die dargestellten Umstände auch in ihrer Gesamtheit nicht ausreichen, um eine Gefahr im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG zu begründen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. Februar 2012

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