VwGH 2008/22/0748

VwGH2008/22/07489.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner u.a., Rechtsanwälte in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. September 2007, Zl. 148.344/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §21 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z7;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §21 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z7;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 27. September 2007 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines indischen Staatsangehörigen, vom 4. Mai 2005 auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung als Familienangehöriger einer österreichischen Staatsbürgerin gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer am 14. Oktober 2001 im Zuge eines illegalen Grenzübertritts betreten und über ihn Schubhaft verhängt worden sei. "Im Stande der Schubhaft" sei gegen ihn ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Sein Asylantrag vom 16. Oktober 2001 sei am 12. April 2003 rechtskräftig abgewiesen worden. Er habe am 22. Dezember 2004 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und in der Folge den gegenständlichen Antrag eingebracht.

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG seien Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen und es sei die Entscheidung im Ausland abzuwarten. Da sich der Beschwerdeführer seit In-Kraft-Treten des NAG am 1. Jänner 2006 und somit auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nicht rechtmäßig im Inland aufhalte, stehe § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung des Antrages entgegen. Ein längerer unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet rechtfertige in jedem Fall die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin allein stelle "noch kein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht dar".

Die Behörde könne aus besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Gründen gemäß § 72 NAG die Inlandsantragstellung von Amts wegen zulassen. Unter Berücksichtigung, dass die Einreise des Beschwerdeführers illegal erfolgt sei und er allein wegen des Asylantrags vorübergehend aufenthaltsberechtigt gewesen sei, könnten keine humanitären Gründe im Sinn des § 72 NAG erkannt werden. Eine Inlandsantragstellung werde daher nicht zugelassen.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn gerichtete Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 18. Juni 2008, B 2146/07-6, gemäß Art. 144 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der Beschwerdeführer meint, dass ihm durch die rückwirkende Anwendung des § 21 Abs. 1 NAG die Möglichkeit genommen worden sei, sich rechtskonform zu verhalten. Er habe berechtigt darauf vertrauen dürfen, dass seine Antragstellung rechtmäßig gewesen sei. Eine Zurückweisung des Antrags wegen der Nichterfüllung des Formalerfordernisses der Auslandsantragstellung sei unzulässig.

Dem ist zu entgegnen, dass dem NAG weder ein Rückwirkungsverbot noch eine Regelung zu entnehmen ist, der zufolge auf vor dessen In-Kraft-Treten verwirklichte Sachverhalte die Bestimmungen des mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 anzuwenden wären (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0257). Weiters handelt es sich beim Erfordernis der Auslandsantragstellung nicht um eine formelle, sondern um eine materielle Voraussetzung zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, 2009/22/0022). Auch wenn somit der Beschwerdeführer im Anwendungsbereich des Fremdengesetzes 1997 darauf vertrauen durfte, den Antrag im Inland stellen zu dürfen, wäre er nach In-Kraft-Treten des NAG verpflichtet gewesen, die Erledigung des Antrages im Ausland abzuwarten.

Das Recht, die Entscheidung über den Antrag in Österreich abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. auch dazu etwa das zit. Erkenntnis 2009/22/0022).

Zur Interessenabwägung führt der Beschwerdeführer aus, dass er mit seiner österreichischen Ehefrau seit beinahe vier Jahren verheiratet sei und mit ihr ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK habe. Er sei unselbständig erwerbstätig und sichere dadurch seinen sowie den Lebensunterhalt der Familie.

Mit diesem Vorbringen zeigt er eine Mangelhaftigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Der Beschwerdeführer hat mit seinem Antrag eine Lohnbescheinigung vom 2. Mai 2005 sowie die Anmeldung zur Sozialversicherung vorgelegt. Die erstinstanzliche Behörde hat die Abweisung des Antrages allein damit begründet, dass gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot bestehe. Erst die belangte Behörde hat als Abweisungsgrund die Nichterfüllung der Voraussetzung nach § 21 Abs. 1 NAG herangezogen, aus der sich eine Verpflichtung zur Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK ergibt. Für diese Interessenabwägung kommt unter anderen Gesichtspunkten auch dem Umstand Bedeutung zu, ob der Fremde in Österreich beruflich integriert ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, 2008/22/0287). Dazu traf die belangte Behörde keine Feststellungen und gewährte auch kein Parteiengehör.

Dieser Verfahrensmangel ist deswegen relevant, weil sich der Beschwerdeführer im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits über fünf Jahre in Österreich aufgehalten hat und seit ca. drei Jahren mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet ist. Unter diesen Umständen ist nicht von vornherein auszuschließen, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK zu seinen Gunsten vorzunehmen ist.

Aus dem gegen den Beschwerdeführer verhängten Aufenthaltsverbot ist keine maßgebliche Verstärkung des öffentlichen Interesses an der Verweigerung des weiteren Aufenthalts des Beschwerdeführers im Inland abzuleiten. Die Bescheidbegründung lässt den Schluss zu, dass dieses allein wegen des illegalen Grenzübertritts (allenfalls - wie in vergleichbaren Fällen oft geschehen - wegen fehlender Unterhaltsmittel) erlassen worden ist. Der Gerichtshof hat zu solchen Konstellationen im Erkenntnis vom 15. März 2005, 2005/21/0011, ausgesprochen, dass ein illegaler Grenzübertritt und ein fortgesetzter unrechtmäßiger Aufenthalt - selbst in Verbindung mit der Nichtbefolgung einer Ausweisung - nicht geeignet sind, ein Aufenthaltsverbot zu rechtfertigen. Weiters widerspricht ein auf die Mittellosigkeit gestütztes Aufenthaltsverbot gegen einen Asylwerber, der Anspruch auf Aufnahme in die Bundesbetreuung hat, der bei dieser Sachlage nach den gesetzlichen Wertungen gebotenen Ermessensübung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2004, 2004/21/0083). Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 4/1999 durfte § 36 Abs. 2 Z 7 Fremdengesetz 1997 auf einen Asylwerber ohnedies nicht angewendet werden.

Sollte dem Aufenthaltsverbot somit nicht ein anderer Tatbestand zu Grunde liegen, wäre ein maßgeblicher Einfluss auf die nunmehr vorzunehmende Interessenabwägung zu verneinen.

Wegen des aufgezeigten relevanten Verfahrensmangels war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 9. September 2010

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