VwGH 2009/21/0273

VwGH2009/21/027329.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der H, vertreten durch Mag. Banu Kurtulan, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/32, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 22. Juni 2009, Zl. BMI-1013735/0002-II/3/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80;
EheG §23;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z2;
ARB1/80;
EheG §23;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid erließ die im Devolutionsweg zuständig gewordene belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratete türkische Staatsangehörige, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte sie aus, die 1974 geborene Beschwerdeführerin habe am 5. November 2004 den 1958 geborenen österreichischen Staatsbürger L. zum Schein geheiratet und darauf gestützt am 14. Jänner 2005 (erfolglos) die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung beantragt. Ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK sei jedoch weder beabsichtigt gewesen noch tatsächlich geführt worden. Auf Grund der Eheschließung seien gemäß § 87 FPG die (inhaltlich wiedergegebenen) Bestimmungen des § 86 Abs. 1 FPG auf die Beschwerdeführerin anzuwenden. Soweit sie "eine weitere begünstigte Stellung als so genannte Assoziationstürkin" anstrebe, weil sie seit mehr als einem Jahr dem österreichischen Arbeitsmarkt angehöre, sei dem zu entgegnen, dass sie diese Stellung bloß missbräuchlich durch das Eingehen einer Scheinehe erlangt habe und daher nicht in den Genuss der durch den Assoziationsratsbeschluss gewährten Begünstigungen komme.

Vor dem Bezirksgericht Donaustadt sei Ehenichtigkeitsklage gemäß § 23 EheG erhoben worden, allerdings sei Ruhen des Verfahrens eingetreten. Die Beschwerdeführerin sei von einem anderen Mann schwanger geworden und habe anfangs 2007 ihr Kind geboren. Darüber hinaus habe L. mehrmals von sich aus angegeben, dass es sich um eine Scheinehe handle. Eine Motivation für die wahrheitswidrige Behauptung eines solchen Umstandes sei nicht erkennbar, sodass den gegenteiligen Ausführungen der Beschwerdeführerin nicht gefolgt werden könne.

Die rechtsmissbräuchliche Eingehung einer Ehe zur Verschaffung fremdenrechtlicher Vorteile stelle eine tatsächliche und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet berühre ein Grundinteresse der Gesellschaft, "nämlich das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf die Wahrung eines geordneten Fremdenwesens". Im Hinblick auf den Rechtsmissbrauch der - mittlerweile beschäftigungslosen - Beschwerdeführerin und das Fehlen nennenswerter Anknüpfungspunkte im Inland sei ihr die - gemeinsam mit ihrem Kind mögliche - Ausreise in den Heimatstaat zuzumuten. Die Dauer des Aufenthaltsverbotes entspreche jenem Zeitraum, innerhalb dessen ein allfälliger positiver Gesinnungswandel in Bezug auf ihre Einstellung zu den österreichischen Rechtsvorschriften erwartet werden könne.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 3. September 2009, B 946/09-3, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, zur Entscheidung über die von ihr erhobene Berufung wäre nicht die belangte Behörde, sondern der unabhängige Verwaltungssenat zuständig gewesen. Dies trifft nach dem Inhalt der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG jedoch nicht zu. Es bestehen nämlich nach der Aktenlage weder ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin Rechte aus dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 EWG-Türkei vom 19. September 1980 für sich in Anspruch nehmen könnte, noch dass ihr österreichischer Ehemann sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte. Die Beschwerdeführerin ist daher nicht als "begünstigte Drittstaatsangehörige" anzusehen, für die § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG eine Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate zur Entscheidung über Berufungen begründet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Juli 2008, Zl. 2007/21/0329, mwN).

Im Übrigen ist die Beschwerdeführerin darauf zu verweisen, dass einem Fremden die genannte Begünstigung nach dem ARB (insbesondere die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates) dann nicht zugute kommt, wenn er den Zugang zum Arbeitsmarkt rechtsmissbräuchlich im Weg einer Scheinehe erlangt hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. September 2009, Zl. 2006/18/0395, mwN).

Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG war daher die Sicherheitsdirektion - und hier im Devolutionsweg die belangte Behörde - zur Entscheidung über die vorliegende Berufung zuständig.

Die Beurteilung der belangten Behörde, dass eine Scheinehe vorliege, setzt nicht voraus, dass die Ehe gemäß § 23 EheG für nichtig erklärt worden ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 2009, Zl. 2006/18/0322, mwN). Entgegen der Beschwerde, welche die Feststellung des angefochtenen Bescheides zum Ruhen des genannten Verfahrens auf Nichtigerklärung der Ehe unbekämpft lässt, waren somit auch (inhaltlich zudem nicht näher spezifizierte) "Erkundigungen" beim Bezirksgericht Donaustadt nicht erforderlich.

Inhaltlich bestreitet die Beschwerdeführerin erkennbar das Vorliegen einer Schein- bzw. Aufenthaltsehe. Sie verweist darauf, dass die belangte Behörde zu Unrecht den Aussagen ihres Ehegatten L. gefolgt sei, während sie ihrem "Vorbringen" (es sei eine Liebesheirat vorgelegen) keinen Glauben geschenkt habe.

Damit gelingt es der Beschwerde jedoch nicht, eine Unschlüssigkeit der behördlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen. Der Verwaltungsgerichtshof hegt - im Rahmen der ihm insoweit zukommenden (eingeschränkten) Prüfungsbefugnis - nämlich keine Bedenken dagegen, dass die belangte Behörde den niederschriftlichen Angaben des L. vom 13. Dezember 2004 und vom 18. Oktober 2006 gefolgt ist, worin er darlegte, er habe die Beschwerdeführerin ausschließlich im Hinblick auf eine ihm zugesagte Zahlung von (zuletzt) EUR 2.400,-- geheiratet, er habe sie jedoch nur einige Male kurz gesehen, ein Zusammenleben sei weder beabsichtigt gewesen noch tatsächlich erfolgt. Es ist nämlich kein Anlass ersichtlich, weshalb L. unrichtige Angaben machen sollte, durch die er sich letztlich selbst einem strafrechtlich relevanten Verdacht aussetzen würde. Darüber hinaus ist die - fallbezogen das Vorliegen einer Scheinehe unterstützende - Feststellung der belangten Behörde, L. sei nicht der Vater des von der Beschwerdeführerin im Jahr 2007 geborenen Kindes, auch in der vorliegenden Beschwerde unbekämpft geblieben.

Soweit die Beschwerdeführerin das Unterbleiben der Einräumung rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren behauptet, ist sie auf die wiederholten Aufforderungen zu verweisen, sich zum Verfahrensgegenstand zu äußern, die auch zur Abgabe verschiedener Stellungnahmen (etwa am 21. März 2005, am 17. Mai 2006 und am 5. April 2007) geführt haben. Darüber hinaus hatte sie in ihrer Berufung vom 12. Juni 2006 Gelegenheit, sich Gehör zu verschaffen.

Soweit die Beschwerdeführerin das Unterbleiben der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung sowie von mündlichen Einvernahmen rügt, wird ebenfalls kein relevanter Verfahrensmangel aufgezeigt, weil im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der belangten Behörde weder ein Recht auf eine mündliche Berufungsverhandlung noch ein Recht darauf besteht, von der Behörde mündlich gehört zu werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2009, Zl. 2008/21/0068, mwN).

Auf Basis der Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Schließung einer Scheinehe am 5. November 2004 und zur Stellung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Berufung auf diese Ehe durfte die belangte Behörde auch davon ausgehen, dass eine Prognose iSd § 86 Abs. 1 FPG (tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt) gerechtfertigt sei (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. September 2009, Zl. 2008/21/0662).

Die von der Beschwerdeführerin begangene grobe Verletzung des als hoch zu bewertenden öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften kann - trotz des seit der Eheschließung verstrichenen Zeitraums - noch nicht als maßgeblich gemindert angesehen werden. Ebenso kann die Dauer des inländischen Aufenthalts der Beschwerdeführerin nicht entscheidend ins Gewicht fallen, weil diese doch gerade auf der (missbilligten) Berufung auf die Scheinehe beruht hat.

Vor dem Hintergrund der gebotenen Relativierung der von der Beschwerdeführerin in Österreich erlangten Integration bestehen auch keine Bedenken gegen das Ergebnis der Interessenabwägung nach § 66 FPG. Auch unter dem Gesichtspunkt der Ermessensübung ist keine vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zu erkennen, fehlen doch besondere Umstände, die ein Absehen von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes verlangt hätten.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. April 2010

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