VwGH 2009/18/0094

VwGH2009/18/009419.6.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des CG in W, vertreten durch Mag. Dr. Roland Kier, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 5. Februar 2009, Zl. E1/242.686/2008, betreffend Versagung eines Personalausweises und Entziehung eines Reisepasses, zu Recht erkannt:

Normen

12010E020 AEUV Art20;
12010E021 AEUV Art21;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art27 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art27 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art4 Abs3;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62010CJ0430 Hristo Gaydarov VORAB;
EURallg;
PaßG 1992 §14 Abs1 Z3 litb;
PaßG 1992 §14 Abs1 Z3 litf;
PaßG 1992 §19 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
12010E020 AEUV Art20;
12010E021 AEUV Art21;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art27 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art27 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art4 Abs3;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62010CJ0430 Hristo Gaydarov VORAB;
EURallg;
PaßG 1992 §14 Abs1 Z3 litb;
PaßG 1992 §14 Abs1 Z3 litf;
PaßG 1992 §19 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid entzog die belangte Behörde gestützt auf § 19 Abs. 2 und § 14 Abs. 1 Z 3 lit. b und lit. f Passgesetz 1992 (PassG) dem Beschwerdeführer seinen österreichischen Reisepass und wies seinen Antrag auf Ausstellung eines österreichischen Personalausweises ab. Unter einem wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, er möge den entzogenen Reisepass der Behörde vorlegen.

In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei vom Landesgericht Eisenstadt mit Urteil vom 23. Juni 2004 wegen näher angeführter Vergehen nach dem Finanzstrafgesetz zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten sowie zu einer Geldstrafe von EUR 550.000,-- und einer Verfallsersatzstrafe von EUR 9.500,-- verurteilt worden. Im Wesentlichen habe sich diese Verurteilung auf im Jahr 2001 und im März 2002 begangene Tathandlungen betreffend den Schmuggel von Zigaretten bezogen. Die über den Beschwerdeführer verhängte Freiheitsstrafe sei letztlich mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 7. Dezember 2004 auf sechs Monate und zwei Wochen und die Geldstrafe auf EUR 420.000,-- herabgesetzt worden. Weiters weise der Beschwerdeführer eine rechtskräftige Verurteilung vom 21. April 2004 durch das Landesgericht für Strafsachen Wien nach dem Suchtmittelgesetz auf. Er sei zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt worden. Dieser Verurteilung sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer im Juni 2002 und im Herbst 2003 Suchtgift geschmuggelt habe.

Gemäß § 14 Abs. 1 Z 3 lit. b PassG - so die belangte Behörde unter Hinweis auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid - sei die Ausstellung, die Erweiterung des Geltungsbereiches und die Änderung eines Reisepasses zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Passwerber den Reisepass benützen wolle, um gerichtlich strafbare Zollzuwiderhandlungen zu begehen. Nach § 14 Abs. 1 Z 3 lit. f PassG stelle es weiters einen Versagungsgrund dar, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Passwerber den Reisepass benützen wolle, um entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen. Ein Reisepass, dessen Gültigkeitsdauer nicht länger als fünf Jahre abgelaufen sei, sei gemäß § 15 Abs. 1 PassG zu entziehen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt würden oder einträten, die die Versagung der Ausstellung eines Reisepasses rechtfertigten. Diese Bestimmungen seien § 19 Abs. 2 PassG zufolge sinngemäß auch im Verfahren zur Ausstellung von Personalausweisen anzuwenden.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die gemäß § 14 Abs. 1 Z 3 lit. b und f PassG geforderten Annahmen gerechtfertigt seien, sei eine Zukunftsprognose anzustellen. Die Passbehörde habe festzustellen, ob Tatsachen in der Vergangenheit vorlägen, die die genannten Annahmen rechtfertigten. Bei der Beurteilung sei das gesamte bisherige Fehlverhalten heranzuziehen.

Die in § 14 Abs. 1 Z 3 lit. b und f PassG normierten Annahmen seien - so die belangte Behörde weiter - im vorliegenden Fall als gerechtfertigt anzusehen. Der Beschwerdeführer habe über einen Zeitraum von etwa drei Jahren eine große Anzahl von Zigaretten und eine große Menge von Suchtgift aus dem Ausland nach Österreich und von Österreich ins Ausland geschmuggelt. Es werde jedenfalls noch einer längeren Zeit des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers bedürfen, um in seinem Fall von einer positiven Zukunftsprognose ausgehen zu können. Es sei die Ansicht der Behörde erster Instanz zu teilen, dass zu befürchten sei, der Beschwerdeführer könnte künftig unter Verwendung eines österreichischen Reisepasses Suchtgift in einer großen Menge ein- und ausführen bzw. Zigaretten schmuggeln. An die Erwägungen des Strafgerichts zur bedingten Strafnachsicht sei die Behörde nicht gebunden. Sie habe den Sachverhalt eigenständig zu prüfen. Des Weiteren seien persönliche oder wirtschaftliche Folgen im Passentziehungsverfahren nicht einzubeziehen. Der Behörde komme insoweit kein Entscheidungsspielraum zu.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie nach Einlangen einer Stellungnahme der Bundesministerin für Inneres sowie einer ergänzenden Stellungnahme des Beschwerdeführers erwogen:

§ 14 Abs. 1 Z 3 lit. b und lit. f, § 15 Abs. 1 und § 19 Abs. 2 PassG (jeweils samt Überschrift) lauten:

"Passversagung

§ 14. (1) Die Ausstellung, die Erweiterung des Geltungsbereiches und die Änderung eines Reisepasses sind zu versagen, wenn

...

3. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Passwerber

den Reisepass benützen will, um

b) gerichtlich strafbare Zollzuwiderhandlungen zu

begehen,

f) entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in

einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen.

Passentziehung

§ 15. (1) Ein Reisepass, dessen Gültigkeitsdauer nicht länger als fünf Jahre abgelaufen ist, ist zu entziehen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die die Versagung der Ausstellung des Reisepasses rechtfertigen.

Personalausweise

§ 19. …

(2) Auf die Ausstellung, die Gültigkeitsdauer und ihre Einschränkung, die Vorlagepflicht, die Versagung und die Entziehung von Personalausweisen, sowie auf die Abnahme von Personalausweisen sind die diesbezüglichen, die gewöhnlichen Reisepässe betreffenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes einschließlich der §§ 9 Abs. 7 und 15 Abs. 5 mit der Maßgabe anzuwenden, daß Entziehungsverfahren auf gültige Personalausweise beschränkt sind.

…"

Gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG stellen die Mitgliedstaaten ihren Staatsangehörigen gemäß ihren Rechtsvorschriften einen Personalausweis oder einen Reisepass aus, der ihre Staatsangehörigkeit angibt und verlängern diese Dokumente. Artikel 4 Abs. 4 dieser Richtlinie sieht vor, dass der Reisepass zumindest für alle Mitgliedstaaten und die unmittelbar zwischen den Mitgliedstaaten liegenden Durchreiseländer gelten muss. Sehen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates keinen Personalausweis vor, so ist der Reisepass mit einer Gültigkeit von mindestens fünf Jahren auszustellen oder zu verlängern.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat zuletzt in seinem Urteil vom 17. November 2011, C-430/10 , Rs Gaydarov, bekräftigt, dass die Entscheidung eines Mitgliedstaates, seinem eigenen Staatsbürger die Ausreise zu verbieten, eine Angelegenheit darstellt, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, konkret der Richtlinie 2004/38/EG sowie Art. 20 und Art. 21 AEUV, fällt (Randnr. 24 bis 27 dieses Urteils). Hinsichtlich der Ausstellung eines Reisepasses und eines Personalausweises für eigene Staatsbürger ergibt sich dies bereits aus Art. 4 Abs. 3 RL 2004/38/EG .

Unzweifelhaft bezweckt die hier gegenständliche Entscheidung betreffend den Entzug eines Reisepasses und der Verweigerung der Ausstellung eines Personalausweises, es dem Beschwerdeführer unmöglich zu machen, sich ins Ausland, also auch anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, zu begeben und sich dort aufzuhalten. Somit hat die gegenständliche Entscheidung aber auch zum Inhalt, das dem Beschwerdeführer, einem österreichischen Staatsbürger, der sohin auch als Unionsbürger anzusehen ist, unionsrechtlich zustehende Recht auf Freizügigkeit, soweit es das Recht umfasst, sich in einen anderen Mitgliedstaat als seinen Herkunftsmitgliedstaat zu begeben, als auch das Recht, den Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, einzuschränken. Dies hat aber nach dem oben Gesagten zur Folge, dass die diesbezüglich maßgeblichen Vorschriften der RL 2004/38/EG zu beachten sind (vgl. Randnr. 25 bis 27 des bereits genannten Urteils des EuGH C- 430/10 ).

Der EuGH hat allerdings darauf hingewiesen, dass das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit nicht uneingeschränkt besteht, sondern den im Vertrag und in den Bestimmungen zu seiner Durchführung vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen unterworfen werden darf. In Bezug auf eine mit dem hier vorliegenden Sachverhalt vergleichbare Konstellation, wie sie auch hier vorliegt, führt der EuGH aus, dass sich diese Beschränkungen und Bedingungen insbesondere aus Art. 27 Abs. 1 RL 2004/38/EG ergeben. Nach dieser Bestimmung dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit der Unionsbürger oder ihrer Familienangehörigen nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken (vgl. Randnr. 29 und 30 Urteil C-430/10 ). Der EuGH stellt aber auch klar, dass in einem Fall, wie er auch hier vorliegt, der Begriff der öffentlichen Ordnung jedenfalls voraussetzt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (Randnr. 33 Urteil C-430/10 ). Die Ausnahmen vom freien Personenverkehr, auf die sich ein Mitgliedstaat berufen kann, implizieren in diesem Rahmen, wie Art. 27 Abs. 2 RL 2004/38/EG zu entnehmen ist, insbesondere, dass Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nur gerechtfertigt sind, wenn für sie ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend ist, während vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen nicht zulässig sind. Strafrechtliche Verurteilungen allein können die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit beschränkende Maßnahme nicht ohne weiteres begründen (Randnr. 34 Urteil C-430/10 ; vgl. auch das auf diese Kriterien abstellende hg. Erkenntnis vom 3. November 2010, Zl. 2007/18/0881).

Wie die Beschwerde zu Recht aufzeigt, ist aber nicht erkennbar, dass diese Voraussetzungen in einer der Rechtslage gerecht werdenden Weise geprüft worden wären. Die Beschwerde verweist auf den seit der Begehung der Straftaten vergangenen Zeitraum sowie auf das seitdem vorliegende Wohlverhalten.

Ungeachtet dessen, dass es der Verwaltungsgerichtshof als nicht zweifelhaft erachtet, dass Taten, wie die vom Beschwerdeführer begangenen, es rechtfertigen können, sein Recht auf Freizügigkeit einzuschränken, hat sich die belangte Behörde in keiner Weise damit auseinandergesetzt, inwieweit von ihm immer noch eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr im Sinn der Vorgaben der RL 2004/38/EG ausgeht. Insbesondere wird der bloße Hinweis der belangten Behörde, es werde jedenfalls noch einer längeren Zeit des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers bedürfen, um von einer positiven Zukunftsprognose ausgehen zu können, den Erfordernissen des vorliegenden Falles nicht gerecht. Den im angefochtenen Bescheid enthaltenen Ausführungen zu den strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers ist zu entnehmen, dass die zeitlich zuletzt begangene Tathandlung im Herbst 2003 gelegen ist. Dass der Beschwerdeführer danach ein Fehlverhalten gesetzt hätte, ergibt sich aus den Feststellungen nicht. Auch ist den Feststellungen nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer nach der letzten Tatbegehung in einem für die Beurteilung entscheidungswesentlichen (langen) Zeitraum inhaftiert gewesen wäre und deswegen seinem Wohlverhalten nach der letzten Tatbegehung nur untergeordnete Bedeutung hätte beigemessen werden können.

Inwieweit sohin von einer - insbesondere immer noch - bestehenden Gegenwärtigkeit einer vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr gesprochen werden könnte, kann dem angefochtenen Bescheid vor dem Hintergrund der - insoweit unzureichenden - behördlichen Feststellungen, aus denen sich zum Verhalten des Beschwerdeführers seit der letzten Tatbegehung nichts ergibt, nicht entnommen werden.

Da somit der angefochtene Bescheid schon aus den genannten Gründen unionsrechtlichen Vorgaben nicht entsprochen hat, war er bereits deshalb wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf darüber hinausgehende unionsrechtliche Problemstellungen (vgl. auch dazu das bereits mehrfach erwähnte Urteil des EuGH vom 17. November 2011, C-430/10 ) hätte eingegangen werden müssen.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. Juni 2012

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