VwGH 2008/22/0287

VwGH2008/22/028726.1.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des R, vertreten durch DDr. Wolfgang Schulter, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Marxergasse 21, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. Mai 2007, Zl. 148.845/2-III/4/06, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §66 Abs3;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) einen vom Beschwerdeführer, einem indischen Staatsangehörigen, am 17. Februar 2005 persönlich bei der Bundespolizeidirektion Wien gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Die belangte Behörde legte dieser Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 12. Jänner 2002 illegal nach Österreich eingereist sei. Seit seiner Einreise halte sich der Beschwerdeführer durchgehend im Bundesgebiet auf. Sein Asylverfahren sei seit 4. Juli 2005 rechtskräftig negativ beendet, sodass er über keine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz mehr verfüge; seitdem sei sein Aufenthalt in Österreich unrechtmäßig.

Der Beschwerdeführer sei seit 17. Jänner 2002 durchgehend im Bundesgebiet polizeilich gemeldet; er sei seit 10. Juni 2005 als Arbeiter und zuletzt bei der G.N. KEG beschäftigt. Am 28. Jänner 2005 habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einbringen und die Entscheidung im Ausland abwarten hätte müssen, weil er keine der in § 21 Abs. 2 NAG genannten Voraussetzungen für die Inlandsantragstellung erfülle.

Als besonders berücksichtigungswürdige Gründe im Sinn des § 72 NAG führe die Berufung lediglich an, dass ein gegen den Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft G erlassenes Aufenthaltsverbot aufgehoben worden sei. (Tatsächlich wurde jenes mit Bescheid vom 12. Jänner 2002 erlassene Aufenthaltsverbot, auf das die Erstbehörde die Abweisung des gegenständlichen Antrages gemäß § 11 Abs. 1 Z. 1 NAG gestützt hatte, mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft G vom 21. Juni 2005 gemäß § 44 Fremdengesetz 1997 - FrG aufgehoben.) Unter Berücksichtigung, dass die Einreise des Beschwerdeführers illegal erfolgt und er allein wegen seines Asylantrages vorübergehend aufenthaltsberechtigt gewesen sei, habe die belangte Behörde keine humanitären Gründe im Sinn des § 72 NAG erkennen können.

Auch eine "allfällige Prüfung eines Aufenthaltsrechtes, abgeleitet unmittelbar vom Gemeinschaftsrecht der EU", könnte nicht zu dem vom Beschwerdeführer gewünschten Erfolg führen, weil er die in der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Freizügigkeitsrichtlinie), festgelegten Voraussetzungen nicht erfülle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Fall in Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach der Rechtslage des NAG vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 zu beurteilen ist.

Die Beschwerde stellt nicht in Abrede, dass der Beschwerdeführer noch nie über einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt hat. Die - unbekämpfte - Auffassung der belangten Behörde, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag um einen Erstantrag im Sinn des § 21 Abs. 1 NAG handle, begegnet sohin keinen Bedenken. Dem in dieser Bestimmung verankerten Grundsatz der Auslandsantragstellung folgend hätte der Beschwerdeführer daher den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich im Ausland stellen und die Entscheidung darüber im Ausland abwarten müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2009, 2008/22/0152).

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 NAG in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2009, 2008/22/0310, mwN).

Art. 8 EMRK verlangt eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des besagten persönlichen Interesses ist aber auch auf die Auswirkungen, die die fremdenpolizeiliche Maßnahme auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2009, mwN).

Die Beschwerde weist unter diesem Aspekt insbesondere auf die "nachhaltige gesellschaftliche Integration" des Beschwerdeführers durch seinen langjährigen Aufenthalt sowie die durchgehende Beschäftigung und auf seine familiäre Bindung zu seiner österreichischen Ehefrau hin.

Bei Berücksichtigung dieser - auch im angefochtenen Bescheid festgestellten - Umstände (Aufenthalt in Österreich seit Anfang 2002, aufrechte Beschäftigungsverhältnisse seit Juni 2005 und aufrechte Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin seit Jänner 2005) vermag sich nun der Verwaltungsgerichtshof der Beurteilung der belangten Behörde im Rahmen der Gesamtbetrachtung aller vom Beschwerdeführer geltend gemachten sozialen und beruflichen Bindungen nicht anzuschließen, dass dieser keinen aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung geltend machen könne. Den angeführten, zu Gunsten des Beschwerdeführers zu wertenden Umständen steht im vorliegenden Fall lediglich der auf die Anhängigkeit eines Asylverfahrens gegründete - unsichere - Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers gegenüber, dem aber bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine ausschlaggebende Bedeutung, die bei der Abwägung zu einem anderen Ergebnis führen könnte, mehr zuzumessen ist.

Schon in der bisherigen hg. Rechtsprechung wurde der familiären Bindung an einen österreichischen Ehepartner großes Gewicht beigemessen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. November 1999, 99/21/0156, und nunmehr § 66 Abs. 3 FPG).

Damit aber liegt ein besonders berücksichtigungswürdiger Fall im Sinn des § 72 Abs. 1 vor, weshalb die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG von Amts wegen zuzulassen gewesen wäre.

Da die belangte Behörde den gegenständlichen Antrag dessen ungeachtet nach § 21 Abs. 1 NAG abgewiesen hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Pauschalbetrag nach § 1 Z. 1 lit. a dieser Verordnung die Umsatzsteuer bereits umfasst.

Wien, am 26. Jänner 2010

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte