VwGH 2009/09/0127

VwGH2009/09/012718.5.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Rosenmayr und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerden der P M in W, vertreten durch Dr. Alice Hoch, Rechtsanwältin in 2361 Laxenburg, Schlossplatz 12, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien 1. vom 8. Jänner 2009, Zl. UVS- 07/A/40/98/2008 (hg. Zl. 2009/09/0127), 2. vom 12. Jänner 2009, Zl. UVS-07/AV/36/6005/2008-11 (hg. Zl. 2009/09/0111), betreffend Wiedereinsetzungsanträge gegen die Versäumung der Fristen zur Erhebung von Berufungen gegen die Straferkenntnisse des Magistrates der Stadt Wien 1. vom 15. Juni 2007, 2. vom 18. Juni 2007 (weitere Parteien: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:

Normen

ZustG §17 Abs1;
ZustG §17 Abs2;
ZustG §21 Abs2;
ZustG §17 Abs1;
ZustG §17 Abs2;
ZustG §21 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.221,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin wurde als persönlich haftende Gesellschafterin der P M KEG mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom 15. Juni 2007 wegen Verstößen gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz betreffend die rumänischen Staatsangehörigen Lucica B., Elena G., Diana S. und Georgiana V. sowie mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom 18. Juni 2007 wegen Verstößen gegen das Ausländerbeschäftigungsgesetz betreffend die rumänischen bzw. slowakischen Staatsangehörigen Mihaela A., Corina C., Mirela C., Eleonora C., Dominika D. und Daniela K. jeweils zu Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen verurteilt.

Mit den im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheiden hat die belangte Behörde die (im Wesentlichen gleich lautenden) Anträge der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 1. Oktober 2007 bzw. 20. August 2007 gegen die Versäumung der Fristen zur Erhebung von Berufungen gegen die Straferkenntnisse des Magistrates der Stadt Wien vom 15. Juni 2007 (hg. Zl. 2009/09/0127) bzw. 18. Juni 2007 (hg. Zl. 2009/09/0111) abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde - zum Teil durch bloßen Verweis auf die für glaubhaft gehaltenen Beweisergebnisse - aus, die Beschwerdeführerin habe auf Grund der Zustellung von Kostenbescheiden der Bundespolizeidirektion Wien von den Straferkenntnissen Kenntnis erlangt. Sie habe fristgerecht Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. In deren Begründung habe sie einerseits ausgeführt, dass die Straferkenntnisse bisher nicht zugestellt worden und daher keine Säumnisfolgen eingetreten seien. Andererseits habe sie ausgeführt, der Postkasten an der Adresse XY Wien, H-gasse 80/9, sei durch sie bzw. ihren Ehemann stets entleert worden. Im Postkasten habe sich zu keiner Zeit eine Benachrichtigung über die Hinterlegung gefunden. Entweder seien die Verständigungen durch eine unbekannte Person entfernt oder sie seien mit Werbematerial vermengt und unabsichtlich mit dem Altpapier entsorgt worden. Auch eine Fehlzustellung erscheine möglich. Jedenfalls läge nur ein minderer Grad des Versehens vor.

Die Beschwerdeführerin wohne - so die belangte Behörde weiter - in XY Wien, H-gasse 80, Tür 9 bis 11. Im Melderegister und im Firmenbuch scheine als Adresse jeweils XY Wien, Hgasse 80/9, auf. Die Beschwerdeführerin sei an dieser Adresse seit rund neun Jahren gemeldet und habe bei ihrem Einzug den Postschlüssel für das Hausbrieffach mit der Nr. 39 erhalten. Einen Schlüssel für das Brieffach Nr. 9 habe sie nie besessen.

Das Brieffach mit der Nr. 9 sei nicht vergeben. Es sei mittels Karton ausgefüllt. Der Karton solle vermeiden, dass dort irrtümlich jemand Post hinein lege. Die Kartons würden aber das tatsächliche Einlegen von Schriftstücken, z.B. von Werbeprospekten, nicht verhindern. Auf dessen Innenseite befinde sich ein schriftlicher Hinweis mit dem Wortlaut "Post Tür 39". Im untersten Bereich der Tür zum Brieffach Nr. 9 fehle ein kleines Stück des Blechs. Bei der Hausbrieffachanlage handle es sich um einen so genannten "alten" Briefkasten mit senkrecht angebrachten Türen, welche die Post mit einem Zentralschlüssel öffnen könne, wobei nicht ein einzelnes Brieffach, sondern jeweils mehrere Fächer gleichzeitig aufgesperrt würden.

Ein Lokalaugenschein vom 22. April 2008 in XY Wien, Hgasse 80, habe folgendes Ergebnis gebracht:

"Das Lokal 'Räuberhöhle' ist ein Kellerlokal, dh es ist von der Hardtmuthgasse aus über zwei Stufen nach unten zu betreten. Den Eingang bildet eine aus zwei Flügel bestehende Holztüre ohne Briefschlitz. Zum Zeitpunkt des Lokalaugenscheins war das Lokal versperrt. An der Hauswand ist eine Gegensprechanlage (Glocke) montiert. Oberhalb der Holztür ist der Firmenname 'P M KEG' und die Telefonnummer 'XX' angeschrieben. Weder an der Eingangstüre noch an der Hausfront befindet sich ein Briefkasten. Es sind auch keine Montagelöcher oder sonstige Hinweise ersichtlich, dass ein solcher vormals an der Hausfront in der Hardtmuthgasse angebracht gewesen wäre. Gleiches gilt für die H-gasse 80.

Nach der Aktenlage ist Frau P M in XY Wien, H-gasse 80/9 gemeldet. Zu dieser Adresse gibt es ein Brieffach im Stiegenhaus (im Halbstock links). Hierbei handelt es sich um einen 'alten' Briefkasten, der noch von der Post mittels Schlüssels geöffnet werden kann. Das Brieffach mit der Nummer 9 war im untersten Bereich beschädigt, das heißt, die Brieffachtür war nicht zur Gänze vorhanden. Die im Brieffach befindliche Post war daher zum Teil ersichtlich.

An der Tür mit der Nummer 9 stand der Name 'H'. Kontakt wurde keiner aufgenommen."

In den Verwaltungsverfahren habe der Beschwerdeführerin unter der genannten Adresse zugestellt werden können. Sie habe im Rahmen ihrer Vernehmung keine Angaben darüber gemacht, dass ihre Postanschrift nicht die H-gasse 80/9 sei. Insbesondere habe sie der Behörde nicht bekannt gegeben, dass das von ihr dauerhaft benutzte Hausbrieffach nicht die Nr. 9, sondern die Nr. 39 trage. Die genannten Straferkenntnisse seien nach ihrer Formulierung und nach der Zustellverfügung an die Beschwerdeführerin, XY Wien, Hgasse 80/9, adressiert. Auch auf den Rückscheinen scheine diese Adresse auf. Die Straferkenntnisse seien nach Vornahme eines Zustellversuches an der Tür 9 durch den Zusteller der Österreichischen Post AG, den Zeugen O., jeweils durch Einlegen der Verständigungsanzeigen in das Hausbrieffach mit der Nr. 9 und durch anschließende Hinterlegung beim Postamt XZ am 26. Juni 2007 (Beginn der Abholfrist) zugestellt worden. (Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, dass die Zustellstücke nicht behoben worden sind.)

Die Beschwerdeführerin finde ihre Post gewöhnlich im Briefkasten Nr. 39 vor. Die "Stammbriefträgerin", die Zeugin T., wisse seit zehn Jahren, dass die Beschwerdeführerin das Hausbrieffach mit der Nr. 39 habe und dass die Hausbrieffächer mit den Nr. 9, 10 und 11 nicht vergeben seien. Wenn die Beschwerdeführerin nicht zu Hause sei, habe die Briefträgerin den gelben Verständigungszettel in das Postfach mit der Nr. 39 eingelegt. Im Rayon der Zeugin T. sei dies der einzige Fall, wo die Türnummer von der Hausbrieffachnummer abweiche.

Zum Zeitpunkt der Zustellung der gegenständlichen Straferkenntnisse habe nicht die Zeugin T., sondern der als "Springer" tätige Postzusteller, der Zeuge O., Dienst versehen. Von diesem stamme auch die auf den gegenständlichen Rückscheinen aufscheinende Unterschrift. Der Zeuge O. habe die Besonderheiten der Bezeichnung des Briefkastens der Beschwerdeführerin nicht gekannt. Ihm sei von niemandem gesagt worden, dass die Post für die Tür Nr. 9 in das Hausbrieffach mit der Nr. 39 gelegt werden soll. Er sei im Rayon allein unterwegs gewesen und zuvor nicht mit der zuständigen Briefträgerin (der Zeugin T.) mitgegangen. Er habe nach einem Zustellversuch an der Wohnung Nr. 9 die Verständigungszettel in das Brieffach Nr. 9 eingelegt, wobei er vergessen habe, dies auf den Rückscheinen anzumerken. Der Zeuge O. habe zwei bis drei Wochen in dem betreffenden Rayon ausgeholfen. Der Hinweis im Hausbrieffach Nr. 9 (auf das Hausbrieffach Nr. 39) sei nicht groß. Bei größerer Aufmerksamkeit hätte der Zeuge O. den Hinweis vorfinden müssen. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Verständigungen über die Hinterlegungen aus dem Postfach entnommen worden wären. Da die Beschwerdeführerin keinen Schlüssel zum Brieffach Nr. 9 gehabt habe, sei auszuschließen, dass diese die Hinterlegungsanzeigen irrtümlich weggeworfen hätte.

Da die erstinstanzlichen Straferkenntnisse am 26. Juni 2007 an die Adressatin, die Beschwerdeführerin, nicht hätten persönlich zugestellt werden können, der Zusteller aber keinen Grund zur Annahme gehabt habe, dass sie ortsabwesend sei, sei die Hinterlegung beim Postamt zu Recht vorgenommen worden. Gemäß § 17 Abs. 2 Zustellgesetz seien die Verständigungen "in dem für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen". Der Zusteller habe die schriftlichen Verständigungen in das Hausbrieffach mit der Nr. 9 eingelegt. Dass die entsprechende Rubrik "Verständigung über die Hinterlegung" auf den - zum Nachweis der Zustellung dienenden - Rückscheinen nicht angekreuzt worden sei, sei für die Wirksamkeit der Zustellung ohne Bedeutung.

Bei der Beurteilung der Frage, welcher Briefkasten für die Abgabestelle bestimmt ist, sei ein objektiver Maßstab anzuwenden.

§ 17 Abs. 2 Zustellgesetz richte sich an das Zustellorgan. Es sei daher als Beurteilungsmaßstab ein durchschnittlich ausgebildeter und erfahrener, mit dem Zustellrecht vertrauter und gesetzestreuer Zusteller als objektive Maßfigur heranzuziehen. An Hand dieser Maßfigur sei zu prüfen, welcher Briefkasten für welche Abgabestelle bestimmt sei. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei die Bezeichnung des Hausbrieffaches mit zumindest einer der Wohnungstüren ident, sodass regelmäßig eine Identität zwischen der Bezeichnung der Adresse und der Bezeichnung des Hausbrieffaches bestehe. Eine Abweichung sei der belangten Behörde bisher nicht bekannt geworden. Sowohl die Zeugin T. als auch der Zeuge O. hätten darauf hingewiesen, dass es ein außergewöhnlicher Umstand sei, dass jemand in einer Wohnung mit der Tür Nr. 9 bis 11 wohne, jedoch als Hausbrieffach die Nr. 39 verwende. Ein durchschnittlicher Zusteller werde davon ausgehen, dass die Hausbrieffachnummer der Türnummer des Adressaten entspreche. Eine - aus welchen Gründen immer zustande gekommene - Abweichung von dieser Regel habe keinen Einfluss auf die Bestimmtheit des Brieffaches iSd § 17 Abs. 2 Zustellgesetz. Das Sonderwissen eines bestimmten Zustellorgans (der Zeugin T.) sei im konkreten Fall unbeachtlich. Käme es auf die tatsächliche Bestimmtheit im Sinne einer faktischen Nutzung an, stünde es in freier Disposition sämtlicher Adressaten, ihre Hausbrieffächer abweichend von ihrem Adressaten zu nummerieren. Damit wäre ein geordnetes Zustellwesen nicht mehr möglich. Es liege daher eine rechtlich einwandfreie Zustellung der Straferkenntnisse in Form der Hinterlegung nach § 17 Zustellgesetz am 26. Juni 2007 vor. Die erst am 21. August 2007 eingebrachten Berufungen seien daher verspätet.

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG hätten die Antragsteller glaubhaft zu machen, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen seien, die Frist einzuhalten. Die schriftlich geltend gemachten Gründe (Entfernung der Verständigungen durch Dritte bzw. das irrtümliche Wegwerfen der Verständigungen durch die Beschwerdeführerin) lägen nicht vor. Das Vorbringen, dass keine Zustellung vorliege, stelle keinen Wiedereinsetzungsgrund dar. Auf der Basis der geltend gemachten Gründe seien die Wiedereinsetzungsanträge abzuweisen.

Aber auch unter Heranziehung der im Ermittlungsverfahren hervorgekommenen Umstände (Abweichung in der Nummerierung zwischen Wohnung und Brieffach) liege kein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund vor. Maßgeblich dafür, dass die Beschwerdeführerin von der Hinterlegung keine Kenntnis habe erlangen können, sei der Umstand, dass die Verständigungen nicht - wie von der Beschwerdeführerin erwartet - in das Brieffach Nr. 39, sondern in das Brieffach Nr. 9 gelegt worden seien. Dies sei darauf zurückzuführen gewesen, dass das in Vertretung tätige Zustellorgan keine Kenntnis von der beschriebenen besonderen Situation gehabt habe.

Ein minderer Grad des Versehens, der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht hindere, liege nur dann vor, wenn ein Fehler begangen werde, der gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterlaufe. Die Beschwerdeführerin wohne seit rund neun Jahren an der genannten Adresse. Zumindest ebenso lange bestehe die Abweichung zwischen Wohnungsbezeichnung und der Nummer des Hausbrieffaches. Dieser Umstand sei geeignet, Zustellungen fehlzuleiten. Abgesehen davon, dass niemand darauf vertrauen könne, dass jeden Tag der mit der örtlichen Situation vertraute Zusteller seinen Dienst versehe, gebe es auch eine Zahl weiterer Zustelldienste neben der Post. § 3 Zustellgesetz sehe auch Zustellungen durch Behörden- oder Gemeindeorgane vor. Diese Zustellorgane verfügten naturgemäß nicht über das notwendige "Sonderwissen". Schon diese Umstände hätten es geboten, Vorsorge zu treffen, dass die Abweichung der Bezeichnung zu keinen Wiedereinsetzungsgründen führe. Die Beschwerdeführerin habe keine Maßnahmen zur Bereinigung dieser fehleranfälligen Situation getroffen. Dadurch sei das Maß einer bloß leichten Fahrlässigkeit bereits überschritten. Hinzu komme, dass die Beschwerdeführerin von den anhängigen Verfahren Kenntnis gehabt und es unterlassen habe, der Behörde bekannt zu geben, dass ihre Zustelladresse XY Wien, H-gasse 80/9, Hausbrieffach 39", laute. Wer eine "Gefahrenquelle" für Zustellfehler eröffne bzw. diese nicht in angemessener Zeit beseitige, habe die Verpflichtung, auf diese Besonderheiten aufmerksam zu machen, andernfalls nicht mehr von einem Fehler gesprochen werden könne, der gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterlaufe. In diesem Sinne wäre auch die Hinterlegung der Verständigungsnachricht im Brieffach Nr. 9 abzuwenden gewesen bzw. hätte die Möglichkeit bestanden, die Adresse mit der Brieffachnummer zu harmonisieren.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden mit dem Begehren, diese wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte jeweils die Akten der Verwaltungsverfahren vor und erstattete Gegenschriften, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges wegen zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber erwogen:

Die Beschwerdeführerin bringt vor, der Zeuge O. habe den nicht ordnungsgemäß ausgefüllten Verständigungszettel in ein falsches Brieffach gelegt. Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzungen in den vorigen Stand lägen daher vor, "abgesehen von dem Umstand, dass überhaupt sich die Frage eines rechtmäßigen Zustellvorganges stellt".

Die Zeugin T. habe ausgeführt, dass der Zeuge O. bei der Zustellung mehr auf den von ihr gesetzten Vermerk im Hausbrieffach Nr. 9 (wonach die Post in das Brieffach mit der Nr. 39 einzulegen sei) hätte Acht geben müssen. Zudem habe der in das Postfach Nr. 9 eingelegte Karton verhindern sollen, dass doch Briefe oder Hinterlegungsanzeigen abgelegt würden. Der Beschwerdeführerin werde seit zehn Jahren auf diese Art und Weise zugestellt. Weiters sei durch die Zeugin T. selbst ein Vermerk in dem Brieffach gesetzt worden. Der Beschwerdeführerin sei es nur schwer möglich, weitere Vorsorge zu treffen. Abgesehen davon sei diese "Gefahrenquelle" für Zustellfehler nicht durch die Beschwerdeführerin eröffnet worden. Sie hätten nicht damit rechnen können, dass die Urlaubsvertretung der Postzustellerin den Vermerk im Brieffach Nr. 9 negiere und ungeachtet dieses Umstandes einen Verständigungszettel einlege. Es sei kein Verschulden und auch kein Versehen der Beschwerdeführerin gegeben. Den Aussagen der Zeugen zufolge liege überhaupt ein Sachverhalt vor, welcher Bedenken an einer rechtmäßigen Zustellung aufkeimen lasse. Das müsse in jedem Fall dazu führen, dass der Beschwerdeführerin zumindest die Wiedereinsetzungsanträge zu bewilligen seien, sollte die Zustellung allein nicht bereits nichtig sein. Überdies sei nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde "in Anbetracht des ihr zustehenden Ermessensspielraumes" zu den angefochtenen Bescheiden gekommen sei. Die belangte Behörde habe nicht begründet, warum sie von dem ihr eingeräumten gebundenen Ermessen in dieser und nicht in anderer, für die Beschwerdeführerin günstigeren Art und Weise Gebrauch gemacht habe.

Mit diesem Vorbringen vermag die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun:

Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter iSd § 13 Abs. 3 Zustellgesetz regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück gemäß § 17 Abs. 1 Zustellgesetz im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

Gemäß § 17 Abs. 2 Zustellgesetz ist der Empfänger von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in dem für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

Eine Hinterlegung ohne schriftliche Verständigung oder auf Grund einer fehlerhaften Verständigung entfaltet keine Rechtswirkungen. So ist etwa eine Hinterlegung dann unwirksam, wenn die Verständigung nach § 17 Abs. 2 Zustellgesetz in den Briefkasten einer anderen als der im Rückschein angegebenen Abgabestelle des Empfängers eingelegt wurde. Ebenso gilt eine hinterlegte Sendung auch dann nicht als zugestellt, wenn die im § 17 Abs. 2 (bzw. § 21 Abs. 2) Zustellgesetz vorgesehenen Verständigungen nicht in das Hausbrieffach des Empfängers, sondern in das einer anderen Person eingelegt werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 18. September 1998, Zl. 96/19/1636, und vom 8. September 2005, Zl. 2005/18/0047).

Das Zustellorgan, der Zeuge O., hat die Verständigungsanzeigen an der Wohnadresse der Beschwerdeführerin in XY Wien, H-gasse 80, Tür 9 bis 11, in ein Hausbrieffach mit der Nr. 9 eingelegt. Den Feststellungen zufolge war die Brieffachtüre nicht zur Gänze vorhanden und die im Brieffach befindliche Post zum Teil ersichtlich. Der Inhalt des Hausbrieffachs war daher für Dritte zugänglich (vgl. auch das im Verwaltungsakt zur Zl. 2009/09/0111 erliegende Foto des Briefkastens). Das Hausbrieffach war daher in einer seine Funktion beeinträchtigenden Weise beschädigt. Schon deshalb vermochte die dargestellte Vorgangsweise keine rechtswirksame Zustellung zu bewirken (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Jänner 2004, Zl. 2003/01/0362, mwN, und vom 20. April 2006, Zl. 2005/01/0662). Dazu kommen die für den Zusteller erkennbaren Hinweise (in Form eines hineingesteckten Kartons und dem Schild "Post Tür 39") darauf, dass das Briefkastenfach Nr. 9 "stillgelegt" war und daher von vornherein kein für die Abgabestelle bestimmter Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) iSd § 17 Abs. 2 ZustellG sein konnte. Nach den für einen Zusteller ersichtlichen objektiven Gegebenheiten an der Abgabestelle kann auch das Hausbrieffach mit der Nr. 39 nicht zweifelsfrei als jenes identifiziert werden, das für die gegenständliche Abgabestelle (Wohnung Nr. 9) bestimmt war, da kein eindeutiger Hinweis auf eine solche Zuordnung vorhanden ist und vielmehr dessen abweichende Nummerierung gegen eine solche Zuordnung spricht. Daher wäre es Aufgabe des Zustellers gewesen, die gegenständliche Hinterlegungsanzeige - weil ihr Einlegen in ein Hausbrieffach nicht zulässig war - gemäß § 17 Abs. 2 ZustellG an der Eingangstüre anzubringen.

Da die Hinterlegung und damit die Zustellung der genannten Straferkenntnisse nicht rechtswirksam war, kommt eine Wiedereinsetzung - mangels Versäumung einer Frist - nicht in Frage. Durch die - wenn auch nach dem Vorgesagten auf einer unzutreffenden Rechtsauffassung beruhenden - Abweisung der Anträge auf Wiedereinsetzung wurde die Beschwerdeführerin somit im Ergebnis nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis Zl. 2005/01/0662).

Die Beschwerden waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 18. Mai 2010

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