VwGH 2009/15/0170

VwGH2009/15/017028.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des 1. R L in K und des 2. A T in W, beide vertreten durch die Hopmeier & Wagner Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Rathausstraße 15, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom 4. August 2009, Zl. RV/0847-G/08, betreffend Bescheidaufhebung nach § 295 Abs. 3 BAO, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §295;
BAO §307 Abs3;
BAO §295;
BAO §307 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer haben sich mit Vereinbarung vom 14. September 1995 zu einer atypisch stillen Gesellschaft zusammengeschlossen und im Rahmen dieser Gesellschaft u. a. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eines in X gelegenen Objektes erklärt. Geschäftsherr der atypisch stillen Gesellschaft war der Erstbeschwerdeführer. Die im Zusammenhang mit dem in X gelegenen Objekt erzielten Einkünfte der atypisch stillen Gesellschaft wurden zunächst vom Finanzamt J einheitlich und gesondert festgestellt, wobei der Bescheid für das Jahr 1997 am 30. Dezember 1998 erging.

Bei der atypisch stillen Gesellschaft fand 1999 eine abgabenbehördliche Prüfung betreffend die Jahre 1995 bis 1997 statt, die von der Amtsbetriebsprüfung des Finanzamtes K - dem Wohnsitzfinanzamt des Geschäftsherrn - durchgeführt wurde. Der Prüfer stellte fest, dass die atypisch stille Gesellschaft Einkünfte aus Gewerbebetrieb erziele, die beim Wohnsitzfinanzamt des Geschäftsherrn zu erfassen seien.

Das Finanzamt K folgte den Feststellungen des Prüfers, erließ am 25. Oktober 1999 unter einer für die atypisch stille Gesellschaft neu vergebenen Steuernummer einen entsprechenden Feststellungsbescheid und ersuchte das Finanzamt J, das Verfahren betreffend die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften der atypisch stillen Gesellschaft für das Jahr 1997 wiederaufzunehmen und Nichtfeststellungsbescheide zu erlassen.

Mit Bescheiden vom 25. Oktober 1999 verfügte das Finanzamt J die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die einheitliche und gesonderte Feststellung 1997, hob den für dieses Jahr ergangenen Feststellungsbescheid auf und stellte fest, dass in Bezug auf das Objekt in X keine gesonderte Feststellung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu erfolgen habe.

Die Beschwerdeführer beriefen gegen die Bescheide vom 25. Oktober 1999 und brachten gegen eine abweisende Berufungserledigung vom 8. Oktober 2002 Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof ein, der diese mit Erkenntnis vom 2. März 2006, 2002/15/0195, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufhob.

Das Finanzamt J gab in weiterer Folge der Berufung gegen die Bescheide vom 25. Oktober 1999 mit Berufungsvorentscheidung vom 11. April 2006 statt.

Mit Bescheid vom 17. September 2008 hob das Finanzamt J den nach der Berufungsvorentscheidung vom 11. April 2006 wieder im Rechtsbestand befindlichen Feststellungsbescheid vom 30. Dezember 1998 gemäß § 295 Abs. 3 BAO auf und führte begründend aus, dass in Bezug auf das Objekt in X zwei Feststellungsbescheide existierten. Das Finanzamt J habe die daraus resultierenden Einkünfte der atypisch stillen Gesellschaft mit Bescheid vom 30. Dezember 1998 als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erfasst. Am 25. Oktober 1999 habe das Finanzamt K gegenüber derselben atypisch stillen Gesellschaft einen weiteren Feststellungsbescheid erlassen, der auf Grund des Einheitlichkeitsprinzips auch die aus dem Objekt in X stammenden Einkünfte umfasst habe. Der doppelte Abspruch über Einkünfte aus ein und derselben Einkunftsquelle sei zweifellos rechtswidrig.

Zur Beseitigung der Rechtswidrigkeit sei der Feststellungsbescheid des Finanzamtes J gemäß § 295 Abs. 3 BAO aufzuheben. "Nach dieser Bestimmung ist zwingend ein Bescheid (hier der F-Bescheid des (Finanzamtes J) vom 30.12.1998) aufzuheben, weil dieser nicht hätte ergehen dürfen, wäre bei seiner Erlassung bereits ein anderer Bescheid (hier der spätere F-Bescheid des (Finanzamtes K) vom 25.10.1999) erlassen gewesen. Mit dieser jetzigen Aufhebung wird ein Rechtszustand hergestellt, nach dem letztlich nur ein einziger, sämtliche Einkünfte der Gemeinschaft umfassender, Feststellungsbescheid dem Rechtsbestand angehört."

Die Beschwerdeführer beriefen gegen den Bescheid vom 17. September 2008 und vertraten die Auffassung, dass § 295 Abs. 3 BAO im Streitfall nicht anwendbar sei. Zudem sei ein Bescheid aufgehoben worden, der nicht mehr dem Rechtsbestand angehöre. Das Finanzamt J habe am 11. April 2006 eine Berufungsvorentscheidung erlassen, mit der die vor Wiederaufnahme des Verfahrens und Nichtfeststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung 1997 eingetretene Rechtslage wieder hergestellt worden sei. Formell liege eine Berufungsvorentscheidung vor, die an die Stelle der ursprünglichen Entscheidung getreten und der Rechtskraft fähig sei.

Mit dem hier angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge, vertrat die Auffassung, dass ein Anwendungsfall des § 295 Abs. 3 BAO vorliege und führte ergänzend dazu aus, dass mit der Berufungsvorentscheidung der Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid vom 25. Oktober 1999 stattgegeben worden sei. Damit sei auch der Nichtfeststellungsbescheid vom 25. Oktober 1999 aus dem Rechtsbestand ausgeschieden. Da diese Wirkung kraft Gesetzes eintrete, handle es sich bei den Ausführungen in der Berufungsvorentscheidung "betreffend die Höhe der festgestellten Einkünfte lediglich um einen Hinweis auf den Inhalt des wieder im Rechtsbestand befindlichen Bescheides vom 28. Dezember 1998".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde - erwogen:

Dem Beschwerdevorbringen, wonach der Feststellungsbescheid vom 30. Dezember 1998 zum Zeitpunkt seiner Behebung nach § 295 Abs. 3 BAO nicht mehr dem Rechtsbestand angehört habe, weil die Berufungsvorentscheidung vom 11. April 2006 an dessen Stelle getreten sei, ist zu entgegnen, dass mit der Berufungsvorentscheidung lediglich über die Berufung der Beschwerdeführer "gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens und Nichtfeststellung der Einkünfte aus V u V 1997" abgesprochen wurde, die nach Aufhebung der Berufungserledigung vom 8. Oktober 2002 durch den Verwaltungsgerichtshof wieder unerledigt war.

Der Wiederaufnahmebescheid und der neue Sachbescheid sind zwei Bescheide, die jeder für sich einer Berufung zugänglich sind. Werden - wie im Streitfall - beide Bescheide mit Berufung angefochten, ist zunächst über die Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid zu entscheiden. Wird der Wiederaufnahmebescheid aufgehoben, tritt nach § 307 Abs. 3 BAO das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat. Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides scheidet der neue Sachbescheid ex lege aus dem Rechtsbestand aus und der alte Sachbescheid lebt wieder auf (vgl. Ritz, BAO4, § 307 Tz 7 und 8, mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung).

Mit der Berufungsvorentscheidung vom 11. April 2006 gab das Finanzamt J der Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid statt. Dadurch lebte der Feststellungsbescheid vom 30. Dezember 1998 ex lege wieder auf. Daher stößt es auf keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Bedenken, wenn die belangte Behörde die in der Berufungsvorentscheidung enthaltenen Ausführungen zur Höhe der festgestellten Einkünfte - in verständiger Würdigung - nur als Hinweis auf den Inhalt des wieder im Rechtsbestand befindlichen Feststellungsbescheides vom 30. Dezember 1998 angesehen hat.

Der Gerichtshof teilt aber die von den Beschwerdeführern vertretene Auffassung, dass der Feststellungsbescheid vom 30. Dezember 1998 nicht nach § 295 Abs. 3 BAO aufgehoben werden kann.

§ 295 BAO lautet auszugsweise:

"(1) Ist ein Bescheid von einem Feststellungsbescheid abzuleiten, so ist er ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, im Falle der nachträglichen Abänderung, Aufhebung oder Erlassung des Feststellungsbescheides von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen oder, wenn die Voraussetzungen für die Erlassung des abgeleiteten Bescheides nicht mehr vorliegen, aufzuheben. …

(2) Ist ein Bescheid von einem Abgaben-, Meß-, Zerlegungs- oder Zuteilungsbescheid abzuleiten, so gilt Abs. 1 sinngemäß.

(3) Ein Bescheid ist ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, auch ansonsten zu ändern oder aufzuheben, wenn der Spruch dieses Bescheides anders hätte lauten müssen oder dieser Bescheid nicht hätte ergehen dürfen, wäre bei seiner Erlassung ein anderer Bescheid bereits abgeändert, aufgehoben oder erlassen gewesen. (…)"

Die Anwendung des § 295 BAO setzt eine Bindung eines nachfolgenden Bescheides an einen vorangehenden Bescheid voraus. Diese Bindung kann (abgesehen von der vorausgesetzten, immanenten inhaltlichen Bindung) eine formalisierte sein, also eine Bindung zufolge der Bescheidabhängigkeit innerhalb einer besonderen Bescheidhierarchie. Hierfür gilt bei förmlichen Folgeänderungen § 295 Abs. 1 und Abs. 2 BAO. Die Bindung kann aber auch ausschließlich eine innere sein, wofür bei Folgeänderungen § 295 Abs. 3 BAO gilt (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 2859).

Im angefochtenen Bescheid wird ausgeführt, dass der Bescheid des Finanzamtes K vom 25. Oktober 1999 im Verhältnis zum Bescheid des Finanzamtes J vom 30. Dezember 1998 einen "grundlagenbescheidähnlichen Bescheid" darstelle, "weil er den vom Finanzamt J erlassenen Feststellungsbescheid materiell beeinflusst". Insofern sei der vorliegende Fall mit jenem vergleichbar, der der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Mai 1991, 90/14/0149, zugrunde gelegen sei. Die materielle Beeinflussung bestehe darin, dass das Finanzamt K zu entscheiden habe, ob es sich bei den Einkünften der atypisch stillen Gesellschaft um Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung oder um Einkünfte aus Gewerbebetrieb handle und ob die aus dem Objekt in K erzielten Einkünfte der atypisch stillen Gesellschaft vom Finanzamt J oder vom Finanzamt K zu erfassen seien. Diese Frage sei vom Finanzamt K nach Vornahme einer Außenprüfung anders beurteilt worden als vom Finanzamt J, was zu einer doppelten Berücksichtigung der aus dem Objekt in K erzielten Einkünfte geführt habe.

Mit diesen Ausführungen verkennt die belangte Behörde, dass dem Erkenntnis vom 14. Mai 1991, 90/14/0149, ein Sachverhalt zugrunde lag, der mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar ist. Sowohl mit dem Bescheid des Finanzamtes J als auch mit dem Bescheid des Finanzamtes K wurden Einkünfte der atypisch stillen Gesellschaft für das Jahr 1997 festgestellt. Die beiden Bescheide befinden sich daher nicht auf unterschiedlichen Bescheidstufen, was allerdings die Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 295 Abs. 3 BAO ist (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 2857).

Der angefochtene Bescheid erweist sich somit als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung einer Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 28. Februar 2012

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