VwGH 2009/21/0173

VwGH2009/21/01738.9.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde der G, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 7. Mai 2009, Zl. BMI-1019440/0002- II/3/2009, betreffend Zurückweisung eines Antrags nach § 11 Abs. 5 Fremdenpolizeigesetz 2005, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §34;
AsylG 2005 §35 Abs1;
AVG §62 Abs2 impl;
AVG §62 Abs3 impl;
B-VG Art130 Abs1 lita;
FrPolG 2005 §11 Abs2;
FrPolG 2005 §11 Abs5;
FrPolG 2005 §11 Abs6;
FrPolG 2005 §11;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2009:2009210173.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Auf Grund der Beschwerde und der mit ihr vorgelegten Bescheidausfertigung steht Nachfolgendes fest:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Afghanistan. Mit Bescheid vom 31. Juli 2007 wurde festgestellt, dass ihrem Vater die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Beschwerdeführerin stellte daraufhin bei der österreichischen Botschaft in Islamabad - ebenso wie ihre Mutter und ihre Geschwister - einen Antrag nach den §§ 34, 35 AsylG 2005. Während den genannten Angehörigen der Beschwerdeführerin daraufhin Visa zur Einreise nach Österreich ausgestellt wurden, erhielt die Beschwerdeführerin nach Befassung des Bundesasylamtes am 27. Februar 2008 seitens der Botschaft die telefonische Mitteilung, dass sie kein Visum erhalten würde, da sie bereits volljährig sei.

In weiterer Folge brachte die Beschwerdeführerin am 29. Dezember 2008 bei der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) einen Devolutionsantrag ein. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde diesen Antrag gemäß § 11 Abs. 5 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG zurück. Der Beschwerdeführerin sei von der österreichischen Botschaft in Islamabad am 27. Februar 2008, dokumentiert in Form eines Aktenvermerks, mündlich mitgeteilt worden, dass ihr kein Visum erteilt werde. Einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung dieser Entscheidung habe die Beschwerdeführerin nicht gestellt. Da somit das Visumverfahren zum Zeitpunkt der Einbringung des gegenständlichen Devolutionsantrages durch die am 27. Februar 2008 erfolgte fernmündliche Mitteilung der Botschaft bereits rechtswirksam abgeschlossen worden sei, komme dem Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin keine Berechtigung zu.

 

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1. Einleitend ist klarzustellen, dass die belangte Behörde nicht meritorisch über den asylrechtlichen Antrag der Beschwerdeführerin, der gemäß § 35 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 auch als Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gilt, entschieden hat. Sie hat vielmehr ihre Zuständigkeit für diese Entscheidung verneint, weil eine solche bereits durch die österreichische Botschaft Islamabad getroffen worden sei. Allein die Frage, ob diese Auffassung zutrifft, ist daher im gegenständlichen Beschwerdeverfahren zu beantworten, woraus folgt, dass die in der Beschwerde im Rahmen der geltend gemachten inhaltlichen Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides vorgetragenen Argumente, wonach der Beschwerdeführerin ein Einreisetitel zu gewähren gewesen wäre, von vornherein am Thema vorbeigehen.

2.1. Was die erwähnte, hier zu behandelnde Frage anlangt, so hat der Verwaltungsgerichtshof - vor dem Hintergrund, dass das AVG auf das Verfahren zur Erteilung von Sichtvermerken vor den österreichischen Vertretungsbehörden keine Anwendung findet (vgl. dazu nur das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1994, B 966/93 u.a., Slg. Nr. 13.723, III. B. 1.b der Entscheidungsgründe) - bereits ausgesprochen, dass auch für die Erteilung eines Einreisevisums im Grunde des § 35 AsylG 2005 die vom AVG abweichenden Bestimmungen über das Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden nach dem FPG, namentlich dessen § 11, zur Anwendung kommen (vgl. das Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2007/21/0423).

2.2. § 11 FPG lautet wie folgt:

"Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden

§ 11. (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.

(2) Über schriftlichen oder niederschriftlichen Antrag der Partei ist die Entscheidung gemäß Abs. 1 auch schriftlich auszufertigen; hiebei sind außer der getroffenen Entscheidung die maßgeblichen Gesetzesbestimmungen anzuführen; einer weiteren Begründung bedarf es nicht.

(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Behörde oder auf postalischem Wege zu erfolgen.

(4) Entscheidungen gemäß Abs. 1 sind im Fall begünstigter Drittstaatsangehöriger schriftlich in einer Weise auszufertigen, dass der Betroffene deren Inhalt und Wirkung nachvollziehen kann. Dem Betroffenen sind die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der ihn betreffenden Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitzuteilen, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit der Republik Österreich dieser Mitteilung entgegenstehen. In der schriftlichen Ausfertigung der Begründung ist auch die Berufungsbehörde anzugeben.

(5) Ergeht die Entscheidung in der Sache nicht binnen sechs Monaten nach Einbringung des Antrages, in den Fällen des Abs. 2 die schriftliche Ausfertigung nicht binnen zwei Monaten nach Einbringung des Antrages, so geht die Zuständigkeit zur Entscheidung oder Ausfertigung auf schriftlichen Antrag auf den Bundesminister für Inneres über. Ein solcher Antrag ist unmittelbar bei ihm einzubringen. Er hat für die Entscheidung oder Ausfertigung die Abs. 1 bis 4 und 6 anzuwenden. Der Antrag ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Vertretungsbehörde zurückzuführen ist.

(6) Kann dem Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels auf Grund zwingender außenpolitischer Rücksichten oder aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht stattgegeben werden, so ist die Vertretungsbehörde, in den Fällen des Abs. 5 der Bundesminister für Inneres, ermächtigt, sich auf den Hinweis des Vorliegens zwingender Versagungsgründe zu beschränken. Der maßgebliche Sachverhalt muss auch in diesen Fällen im Akt nachvollziehbar sein."

2.3. Die ErläutRV (952 BlgNR XXII. GP  79) halten dazu auszugsweise fest:

"Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Judikatur (vgl. bereits VwGH 05. 10. 1988, 88/01/0140) den Standpunkt eingenommen, dass für Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden 'die im AVG niedergelegten Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens in der Verwaltung' gelten. Eine inhaltliche Ausgestaltung dieser Aussage hat er hierbei jeweils im Einzelfall vorgenommen, sodass insgesamt Unsicherheit darüber bestand, welche Grundsätze im Einzelnen tatsächlich wirksam sein sollen. Diese Unsicherheit hat der Gesetzgeber mit dem Fremdengesetz 1992 beseitigt, indem ausdrücklich ein Verfahren vor den Vertretungsbehörden festgelegt wurde. Die Regelung hat sich von den vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Prinzipien leiten lassen und die Grundsätze ausdrücklich festgelegt. Es sind dies die Mitwirkungsverpflichtung des Antragstellers bei gleichzeitiger Manuduktionspflicht der Behörde, die freie Beweiswürdigung, das Parteiengehör, die Möglichkeit zur Behebung von Formgebrechen, die Schriftlichkeit der Entscheidung, die Begründungspflicht, die Ausfertigung und die Zustellung der Entscheidung sowie letztlich die Devolution zum Bundesminister für Inneres."

2.4. Wenngleich die eben zitierten Gesetzesmaterialien ausdrücklich die Schriftlichkeit der Entscheidung als einen im Botschaftsverfahren zu beachtenden Grundsatz anführen, so kann am Boden des § 11 Abs. 2 FPG doch nicht zweifelhaft sein, dass die Möglichkeit besteht, über einen Visumsantrag auch (zunächst) mündlich zu erkennen. Regelungen darüber, wie dabei vorzugehen sei, enthält § 11 FPG nicht. Insbesondere gibt es keine § 62 Abs. 2 und 3 AVG entsprechenden Anordnungen, sodass allein daraus, dass die dort normierte Vorgangsweise nicht eingehalten wird, nichts zu gewinnen ist. Auszugehen ist aber davon, dass auch die in § 11 FPG erwähnte "Entscheidung" als Bescheid im Sinn des Art. 130 Abs. 1 lit. a B-VG zu erlassen ist (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 10. Dezember 2008, Zl. 2008/22/0565). In Ermangelung der nach dem AVG für Bescheide vorgesehenen Form muss demnach deutlich erkennbar sein, dass die Behörde dennoch den - objektiv erkennbaren - Willen hatte, mit der Erledigung gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen (vgl. abermals das vorhin zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1994, III. A. 1. der Entscheidungsgründe). Es muss die klare Absicht der Behörde zum Ausdruck kommen, rechtsverbindlich über die betreffende Angelegenheit abzusprechen, insbesondere einen Antrag abschließend zu erledigen. Im Fall einer bloß mündlich getroffenen Entscheidung hat aber noch hinzuzukommen, dass diese behördliche Äußerung im Akt Niederschlag findet. Nur so ist die geforderte Nachvollziehbarkeit (vgl. § 11 Abs. 6 FPG) letztlich sicherzustellen; die dem Botschaftsverfahren eigene Formfreiheit kann nicht soweit gehen, auf jegliche Dokumentation des Entschiedenen zu verzichten.

3.1. Im vorliegenden Fall stellt die Beschwerdeführerin die Bescheidqualität der telefonischen Mitteilung der österreichischen Botschaft Islamabad vom 27. Februar 2008 unter dem Gesichtspunkt in Abrede, dass Bescheide nach dem AVG einer Begründung bedürfen und dass § 62 Abs. 3 AVG eine Belehrungspflicht (hinsichtlich des Rechts, eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides zu begehren) vorsieht. Würde man - so die Beschwerde in der Folge wörtlich -

"nun argumentieren, dass die bloße telefonische Mitteilung der österreichischen Vertretungsbehörde über die Nichterteilung eines Visums ohne nähere Begründung und ohne jegliche Belehrung über Rechtsschutzinstrumente bereits eine gültige Entscheidung darstellt, würde dies den Rechtsschutz der Parteien völlig aushebeln."

Aus diesem Beschwerdevorbringen ist nichts zu ersehen, was darauf schließen lassen könnte, die besagte telefonische Mitteilung habe nicht ausreichend deutlich - durch den dazu befugten Organwalter - einen normativen Erledigungswillen im Sinne einer Ablehnung des Begehrens der Beschwerdeführerin zum Ausdruck gebracht. Die Beschwerde bestreitet auch nicht, dass darüber ein Aktenvermerk angelegt wurde; sie bringt lediglich vor, dass ihr dieser Aktenvermerk nicht vorgehalten worden sei, sodass ihr eine Beschwerde gegen "die Entscheidung in diesem Punkt verunmöglicht" sei. Dass der Aktenvermerk den Inhalt des Telefonats vom 27. Februar 2008 nicht wiedergebe, wird damit aber nicht zum Ausdruck gebracht.

3.2. Nach dem oben zu 2.4. Dargelegten ergibt sich sohin, dass die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen ist, der asylrechtliche Antrag der Beschwerdeführerin habe bereits durch die österreichische Botschaft Islamabad eine Erledigung erfahren; ein Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung im Sinn der ersten Alternative des § 11 Abs. 5 FPG konnte damit nicht mehr eintreten. Nochmals ist zu betonen, dass die Nichterfüllung der für eine mündliche Bescheiderlassung im AVG vorgesehenen Erfordernisse im gegebenen Zusammenhang unerheblich ist, weshalb es auch nicht schadet, dass die gegenständliche mündliche Mitteilung nur telefonisch erfolgte (vgl. demgegenüber im Anwendungsbereich des AVG Hengstschläger/Leeb, AVG § 62 Rz 23). Dem Fehlen einer Begründung und jeglicher Rechtsmittelbelehrung kommt schon nach dem AVG kein Einfluss auf die Bescheidqualität einer behördlichen Erledigung zu (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 24. April 2003, Zl. 2003/07/0008). Was die von der Beschwerdeführerin angesprochene Begründungslosigkeit der behördlichen Entscheidung anlangt, so ist sie im Übrigen auf ihr eigenes Vorbringen zu verweisen, wonach ihr als Grund für die Visumsversagung bekannt gegeben worden sei, sie wäre bereits volljährig.

4.1. Dem dargestellten Ergebnis stehen nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes - auf Basis des schon erwähnten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1994 - verfassungsrechtliche Bedenken nicht entgegen. Richtig ist, dass § 11 Abs. 2 FPG keine Aussage dahingehend trifft, welche Frist der Partei offen steht, um den dort erwähnten Antrag auf schriftliche Ausfertigung der mündlichen Entscheidung zu stellen. Das kann indes nur zur Folge haben, dass ein derartiger Antrag nicht fristgebunden ist und somit jederzeit gestellt werden kann. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht wird die Rechtskraft der Entscheidung dadurch nicht berührt, den Rechtsschutzinteressen der Partei wird dergestalt in ausreichendem Maß Rechnung getragen.

4.2. Einen Antrag nach § 11 Abs. 2 FPG hat die Beschwerdeführerin unstrittig nicht gestellt. Ihr Devolutionsantrag vom 29. Dezember 2008 kann damit auch nicht im Sinn der zweiten Alternative des § 11 Abs. 5 FPG (Antrag auf Übergang der Zuständigkeit zur Ausfertigung der mündlich getroffenen Entscheidung der österreichischen Botschaft) gedeutet werden.

Da somit insgesamt bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 8. September 2009

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