Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Anfechtung (Aufhebung erstinstanzlicher Zurückweisungsbescheide vom 9. Jänner 2009) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Im vorliegenden Fall ist zwischen der belangten Behörde und dem beschwerdeführenden Finanzamt nicht strittig, dass der Mitbeteiligte zum Zeitpunkt des den Streitpunkt bildenden Zustellvorgangs im September 2008 an FinanzOnline teilnahm, er im Sinne des § 97 Abs. 3 vierter Satz BAO der Mitteilung von Erledigungen durch FinanzOnline zugestimmt und diese Zustimmung nicht widerrufen hatte und die ihn im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung betreffenden Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2006 und 2007 am 6. September 2008 in seine "Databox" bei FinanzOnline eingebracht wurden. Seine im Anschluss an eine Vorsprache beim Finanzamt erst mit Schreiben vom 25. Oktober 2008 erhobene Berufung gegen die beiden Einkommensteuerbescheide wies das Finanzamt mit Bescheiden vom 9. Jänner 2009 als verspätet zurück.
In der Berufung dagegen brachte der Mitbeteiligte - neben anderen FinanzOnline betreffenden Kritikpunkten - vor, seine Zugangsdaten bei FinanzOnline seien "bis jetzt immer nur einmal funktionsfähig" gewesen. Er habe sich schon viermal - zuletzt im Oktober 2008 - einen Zugangscode geben lassen müssen und soeben festgestellt, dass ihm auch mit diesem neuesten Zugangscode der Zugriff auf seine "Databox" verwehrt werde. Dem von ihm beigelegten Ausdruck nach war ihm bei diesem Einstiegsversuch
Folgendes mitgeteilt worden:
"Verarbeitung konnte nicht durchgeführt werden, folgende
Fehler sind aufgetreten:
Benutzer nach mehreren Fehlversuchen beim LOGIN gesperrt. Bitte wenden Sie sich an ein Finanzamt. Unter gewissen Voraussetzungen haben Sie auch die Möglichkeit, eine Online-Rücksetzung durchzuführen. (siehe 'PIN vergessen/gesperrt')."
Zu diesem Thema brachte der Mitbeteiligte - in einer weiteren Eingabe - ergänzend vor, er benutze beim "e-banking" und in anderen Zusammenhängen seit Jahren solche Einstiegsmöglichkeiten und habe damit nie Probleme. Die "offensichtliche Unterstellung", er sei unfähig, einen Zugangscode korrekt einzugeben, treffe daher "ins Leere".
Mit dem angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde die Zurückweisungsbescheide vom 9. Jänner 2009 in Erledigung der vom Mitbeteiligten dagegen erhobenen Berufung ersatzlos auf. Sie ging im Sachverhalt davon aus, dass zwar einerseits die Einkommensteuerbescheide am 6. September 2008 in die "Databox" des Mitbeteiligten eingebracht worden seien, er aber andererseits nicht in der Lage gewesen sei, darauf zuzugreifen:
"Im relevanten Zeitraum (5. September bis 23. Oktober 2008) waren dem Bw keine funktionsfähigen Zugangscodes zu FinanzOnline bekannt, weshalb er in diesem Zeitraum nicht auf seine Databox in FinanzOnline zugreifen konnte. Dies wird geschlossen aus dem diesbezüglichen Vorbringen des Bw (...), dem das Finanzamt nicht entgegentritt. Für die rechtliche Würdigung des Sachverhaltes nach der hier anschließend vertretenen Ansicht ist es unerheblich, ob der Bw die Zugangscodes vergessen/verloren hat oder ob die Zugangscodes zwar richtig waren, aber trotzdem unter der vom Bw verwendeten EDV-Systemumgebung nicht funktionierten."
In ihren daran anschließenden Rechtsausführungen vertrat die belangte Behörde den Standpunkt, unter dem "elektronischen Verfügungsbereich" im Sinne des für die Bestimmung des Zustellungszeitpunktes maßgeblichen § 98 Abs. 2 BAO sei der für den Empfänger vorgesehene Speicherbereich zu verstehen, dies aber nur "bei gleichzeitig gegebener Möglichkeit des Empfängers, über diesen Speicher-Bereich zu verfügen, d.h. auf diesen Speicher-Bereich elektronisch zuzugreifen". Die zuletzt genannte Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt, weil der Mitbeteiligte im relevanten Zeitraum nicht die Möglichkeit gehabt habe, auf seine "Databox" in FinanzOnline elektronisch zuzugreifen. Damit sei die im Anschluss an seine Vorsprache beim Finanzamt (bei der ihm Bescheidausdrucke ausgehändigt wurden) erhobene Berufung nicht verspätet gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde des Finanzamts, die sich ohne Auseinandersetzung mit der Frage, ob und weshalb dem Mitbeteiligten - wie von der belangten Behörde angenommen - "keine funktionsfähigen Zugangscodes zu FinanzOnline bekannt" waren, gegen die Rechtsansicht der belangten Behörde richtet, dass dies für den Zeitpunkt der Zustellung von Bedeutung sei. Das Fehlen der Zugriffsmöglichkeit, so die in der Beschwerde vertretene Auffassung, könne wie der Verlust oder die Beschädigung eines Postkastenschlüssels nur als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie darauf hinweist, dass sich der für die Zustellung vorgesehene Speicherbereich ("Databox") im vorliegenden Fall nicht in der elektronischen Datenverarbeitungsanlage des Empfängers, sondern in der "EDV der Finanzverwaltung" oder des Bundesrechenzentrums als Dienstleister befinde, § 98 Abs. 2 BAO anders als die in der Amtsbeschwerde u.a. als Vorbilder beschriebenen Regelungen in § 55 Abs. 4 Zollrechts-Durchführungsgesetz und § 89d Abs. 2 Gerichtsorganisationsgesetz nicht vorwiegend berufsmäßig befasste Benutzer, sondern "grundsätzlich alle Steuerbürger" ansprechen solle und die in der Amtsbeschwerde zitierten Materialien zu § 98 Abs. 2 BAO (270 BlgNR 23. GP 13: "das ist bei FinanzOnline der Zeitpunkt der Einbringung der Daten in die Databox") keine Gesetzeskraft hätten. Davon abgesehen verweist die belangte Behörde auch auf die Regelung betreffend Ortsabwesenheiten im letzten Satz des § 98 Abs. 2 BAO. Das Gesetz stelle "auch" dort auf die tatsächliche Möglichkeit ab, vom Zustellvorgang Kenntnis zu erlangen.
Der unvertretene Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in der er - wie schon im Verwaltungsverfahren - vor allem die Schriftgrößen in FinanzOnline kritisiert und den Standpunkt vertritt, er habe, wenn überhaupt, nur auf Grund eines u. a. dadurch ausgelösten Missverständnisses seine Zustimmung zu elektronischen Zustellungen erteilt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Streitpunkt der vorliegenden Beschwerde ist die Auslegung des durch das Abgabensicherungsgesetz 2007, BGBl. I Nr. 99, eingeführten, am außer Kraft getretenen § 26a Zustellgesetz orientierten § 98 Abs. 2 BAO, der wie folgt lautet:
"§ 98. (1) (...)
(2) Elektronisch zugestellte Dokumente gelten als zugestellt, sobald sie in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt des Einlangens von Amts wegen festzustellen. Die Zustellung gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam."
Die Erläuterungen dazu enthalten den in der Amtsbeschwerde zitierten Satz, der Zeitpunkt, in dem die Daten "in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt" seien, sei "bei FinanzOnline der Zeitpunkt der Einbringung der Daten in die Databox" (270 BlgNR 23. GP 13). Die belangte Behörde stellt dies - trotz des Hinweises auf die mangelnde normative Kraft der Erläuterungen in der Gegenschrift - nicht grundsätzlich in Frage. Sie vertritt der Sache nach die Auffassung, "die Databox" im Sinne dieses Satzes in den Erläuterungen könne nur eine solche sein, zu der der Empfänger Zugang habe.
Dieser Standpunkt findet Deckung im Gesetz, weil sich ein Speicherbereich, zu dem der Empfänger keinen Zugang hat, nicht als sein "elektronischer Verfügungsbereich" verstehen lässt. Gemäß § 1 Abs. 2 der FinanzOnline-Verordnung 2006, BGBl. II Nr. 97, ist die automationsunterstützte Datenübertragung auch nur zulässig für Funktionen, die "dem jeweiligen Teilnehmer" in FinanzOnline "zur Verfügung stehen". Das setzt - für die Zustellung von Erledigungen in die "Databox" - voraus, dass dem Empfänger die für den Zugriff darauf erforderlichen Zugangsdaten "zur Verfügung stehen".
In Bezug auf die Frage, wann Letzteres so zutrifft, dass die Zustellung in die "Databox" zulässig und die Einbringung der Daten in diesen Speicherbereich mit der in § 98 Abs. 2 erster Satz BAO normierten Rechtsfolge verbunden ist, bedarf es aber einer Abgrenzung gegenüber Abruf- und Empfangsproblemen, die sich aus der Verwahrung und dem Gebrauch der dem Empfänger zur Verfügung gestellten Zugangsdaten ergeben (vgl. in diesem Zusammenhang auch die den Teilnehmern in § 1 Abs. 3 der zitierten Verordnung auferlegten Sorgfaltspflichten). § 98 Abs. 2 dritter Satz BAO steht dem nicht entgegen. Die Wirksamkeit der Zustellung wird darin - nach dem Muster des § 17 Abs. 3 Zustellgesetz - an eine negative Bedingung geknüpft, die vom Verhalten des Empfängers abhängt und deren Nichterfüllung meist erst nachträglich hervorkommt. Das Gesetz beschränkt die damit - in der Form nicht bloß einer Wiedereinsetzungsmöglichkeit, sondern der vorläufigen Unwirksamkeit der Zustellung - verbundene Berücksichtigung der nicht rechtzeitigen Kenntnis vom Zustellvorgang aber ausdrücklich auf den von der belangten Behörde nicht angenommenen Fall der Abwesenheit von der Abgabestelle.
Der belangten Behörde kann daher nicht gefolgt werden, wenn sie meint, es sei "unerheblich, ob der Bw die Zugangscodes vergessen/verloren hat oder ob die Zugangscodes zwar richtig waren, aber trotzdem unter der vom Bw verwendeten EDV-Systemumgebung nicht funktionierten", und die Zustellung sei in jedem dieser Fälle unwirksam geblieben. Ob sich der Empfänger - mit oder ohne Hilfe geeignet verwahrter Aufzeichnungen - noch an die Zugangsdaten erinnern kann und wie gut oder schlecht die von ihm gerade "verwendete EDV-Systemumgebung" funktioniert, kann für die Wirksamkeit der Zustellung nicht maßgebend und im Sinne der in der Amtsbeschwerde vertretenen Auffassung nicht anders zu beurteilen sein als der Verlust eines Briefkastenschlüssels oder ein technischer Defekt in einem Fax-Empfangsgerät.
Dass er Zugangsdaten vergessen oder verloren oder das Problem mit seiner eigenen "EDV-Systemumgebung" zu tun gehabt hätte, war aber auch nicht das Vorbringen des Mitbeteiligten. Dieses ging erkennbar dahin, dass seine Einstiegsversuche zu falschen Fehlermeldungen von FinanzOnline geführt hätten und ihm der Zugang zu seiner "Databox" - zumindest bei seinem letzten Versuch - mit der nicht zutreffenden Behauptung von "Fehlversuchen beim LOGIN" verwehrt worden sei. Über Probleme dieser Art und gegebenenfalls das Ausmaß der daraus resultierenden Behinderung hat die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen, weshalb der angefochtene Bescheid der Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof auch nicht unter dem Gesichtspunkt standhält, dass gravierende Mängel in der Gewährleistung des Zugangs die Qualifikation der "Databox" als "Verfügungsbereich des Empfängers" in Frage stellen könnten.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 31. Juli 2013
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