VwGH 2009/16/0126

VwGH2009/16/012624.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde der A H in A, vertreten durch Dr. Aldo Frischenschlager, Dr. Dieter Gallistl und Dr. Elfgund Frischenschlager, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Landstraße 15, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom 30. Mai 2008, GZ. RV/1188-L/07, betreffend Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für den Zeitraum von Mai 2002 bis Februar 2006, zu Recht erkannt:

Normen

VwGG §36 Abs1;
VwGG §38 Abs2;
VwGG §36 Abs1;
VwGG §38 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.326,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte mit einem ausgefüllten, am 23. Februar 2006 beim Finanzamt eingelangten Formular "Beih 1" Familienbeihilfe für ihre drei Kinder ab März 2006 und gab als "Bankkonto für die Überweisung der Beihilfe" das Konto Nr. 5xxxx bei einer Bank mit der Bankleitzahl yyyyy bekannt.

Mit einem ausgefüllten und mit 30. Mai 2007 datierten Formular "Beih 3" beantragte die Beschwerdeführerin für ihren Sohn R., eines der drei erwähnten Kinder, rückwirkend "ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den der medizinische Sachverständige feststellt, im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung (siehe Erläuterungen)" die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung.

Das Finanzamt Gmunden Vöcklabruck wies mit Bescheid vom 8. August 2007 den Antrag "vom 31.5.2007" auf erhöhte Familienbeihilfe ab. In der Begründung führte das Finanzamt allerdings aus: "Da Sie ab März 2006 die Familienbeihilfe für ihren Sohn R. beziehen (bis 28. Februar 2006 Familienbeihilfenbezug durch den Kindesvater), ist die erhöhte Familienbeihilfe erst ab März 2006 zu gewähren."

Dagegen berief die Beschwerdeführerin mit der Begründung, sie habe im Mai 2007 die (rückwirkende) "Auszahlung" der erhöhten Familienbeihilfe begehrt, weil der "Verdacht" bestanden habe, dass bei ihrem Sohn R. eine Behinderung vorliege. Mit einem späteren Gutachten sei tatsächlich eine dauerhafte Behinderung im Gesamtausmaß von 50 % rückwirkend mit 1. Jänner 1996 diagnostiziert worden. Der Kindesvater und sie seien seit 30. Juni 2006 geschieden. Während aufrechter Ehe hätten der Kindesvater und sie ein gemeinsames Konto, dass zwar auf den Namen des Kindesvaters gelautet habe, an dem jedoch sie "in vollem Ausmaß zeichnungsberechtigt" gewesen sei.

Zum Beweis legte sie eine Ablichtung eines ausgefüllten Formblattes bei, wonach (Kindesvater) bei der Bank mit der Bankleitzahl zzzzz am 1. September 2000 die Eröffnung eines Kontos mit der Nummer 2xxxx beantrage und welches die Unterschriften des Kindesvaters und der Beschwerdeführerin jeweils mit der Erläuterung "einzeln" und den Bankvermerk "U-Probe neu am 5.12.05 (Handzeichen)" trägt.

Sie sei - so die Beschwerdeführerin in der Berufung weiter - auf Grund der Kinderbetreuung und der Haushaltsführung nämlich nicht berufstätig gewesen und aus Kostengründen sei lediglich ein gemeinsames Konto geführt worden. Der Haushalt sei in der Zeit der Kinderbetreuung ausschließlich von ihr geführt worden, auch die Kinderbetreuung sei ihr oblegen, der Kindesvater sei in dieser Zeit berufstätig gewesen. Auf Grund des gemeinsamen Kontos, das jedoch auf den Namen des Kindesvaters gelautet habe, sei sie von Seiten des Finanzamtes aufgefordert worden, einen formalen "Verzicht" zugunsten des Kindesvaters abzugeben, damit die Familienbeihilfe auf dieses Konto ausbezahlt werden könne. Sie habe also nicht auf den Anspruch an sich verzichtet, sondern "damit lediglich die Zustimmung erteilt, die Familienbeihilfe auf das (gemeinsame) Konto lautend auf (Kindesvater) zu überweisen."

Tatsächlich sei die Familienbeihilfe auch in dieser Zeit auf Grund ihrer Haushaltsführung und Kinderbetreuung ausschließlich von ihr bezogen worden, der Zugriff auf die Familienbeihilfe sei durch die Verfügungsberechtigung zu diesem Konto jederzeit gegeben gewesen. Sie habe also nicht inhaltlich im Sinne des § 2a Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz auf die Familienbeihilfe verzichtet, sondern "mangels (eigenem) Konto lautend auf (Beschwerdeführerin) formal eine Erklärung abgegeben, sodass die Familienbeihilfe auf das gemeinsame Konto lautend auf (Kindesvater) überwiesen werden konnte". Da sie somit während des gesamten Zeitraumes die Familienbeihilfe bezogen habe, stehe auch der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe für den Zeitraum Mai 2002 bis Februar 2006 ihr als der Haushaltsführenden zu.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Nach auszugsweiser Schilderung des Verwaltungsgeschehens und rechtlichen Ausführungen zu den §§ 2, 2a, 8 und 10 des Familienlastenausgleichsgesetzes führte die belangte Behörde aus: "Unbestritten hat die Berufungswerberin zugunsten des ehemaligen Ehegatten auf den vorrangigen Anspruch auf die Familienbeihilfe verzichtet, weshalb diesem bis Februar 2006 die Familienbeihilfe gewährt wurde". Seit März 2006 sei die Gewährung der Familienbeihilfe an die Beschwerdeführerin erfolgt. Am 30. Mai 2007 habe die Beschwerdeführerin die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ihres Sohnes rückwirkend ab Mai 2002 beantragt. Der Erhöhungsbetrag könne nur jener Person gewährt werden, die auch Anspruch auf die Familienbeihilfe gehabt habe. Auf Grund des Verzichtes der Beschwerdeführerin sei sie aber im Zeitraum Mai 2002 bis Februar 2006 nicht anspruchsberechtigt gewesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich die Beschwerdeführerin im Recht auf rückwirkende Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für ihr erheblich behindertes Kind R. ab Mai 2002 verletzt erachtet.

Der Verwaltungsgerichtshof leitete mit Verfügung vom 21. Juli 2008 das Vorverfahren ein (§ 35 Abs. 3 VwGG), trug gemäß § 36 Abs. 1 VwGG der belangten Behörde die Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens auf und wies die belangte Behörde ausdrücklich darauf hin, dass der Verwaltungsgerichtshof nach § 38 Abs. 2 leg.cit. im Fall des Unterbleibens einer fristgerechten Aktenvorlage berechtigt ist, auf Grund der Beschwerdebehauptungen zu entscheiden.

Die belangte Behörde legte Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 - FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die dort näher genannte Voraussetzungen erfüllen.

Der einer Person zustehende Betrag an Familienbeihilfe bestimmt sich gemäß § 8 Abs. 1 FLAG nach der Anzahl und dem Alter der Kinder, für die ihr Familienbeihilfe gewährt wird. Die Höhe dieser Beträge ist in § 8 Abs. 2 und 3 FLAG festgelegt.

Für jedes Kind, das erheblich behindert ist, erhöht sich die Familienbeihilfe nach § 8 Abs. 4 FLAG monatlich um 138,3 EUR; für den Teil des Streitzeitraumes Mai bis Dezember 2002 erhöhte sich die Familienbeihilfe nach § 8 Abs. 4 FLAG idF des BG BGBl. I Nr. 68/2001 um 131 EUR.

Gemäß § 7 FLAG wird für ein Kind Familienbeihilfe nur einer Person gewährt.

§ 10 FLAG lautet:

"§ 10. (1) Die Familienbeihilfe wird nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) ist besonders zu beantragen.

(2) Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

(3) Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) werden höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt. In Bezug auf geltend gemachte Ansprüche ist § 209 Abs. 3 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961, anzuwenden.

(4) Für einen Monat gebührt Familienbeihilfe nur einmal.

(5) ..."

Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG hat Anspruch für ein Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört.

§ 2a FLAG lautet:

"§ 2a. (1) Gehört ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern, so geht der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vor. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, dass die Mutter den Haushalt überwiegend führt.

(2) In den Fällen des Abs. 1 kann der Elternteil, der einen vorrangigen Anspruch hat, zugunsten des anderen Elternteiles verzichten. Der Verzicht kann auch rückwirkend abgegeben werden, allerdings nur für Zeiträume, für die die Familienbeihilfe noch nicht bezogen wurde. Der Verzicht kann widerrufen werden.

(3) ..."

Die Parteien des Verwaltungsverfahrens gehen übereinstimmend davon aus, dass die Beschwerdeführerin im Streitzeitraum Mai 2002 bis einschließlich Februar 2006 den gemeinsamen Haushalt mit ihrem damaligen Ehemann und den Kindern geführt hat, weshalb ihr nach § 2a Abs. 1 FLAG der Anspruch auf Familienbeihilfe zukäme.

Dass die Familienbeihilfe nach der - aktenmäßig nicht belegten und von der Beschwerdeführerin auch bestrittenen - Annahme der belangten Behörde im Streitzeitraum vom Kindesvater bezogen worden sein soll, ist im Beschwerdefall nicht ausschlaggebend, weil der Anspruch der Beschwerdeführerin nicht davon abhängt, ob eine andere Person die Familienbeihilfe - allenfalls zu Unrecht - bezogen hat (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 10. Mai 2010, 2010/16/0067).

Entscheidend ist im Beschwerdefall, ob die Beschwerdeführerin nach § 2a Abs. 2 FLAG auf diesen ihr nach § 2a Abs. 1 leg.cit. zustehenden Anspruch verzichtet hat.

Die Annahme im angefochtenen Bescheid, es sei unbestritten, dass die Beschwerdeführerin zugunsten ihres ehemaligen Ehemannes auf ihren vorrangigen Anspruch auf die Familienbeihilfe verzichtet habe, ist in der Aktenlage nicht gedeckt und wird von der Beschwerdeführerin ausdrücklich bestritten. Die Beschwerdeführerin führte in der Berufung aus, sie habe nicht auf den Anspruch verzichtet, sondern lediglich die Zustimmung erteilt, die Familienbeihilfe auf das gemeinsame, jedoch auf den Namen ihres damaligen Ehemannes lautende Konto zu überweisen, über welches beide verfügungsberechtigt gewesen seien.

Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde nicht auseinander gesetzt.

Nach § 38 Abs. 2 VwGG hat die belangte Behörde nach Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes (§ 36 Abs. 1 letzter Satz VwGG) die Akten vorzulegen. Unterlässt sie dies, so kann der Verwaltungsgerichtshof, wenn er die belangte Behörde auf diese Säumnisfolge vorher ausdrücklich hingewiesen hat, auf Grund der Behauptungen des Beschwerdeführers erkennen. Dies gilt insoweit auch bei nur teilweiser Aktenvorlage (vgl. etwas die hg. Erkenntnisse vom 23. November 2004, 2002/15/0134, VwSlg 7.985/F, und vom 21. September 2009, 2009/16/0083).

Den vorgelegten Verwaltungsakten ist das von der belangten Behörde in der Gegenschrift erwähnte Formular "Beih 1", auf welchem die Beschwerdeführerin auf ihren vorrangigen Anspruch nach Ansicht der belangten Behörde verzichtet haben soll, nicht enthalten.

Der Verwaltungsgerichtshof geht nach § 38 Abs. 2 VwGG deshalb von dem in der Beschwerde ausdrücklich wiederholten und näher dargelegten Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Berufung aus, dass sie auf ihren Anspruch nicht verzichtet, sondern lediglich eine Zustimmung zur Überweisung auf ein nicht auf ihren Namen lautendes Konto erteilt habe.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 24. Juni 2010

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