VwGH 2008/22/0754

VwGH2008/22/07549.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der R, vertreten durch Dr. Siegfried Kommar, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Roseggergasse 37/4, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 31. Juli 2007, Zl. 149.342/2- III/4, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §65;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §65;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 31. Juli 2007 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer chinesischen Staatsangehörigen, vom 22. Mai 2006 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zwecks Familienzusammenführung mit ihrem österreichischen Ehemann gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin mit einem bis 31. Oktober 2002 gültigen Aufenthaltstitel zum Zweck des Studiums nach Österreich gereist sei; diese Aufenthaltserlaubnis sei bis zum 31. Oktober 2004 verlängert worden. Da die Beschwerdeführerin am 22. Oktober 2003 bei Serviertätigkeiten betreten worden sei, sei gegen sie mit Bescheid vom 20. April 2004 ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Dieses sei in zweiter Instanz rechtskräftig geworden. Der dagegen beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden, ebenso im Folgenden Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien habe mit Bescheid vom 14. Mai 2007 auf Antrag das Aufenthaltsverbot aufgehoben.

Da sich die Beschwerdeführerin seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, sei der neuerliche Antrag (nach jenem vom 15. September 2004, mit dem die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis begehrt worden war, nunmehr auf Familienzusammenführung gerichtet) als Erstantrag zu werten. Dessen Bewilligung stehe das Gebot der Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG entgegen.

Ein längerer unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet rechtfertige die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger allein "stellt noch kein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht dar".

Die Behörde könne aus besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Gründen gemäß § 72 NAG einen im Inland gestellten Antrag von Amts wegen zulassen. Die belangte Behörde habe eine Prüfung im Sinn des § 72 NAG durchgeführt und festgestellt, dass keine besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Gründe vorlägen, weil die Beschwerdeführerin keine stichhaltigen Gründe bekannt gegeben habe, wonach ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansicht bedroht wäre.

Eine Inlandsantragstellung werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen. Ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, sei entbehrlich.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn gerichtete Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 10. Juni 2008, B 1733/07-9, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, den gegenständlichen Antrag, der als Erstantrag anzusehen war, entgegen § 21 Abs. 1 NAG im Inland gestellt zu haben. Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 2008, 2008/22/0265 bis 0267).

Die Beschwerdeführerin verweist darauf, dass sie rechtmäßig zu Studienzwecken eingereist sei, ihr Studium bisher in der Mindeststudiendauer absolviert und immer fristgerecht Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt habe. Den gegen die Verhängung des Aufenthaltsverbotes erhobenen Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts sei jeweils die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. Dadurch habe das Aufenthaltsverbot bis zu seiner Aufhebung mit Bescheid vom 14. Mai 2007 keine rechtliche Wirkung entfaltet. Nach Aufhebung des Aufenthaltsverbotes habe die Beschwerdeführerin ihre Bescheidbeschwerde zurückgezogen. (Das Beschwerdeverfahren zu 2006/18/0113 wurde mit Beschluss vom 14. Juni 2007 eingestellt.) Die Behörde habe die Beschwerdeführerin zur Zurückziehung des bewilligungsfähigen Verlängerungsantrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu Studienzwecken veranlasst und dann den zweiten Antrag als unzulässig zurückgewiesen (richtig: abgewiesen). Dies sei als schikanös zu bezeichnen. Die belangte Behörde habe nicht geprüft, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens geboten sei und von welchem Gewicht die persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin "an der Aufrechterhaltung der Ehe" seien. Dadurch habe die belangte Behörde das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK verletzt. Sie habe es unterlassen, eine Art. 8 EMRK entsprechende Interessenabwägung vorzunehmen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Die belangte Behörde hat - wie aus der zitierten Bescheidbegründung hervorgeht -

das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Grundes allein deswegen verneint, weil keine Verfolgungsgründe im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention gegeben seien. "Daher" werde die Inlandsantragstellung nicht zugelassen und es sei ein Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, "entbehrlich".

Angesichts des zum Teil rechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin seit dem Jahr 2002 und der Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger ist nicht von vornherein auszuschließen, dass die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK zu Gunsten der Beschwerdeführerin vorzunehmen gewesen wäre. Dazu kommt die Behauptung und Bescheinigung eines Studienerfolgs.

Hingegen kommt dem gegen die Beschwerdeführerin erlassenen Aufenthaltsverbot keine maßgebliche Bedeutung zu. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass dieses lange Zeit nicht wirksam war und letztlich gemäß § 65 FPG aufgehoben worden ist. Wenn auch dadurch der inländische Aufenthalt der Beschwerdeführerin nicht rückwirkend rechtmäßig wurde, so kann ihr aus der Zurückziehung der Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot - bei deren inhaltlicher Behandlung die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme zu prüfen gewesen wäre - nach dessen Aufhebung kein Vorwurf in dem Sinn gemacht werden, dass das Aufenthaltsverbot nunmehr entscheidend die Interessenabwägung beeinflussen müsste.

Wegen des aufgezeigten Rechtsirrtums war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 9. September 2010

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