VwGH 2009/15/0206

VwGH2009/15/02062.2.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Feldkirch gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Feldkirch, vom 21. Mai 2008, GZ. RV/0162-F/08, betreffend Familienbeihilfe ab 1. Oktober 2007 (mitbeteiligte Partei: MJ in S, vertreten durch Dr. Gerold Hirn, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Gilmstraße 2), zu Recht erkannt:

Normen

31971R1408 WanderarbeitnehmerV;
62008CJ0363 Slanina VORAB;
BAO §288 Abs1 litd;
BAO §289 Abs1;
BAO §289 Abs2;
BAO §93 Abs3 lita;
B-VG Art130 Abs2;
FamLAG 1967 §10 Abs4;
FamLAG 1967 §2 Abs2;
FamLAG 1967 §2 Abs8;
FamLAG 1967 §4 Abs2;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV;
62008CJ0363 Slanina VORAB;
BAO §288 Abs1 litd;
BAO §289 Abs1;
BAO §289 Abs2;
BAO §93 Abs3 lita;
B-VG Art130 Abs2;
FamLAG 1967 §10 Abs4;
FamLAG 1967 §2 Abs2;
FamLAG 1967 §2 Abs8;
FamLAG 1967 §4 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird abgewiesen.

Begründung

Der Mitbeteiligte stellte den Antrag auf Zuerkennung von Familienbeihilfe ab Oktober 2007 für seine in Madrid lebende volljährige Tochter wegen deren Studiums.

Das beschwerdeführende Finanzamt wies diesen Antrag mit der Begründung ab, auf Grund der Aktenlage, der Mitbeteiligte sei geschieden und habe seinen Hauptwohnsitz im Inland, könne nicht davon ausgegangen werden, dass sich sein Familienwohnsitz in Madrid befinde.

In der Berufung gegen diesen Bescheid führte der Mitbeteiligte aus, seine Tochter habe ab Oktober 2007 an der Universität von Madrid das Studium aufgenommen. Sie wohne schon seit Jahren getrennt vom Mitbeteiligten in Spanien. Seine Tochter gehöre somit nicht seinem Haushalt an. Er trage jedoch ausschließlich die Unterhaltskosten für seine Tochter.

Das Finanzamt wies mit Berufungsvorentscheidung die Berufung als unbegründet ab. Ein von der Familie getrennt lebender Elternteil habe keinen Anspruch auf Familienbeihilfe, auch wenn er überwiegend den Unterhalt leiste, weil die Haushaltszugehörigkeit des Kindes zum anderen Elternteil vorgehe. Die Betreuung des Kindes durch den haushaltszugehörigen anderen Elternteil stelle eine geldwerte Leistung dar, durch welche der Unterhaltsbeitrag geleistet werde.

Im Vorlageantrag führte der Mitbeteiligte aus, lediglich er leiste geldwerte Unterhaltsbeiträge für die Tochter. Der Standpunkt des Finanzamtes, dass durch den dem Haushalt zugehörigen anderen Elternteil ebenfalls ein geldwerter Unterhaltsbeitrag geleistet werde, sei nicht stichhältig, weil seine Tochter volljährig sei und der Pflege und Obsorge ihrer Mutter nicht mehr bedürfe.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde den Bescheid des Finanzamtes und die Berufungsvorentscheidung gemäß § 289 Abs. 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt auf. In der Begründung führte sie nach auszugsweiser Wiedergabe von Bestimmungen des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (kurz: FLAG) aus, im Beschwerdefall sei nicht nur innerstaatliches Recht, sondern auch die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (kurz: VO), zu beachten. Der Mitbeteiligte, ein Bauingenieur und Geschäftsführer, lebe mit seiner Tochter nicht im gemeinsamen Haushalt. Die Tochter wohne in einem anderen Staat des Gemeinschaftsgebietes. Nach den Bestimmungen der VO bestehe auch in derartigen Fällen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ein Anspruch des Mitbeteiligten auf den Bezug der Familienbeihilfe im Inland. Ausgehend davon, dass kein gemeinsamer Haushalt geführt werde, reiche nach Art. 1 lit. f VO in diesen Fällen die Tatsache der überwiegenden Kostentragung durch den Mitbeteiligten aus.

In Verkennung der Rechtslage habe das Finanzamt keinerlei Sachverhaltsfeststellungen getroffen, sondern den angefochtenen Bescheid ausschließlich mit der mangelnden Haushaltszugehörigkeit begründet. Dadurch seien für die Entscheidung wesentliche Sachverhaltsaspekte nicht festgestellt worden. Es wäre zu prüfen, ob für die volljährige Tochter des Mitbeteiligten nach innerstaatlichem Recht ein Anspruch auf Familienbeihilfe wegen Berufsausbildung bestehe. Ferner wäre festzustellen gewesen, ob für die Tochter für den in Rede stehenden Zeitraum in Spanien als Wohnsitzstaat Familienleistungen an die Mutter vorgesehen seien und wenn ja in welcher Höhe. Unabhängig von der tatsächlichen Antragstellung oder Auszahlung allfällig zustehender Familienleistungen würde bei einem Anspruch der Mutter in Spanien nach der VO der inländische Anspruch des Mitbeteiligten in diesem Ausmaß ruhen. Der Mitbeteiligte hätte unter der Voraussetzung der überwiegenden Kostentragung Anspruch auf eine entsprechende Differenzzahlung. Sollte in Spanien kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehen, würde der subsidiäre Tatbestand der überwiegenden Kostentragung zur Geltung gelangen und möglicherweise ein primärer Anspruch auf die österreichische Familienbeihilfe bestehen. Daher wäre abzuklären, ob überwiegende Kostentragung durch den Mitbeteiligten in Bezug auf den Unterhalt der Tochter vorliege. Dazu wären die gesamten Unterhaltskosten zu ermitteln und der prozentuelle Anteil, den der Mitbeteiligte dazu beitrage, festzustellen, wobei auch der Zahlungsfluss durch geeignete Belege nachzuweisen wäre. Im Falle überwiegender Kostentragung und bei Vorliegen aller anderen Voraussetzungen wäre die Familienbeihilfe bzw. ein allfälliger Differenzbetrag zuzuerkennen, andernfalls bestehe weder Anspruch auf Familienbeihilfe noch auf Ausgleichszahlungen.

Das Finanzamt habe somit bei der Erlassung des gegenständlichen Bescheides Ermittlungen unterlassen, bei deren Durchführung allenfalls ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden können. Dies berechtige die belangte Behörde gemäß § 289 Abs. 1 BAO dazu, die Berufung durch Aufhebung des bekämpften Bescheides und der Berufungsvorentscheidung unter Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt zu erledigen. Die Aufhebung und Zurückverweisung seien insbesondere dadurch gerechtfertigt, weil es nicht Aufgabe der als reine Rechtsmittelbehörde eingerichteten Abgabenbehörde zweiter Instanz sein könne, wie eine Abgabenbehörde erster Instanz für diese den entscheidungswesentlichen Sachverhalt in einem allenfalls umfangreichen Verfahren erstmalig zu ermitteln und somit Aufgaben einer Partei im Streitverfahren zu übernehmen. Weiters sei von Bedeutung, dass sämtliche neuen Sachverhaltsfeststellungen wiederum der Abgabenbehörde erster Instanz unter Einräumung einer entsprechenden Frist zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht werden müssten, was allenfalls zur Notwendigkeit weiterer Erhebungen und somit zu einer unnotwendigen Verzögerung des Verfahrens führen würde. Es erscheine somit auch im Sinne der Verfahrensökonomie durchaus gerechtfertigt, wie im Spruch zu entscheiden.

Das Finanzamt trägt in der gemäß § 292 BAO erhobenen Beschwerde vor, lebe das Kind im gemeinsamen Haushalt mit der Mutter - und zwar unabhängig davon, ob im Inland oder im Ausland - schließe diese Tatsache jeden Anspruch des Vaters auf die Familienbeihilfe wegen überwiegender Kostentragung aus. Die Betreuung des Kindes stelle in jedem Fall eine vermögenswerte Leistung dar. Es könne somit ein Elternteil, der der Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinen Kindern - wenn diese mit dem anderen Elternteil im gemeinsamen Haushalt lebten - ausschließlich durch Geldleistung nachkomme, unabhängig von der Höhe seiner Geldleistung nicht überwiegend zum Unterhalt seiner Kinder beitragen. Alle für diese Rechtsauffassung erforderlichen wesentlichen Sachverhaltsaspekte seien festgestellt worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 28. Oktober 2008, 2008/15/0222-7, das gegenständliche Verfahren im Hinblick auf ein beim EuGH anhängiges Vorabentscheidungsverfahren, welches nunmehr mit dem Urteil des EuGH vom 26. November 2009, C- 363/08 , Slanina, beendet worden ist, ausgesetzt.

Nunmehr hat der Verwaltungsgerichtshof über die Beschwerde erwogen:

In der im Beschwerdefall gegebenen Konstellation steht nach nationalem Recht dem Beihilfenanspruch der Mutter der Tochter des Mitbeteiligten, zu deren in Spanien gelegenen Haushalt das Kind gehört, die Bestimmung des § 2 Abs. 8 FLAG entgegen, wonach Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe haben, wenn der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet gelegen ist.

Solcherart läge aus der Sicht des nationalen Rechts ein Anwendungsfall des § 2 Abs. 2 zweiter Satz FLAG vor. Nach dieser Bestimmung hat eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG anspruchsberechtigt ist. Im Beschwerdefall ist daher entscheidend, ob der Mitbeteiligte die Unterhaltskosten für seine Tochter überwiegend trägt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem im Gefolge des Urteiles des EuGH vom 26. November 2009, C-363/08 , Slanina, ergangenen Erkenntnis vom 16. Dezember 2009, 2009/15/0207, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass diese nationale Rechtslage durch die VO keine Änderung dahingehend erfährt, dass der Mutter in diesen Fällen ein unbedingter Anspruch eingeräumt wird. Pro Monat und Kind gebührt die Familienbeihilfe nur einmal (§ 10 Abs. 4 FLAG). Daran ändern die Regelungen der VO nichts. Bei einer Konstellation, wie sie dem gegenständlichen Fall zu Grunde liegt, steht der Anspruch auf Familienbeihilfe - oder gegebenenfalls bloß auf eine Ausgleichszahlung nach § 4 Abs. 2 FLAG - allein dem in Österreich verbleibenden Elternteil zu, wenn er im Sinne des § 2 Abs. 2 FLAG überwiegend die Unterhaltskosten trägt. Das zitierte Urteil des EuGH (Rz 32) steht dem nicht entgegen, betraf dieses Urteil doch den Fall der Rückforderung von Familienbeihilfe, die an die haushaltsführende Mutter für Kinder gewährt worden ist, deren unterhaltspflichtiger Vater seiner Unterhaltspflicht nicht nachgekommen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt daher die Auffassung der belangten Behörde, dass der Anspruch des Mitbeteiligten auf Familienbeihilfe davon abhängig ist, ob er die Unterhaltskosten für seine Tochter überwiegend getragen hat. Hiebei kommt es darauf an, ob der Mitbeteiligte den Geldunterhalt leistet (vgl. auch hiezu das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2009, 2009/15/0207). Der Umstand, dass die Mutter des Kindes die Betreuungsleistungen erbringt, steht dem nicht entgegen.

Der unabhängige Finanzsenat hat als Abgabenbehörde zweiter Instanz grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden. Die bloß kassatorische Erledigung nach § 289 Abs. 1 BAO soll die Ausnahme darstellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. April 2006, 2004/14/0059). Die Befugnis der Abgabenbehörde zweiter Instanz, ausnahmsweise nach § 289 Abs. 1 BAO vorzugehen, ist in deren Ermessen gestellt. Macht die Behörde von diesem Ermessen Gebrauch, hat sie die Ermessensübung zu begründen (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis 2004/14/0059).

Im gegenständlichen Fall hatte die belangte Behörde über die Berufung gegen den auf Grund des vom Mitbeteiligten gestellten Antrages auf Familienbeihilfe ergangenen Abweisungsbescheid des Finanzamtes abzusprechen. Aus den oben stehenden Ausführungen ergibt sich, dass zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Abweisungsbescheides Feststellungen insbesondere darüber erforderlich sind, ob der Mitbeteiligte die Kosten des Unterhalts (i.S.d. § 2 Abs. 2 FLAG 1967) überwiegend getragen hat.

Die belangte Behörde hat von der Ermittlung dieses Umstandes Abstand genommen und stattdessen die Sache gemäß § 289 Abs. 1 BAO an das Finanzamt zurückverwiesen. Zur Begründung der Ermessensentscheidung, von der - als Ausnahme vorgesehenen - Zurückverweisung Gebrauch zu machen, bedient sich die belangte Behörde bloß allgemein gehaltener Phrasierungen. Die verwaltungsgerichtliche Prüfung, ob mit einer solchen Begründung den Vorgaben des Gesetzes Genüge getan sein könnte, unterbleibt im gegenständlichen Fall allerdings deshalb, weil sich die Beschwerde gegen die Ermessensentscheidung in keiner Weise wendet.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Kostenzuspruch an die mitbeteiligte Partei gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Der belangten Behörde steht hingegen kein Kostenanspruch zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. September 2006, 2002/13/0228).

Wien, am 2. Februar 2010

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