VwGH 2009/06/0115

VwGH2009/06/011522.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Bayjones und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schmidt, über die Beschwerde der Agesellschaft m.b.H. in L, vertreten durch Dr. Helmut Klement und Dr. Annemarie Stipanitz-Schreiner, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Zimmerplatzgasse 13, gegen den Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom 29. April 2009, Zl. 024953/2004-13, betreffend Einwendungen im Bauverfahren (mitbeteiligte Partei:

Projekt G der P GmbH & Co KG in G, vertreten durch Mag. Roberta Sollhart, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 19/II; weitere Partei: Stmk. Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Graz hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte kann auf das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2008, Zl. 2004/06/0027, verwiesen werden. Gegenstand beider Beschwerdeverfahren ist das baurechtliche Bewilligungsverfahren betreffend die geänderte Errichtung eines nicht unterkellerten, eingeschossigen Geschäftsgebäudes (Kioskzeile) auf dem Grundstück Nr. 297, KG. G., an der südlichen, zum Grundstück der Beschwerdeführerin, hin liegenden Bauplatzgrenze. Bauwerber war ursprünglich der Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin, H.A.. Die Rechtsvorgängerin der Mitbeteiligten hat im ersten Rechtsgang geltend gemacht, dass sich an der nördlichen Außenmauer ihres an der Grenze zum Grundstück der Beschwerdeführerin auf dem Grundstück Nr. 295 befindlichen Gebäudes Fenster befänden und die Abstandsbestimmungen des § 13 Stmk. BauG durch das geplante Vorhaben nicht eingehalten würden.

Der Verwaltungsgerichtshof hob die im ersten Rechtsgang in letzter Instanz erteilte Baubewilligung vom 15. Jänner 2004 mit dem angeführten Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes auf. Er führte dabei im Wesentlichen aus, aus den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens ergebe sich, dass nicht nur Fenster im ersten Obergeschoss des angrenzenden Nachbarhauses der Rechtsvorgängerin der Mitbeteiligten vorhanden seien. Auf im Akt einliegenden Fotoausdrucken sei vielmehr auch deutlich eine Fensteröffnung zwischen Erdgeschoss und erstem Obergeschoss erkennbar, die durch die Dachkonstruktion zumindest halb verdeckt werde. Die Rechtsvorgängerin der Mitbeteiligten habe sich in der Bauverhandlung ausdrücklich auf diese Fenster in der Feuermauer bezogen. Dies hätte die Baubehörden veranlassen müssen, nähere Feststellungen hinsichtlich der Frage zu treffen, ob diesen Fenstern ein baurechtlicher Konsens zu Grunde liege. Sie hätten sich auch damit auseinandersetzen müssen, ob und inwieweit diese Fenster im Sinne des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 1999, Zl. 98/06/0138, zu § 13 Abs. 3 zweiter Satz Stmk. BauG "maßgeblich betroffen werden", dass sie also derart im Nahbereich des Projektes der Beschwerdeführerin lägen, dass ihre ungehinderte Funktion dadurch beeinträchtigt wäre.

Die belangte Behörde gab mit dem angefochtenen Bescheid unter Anführung des § 66 Abs. 4 AVG der Berufung der Rechtsvorgängerin der mitbeteiligten Partei Folge und "behob" den erstinstanzlichen Bescheid, mit dem dem Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin die Baubewilligung in erster Instanz erteilt worden war. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, auf Grund der näher dargelegten Feststellungen bzw. Ermittlungen ergebe sich, dass sämtliche Fenster am Nachbargebäude als Bestand anzusehen seien. Bei jenen Fenstern, die von der Baumaßnahme betroffen seien, handle es sich um konsentierte Öffnungen in einer Brandwand. Die Beschwerdeführerin habe beantragt, ihr eine Frist von einem Monat einzuräumen, in welcher geänderte Planunterlagen vorgelegt werden sollten. Diese Frist und auch die eingeräumte Nachfrist seien verstrichen, ohne dass geänderte Unterlagen beigebracht worden seien. Auf Grund des rechtmäßigen Bestandes der Fenster und der Tatsache, dass durch das Bauansuchen rechtmäßige Fenster verdeckt würden, sei das Ansuchen abzuweisen gewesen. Es sei daher wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift samt Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 66 AVG sieht für die Berufungsbehörde Folgendes vor:

"(1) Notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens hat die Berufungsbehörde durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen.

(2) Ist der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, so kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

(3) Die Berufungsbehörde kann jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

(4) Außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern."

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht unzulässig oder verspätet ist, grundsätzlich in der Sache zu entscheiden. Zu einer Aufhebung des mit Berufung bekämpften Bescheides ist die Berufungsbehörde nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt, nämlich dann, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Der angefochtene Bescheid erweist sich schon auf Grund des Widerspruches des Spruches mit seiner Begründung als inhaltlich rechtswidrig. Nach dem Spruch wird der Berufung der Rechtsvorgängerin der Mitbeteiligten Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid, mit dem dem Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin die Baubewilligung in erster Instanz erteilt worden war, "behoben". Die belangte Behörde führte dazu als Rechtsgrundlage § 66 Abs. 4 AVG an. Die zutreffende Rechtsgrundlage für eine Aufhebung des erstinstanzliche Bescheides wäre aber § 66 Abs. 2 AVG, es sei denn es handelt sich um eine ersatzlose Behebung des bekämpften Bescheides. § 66 Abs. 4 AVG gibt - außer der erwähnten ersatzlosen Behebung (vgl. dazu Hengstschläger / Leeb, AVG § 66 Rz 97) - keine Grundlage für eine Aufhebung eines bekämpften Bescheides. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird im Gegensatz zum Spruch ausgeführt, dass das verfahrensgegenständliche Ansuchen abzuweisen sei.

Indem sich die Beschwerdeführerin in dem Recht auf Erteilung der beantragten Baubewilligung verletzt erachtet, macht sie implizit auch ein Recht auf Entscheidung in der Sache geltend, wie es ihr gemäß § 66 Abs. 4 AVG zusteht, sofern nicht die Voraussetzungen für eine Aufhebung gemäß § 66 Abs. 2 AVG vorgelegen sind. Der angefochtene Bescheid enthält keine Begründung dahingehend, dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung gemäß § 66 Abs. 2 AVG gegeben wären. Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen gibt es für den Verwaltungsgerichtshof auch sonst keine Anhaltspunkte. Von einem bloßen "Vergreifen im Ausdruck" kann aber auch nicht ausgegangen werden, weil in den Ausspruch der Behebung des erstinstanzlichen Bescheides ein Ausspruch dahin, dass das Bauansuchen nunmehr abgewiesen werde, nicht hineininterpretiert werden kann.

Einem aufhebenden Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG kommt im Hinblick auf die die Aufhebung tragenden Gründe Bindungswirkung zu, dies gilt aber nicht für außerhalb dieser Gründe vertretene Rechtsansichten (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 16. November 1995, Zl. 94/07/0055). Die den aufhebenden Spruch nicht tragende Begründung des angefochtenen Bescheides würde im vorliegenden Fall im fortgesetzten Verfahren zwar keine Bindungswirkung entfalten, dennoch ist die Beschwerdeführerin durch die ohne rechtliche Grundlage erfolgte Aufhebung der in erster Instanz erteilten Baubewilligung in ihrem Recht auf Sachentscheidung verletzt.

Sofern man aber die vorgenommene "Behebung" als ersatzlos ansehen wollte, änderte dies nichts an der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, weil dadurch der verfahrenseinleitende unerledigt bliebe.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 22. Dezember 2010

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