Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein am 22. September 1984 geborener Staatsangehöriger der Türkei, beantragte am 4. November 1999 Asyl.
Mit Bescheid vom 20. Dezember 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde - nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung am 17. November 2006 und 2. August 2007 sowie Einholung eines Sachverständigengutachtens - der dagegen gerichteten Berufung statt, gewährte dem Mitbeteiligten gemäß § 7 AsylG Asyl und stellte gemäß § 12 AsylG fest, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte - dessen Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe "nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" festgestellt werden könne - habe in der Türkei seinen Wehrdienst nicht angetreten und werde daher von den türkischen Militärbehörden als Wehrdienstverweigerer gesucht. Für die Verweigerung des Militärdienstes sei im türkischen Militärgesetz eine schwere Strafe vorgesehen. Im Falle seiner Rückkehr hätte der Mitbeteiligte - nach den notwendigen medizinischen Untersuchungen - seinen Wehrdienst abzuleisten. Wo dies der Fall sein werde, könne im Vorhinein nicht festgestellt werden, es sei jedoch nicht auszuschließen, dass er seinen Militärdienst im östlichen oder südöstlichen Teil der Türkei ableisten müsse. Aufgrund der - zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - aktuellen militärischen Situation sei ein Einsatz im Osten der Türkei am wahrscheinlichsten. Dort komme es wiederum vermehrt zu gewaltsamen Aktivitäten von bewaffneten Einheiten gegen das türkische Militär, das Militär selbst führe seit März 2007 eine Offensive gegen PKK-Einheiten durch. Ein Großteil der im Zuge dieser Auseinandersetzungen getöteten Soldaten sei kurdischer Abstammung, wobei anzumerken sei, dass diese über einen geringeren militärischen Ausbildungsgrad verfügten.
Davon ausgehend habe das Ermittlungsverfahren ausreichende Anhaltspunkte dafür erbracht, dass der Mitbeteiligte im Falle seiner Rückkehr in die Türkei Gefahr liefe, seinen Wehrdienst im Osten der Türkei ableisten und dort - nach rudimentärer militärischer Ausbildung - kämpfen zu müssen, und somit asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt sei. Er befinde sich - wie der Sachverständige in seinem Gutachten im Hinblick auf Gründe der Wehrdienstverweigerung ausgeführt habe - aus wohlbegründeter Furcht, wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb der Türkei und sei im Hinblick auf diese Furcht auch nicht gewillt, in dieses Land zurückzukehren.
Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Amtsbeschwerde macht im Wesentlichen geltend, es sei dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen, auf welchen Sachverhaltsfeststellungen die rechtliche Folgerung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer fürchte wegen seiner Wehrdienstverweigerung Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung, beruhe.
Damit zeigt sie einen relevanten Begründungsmangel auf.
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 13. Dezember 2010, Zl. 2008/23/0976, mwN).
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits mehrfach mit der möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung auseinandergesetzt. Demnach kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine "bloße" Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein. Schließlich kann auch dem Zwang zum Vorgehen gegen Mitglieder der eigenen Volksgruppe Asylrelevanz zukommen (vgl. zum Ganzen die - türkische Staatsangehörige kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit betreffenden - hg. Erkenntnisse jeweils vom 1. März 2007, Zl. 2003/20/0111 und Zl. 2003/20/0210, mit Hinweisen u.a. auf die hg. Erkenntnisse vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, und vom 8. April 2003, Zl. 2001/01/0435).
Ausgehend von dieser Rechtsprechung reicht der bloße Hinweis, der Mitbeteiligte werde von den türkischen Behörden als Wehrdienstverweigerer gesucht und müsse im Falle seiner Rückkehr im Rahmen seines Militärdienstes wahrscheinlich an bewaffneten Auseinandersetzungen im Osten der Türkei teilnehmen, nicht aus, um die Asylgewährung nachvollziehbar zu begründen.
Die belangte Behörde nimmt aber auch einen Zusammenhang mit der politischen Gesinnung des Beschwerdeführers an und verweist dazu in ihrer rechtlichen Beurteilung mehrmals pauschal auf die - erkennbar auf das eingeholte Sachverständigengutachten gestützten -
Feststellungen. Darin wird allerdings - neben Ausführungen zu verstärkten militärischen Aktivitäten in der Osttürkei seit Anfang 2007 und zur Betroffenheit von Soldaten kurdischer Herkunft von diesen Kämpfen - die kurdische Herkunft des Mitbeteiligten angezweifelt, ein politisches Engagement des Mitbeteiligten sowie seiner Eltern und Geschwister nicht angenommen und zu der dem Beschwerdeführer drohenden Bestrafung nur ausgeführt, nach dem türkischen Militärgesetz drohe Wehrdienstverweigerern eine "schwere Strafe" bzw. eine langjährige Haftstrafe. Inwieweit die belangte Behörde dadurch eine drohende asylrelevante Verfolgung des Mitbeteiligten zu begründen glaubt, ist nicht nachvollziehbar.
Da der angefochtene Bescheid somit relevante Begründungsmängel aufweist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 27. April 2011
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