VwGH 2008/21/0564

VwGH2008/21/056412.10.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der B, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 20. August 2008, Zl. 317.785/5-III/4/2008, betreffend Zurückweisung eines Antrages nach dem NAG, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs3;
NAG 2005 §19 Abs1;
NAG 2005 §19 Abs2;
NAG 2005 §54 Abs2;
NAG 2005 §8 Abs1;
NAG 2005 §9 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §13 Abs3;
NAG 2005 §19 Abs1;
NAG 2005 §19 Abs2;
NAG 2005 §54 Abs2;
NAG 2005 §8 Abs1;
NAG 2005 §9 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina, reiste am 27. September 2006 illegal nach Österreich ein und beantragte am Tag darauf erfolglos die Gewährung von internationalem Schutz. Am 15. März 2007 heiratete sie den österreichischen Staatsbürger R. und begründete mit ihm einen gemeinsamen Wohnsitz im Bundesgebiet.

Am 2. Juli 2007 stellte sie an die Niederlassungsbehörde

wörtlich folgenden, nicht gefertigten

"Antrag,

mir das Aufenthaltsrecht als Angehörige eines österreichischen StA, Herrn R., in Form einer Daueraufenthaltskarte ersichtlich zu machen,

in eventu - wenn diskriminierungsfrei ein Aufenthaltstitel

gleichen Umfangs auch konstitutiv erteilt werden kann - den Antrag,

mir einen Aufenthaltstitel Familienangehöriger gem. § 47 NAG zu erteilen,

in eventu - bei angenommener Nichtanwendbarkeit des NAG - den Antrag,

mir das Niederlassungsrecht gem. Richtlinie 2004/38/EG in Bescheidform zu bestätigen, ..."

(Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof)

In ihrer Begründung brachte sie ua. zum Ausdruck, dieses Anbringen als einheitliches Begehren anzusehen. In welcher Form die Rechtmäßigkeit ihrer Niederlassung als Ehefrau eines Österreichers festgestellt werde, sei Aufgabe der Behörde.

Nach Aufhebung einer diesen Antrag ohne Einräumung von Parteiengehör und ohne Durchführung eines Verbesserungsverfahrens zurückweisenden Erledigung mit Bescheid der belangten Behörde vom 4. März 2008 erging seitens der Erstbehörde folgender

"1. Verbesserungsauftrag nach § 13 Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991

Die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf bearbeitet Ihren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels.

Am 02.07.2007 haben Sie bei der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf einen Antrag mit mehreren Aufenthaltszwecken eingebracht.

Gemäß § 19 Abs. 2 NAG sind Anträge nicht zulässig, aus denen sich verschiedene Aufenthaltszwecke ergeben. Weiters ist es nicht zulässig, mehrere Anträge gleichzeitig zu stellen. Im Antrag ist der Grund des Aufenthalts bekannt zu geben, dieser ist genau zu bezeichnen.

Zur Verbesserung dieses Formgebrechens wird Ihnen eine Frist von 4 Wochen ab Erhalt dieses Verbesserungsauftrages gesetzt.

Sollte diesem Verbesserungsauftrag nicht binnen der gesetzten Frist nachgekommen werden, wird Ihr Antrag gemäß § 13 Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) zurückgewiesen.

2. Verbesserungsauftrag nach § 13 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991

Bei Zweifeln über die Identität des Einschreiters oder die Authentizität eines Anbringens gilt der § 13 Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 mit der Maßgabe sinngemäß, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf der Frist als zurückgezogen gilt.

Zur Einbringung eines von Ihnen eigenhändig unterschriebenen Antrages wird Ihnen eine Frist von 4 Wochen ab Erhalt dieses Verbesserungsauftrages gesetzt.

Solle diesem Verbesserungsauftrag nicht binnen der gesetzten Frist nachgekommen werden, gilt Ihr Antrag gemäß § 13 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) als zurückgezogen."

Eine Verbesserung durch die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin ist nicht erfolgt.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 20. August 2008 wies die belangte Behörde den Antrag vom 2. Juli 2007 gemäß § 19 Abs. 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG iVm § 13 Abs. 3 AVG zurück.

Die Begründung der belangten Behörde lautet - nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und der Rechtslage - wörtlich:

"Da Ihr Antrag vom 02.07.2007 mit einem Mangel behaftet war, wurde Ihnen durch die BH Gänserndorf mit 11.04.2008 ein Verbesserungsauftrag gem. § 13 Abs. 3 AVG erteilt. Darin wurden Sie aufgefordert, binnen einer angemessenen Frist von vier Wochen den Mangel zu beheben.

Im Verbesserungsauftrag wurde auch auf die Säumnisfolgen hingewiesen.

Dem Verbesserungsauftrag wurde nicht entsprochen. Auch nach Ihrer Berufung wurden Sie mit Schreiben der BH Gänserndorf am 09.06.2008 nochmals aufgefordert, Gründe zu benennen, welche Sie daran gehindert haben, Ihren Antrag innerhalb der 4-wöchigen Frist zu verbessern.

In Ihrer Stellungnahme dazu, haben Sie lediglich das Gesetz zitiert, aber keine Gründe für Ihr Fristversäumnis vorgebracht.

Dadurch war eine geschäftsmäßige Behandlung Ihres Antrages nicht möglich, da wesentliche Mängel trotz Verbesserungsauftrages nicht behoben wurden, und war Ihr Antrag gem. § 13 Abs. 3 AVG zurückzuweisen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte

Behörde erwogen:

Die §§ 8 Abs. 1 und 9 Abs. 1 sowie § 19 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 2 NAG in der hier maßgeblichen Stammfassung lauten samt

Überschriften:

"Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen

Arten und Form

der Aufenthaltstitel

§ 8. (1) Aufenthaltstitel werden erteilt als:

1. 'Niederlassungsbewilligung' für eine nicht bloß vorübergehende befristete Niederlassung im Bundesgebiet zu einem bestimmten Zweck (Abs. 2) mit der Möglichkeit, anschließend einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EG' (Z 3) zu erlangen;

2. Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' für die befristete Niederlassung mit der Möglichkeit, anschließend einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - Familienangehöriger' (Z 4) zu erhalten;

3. Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EG' für die Dokumentation des unbefristeten Niederlassungsrechts, unbeschadet der Gültigkeitsdauer des Dokuments;

4. Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - Familienangehöriger' für die Dokumentation des unbefristeten Niederlassungsrechts, unbeschadet der Gültigkeitsdauer des Dokuments;

5. 'Aufenthaltsbewilligung' für einen vorübergehenden befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet zu einem bestimmten Zweck (§§ 58 bis 69 und § 72) mit der Möglichkeit, anschließend eine Niederlassungsbewilligung zu erlangen, sofern dies in diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

Dokumentation und Form des gemeinschaftsrechtlichen

Aufenthalts- und Niederlassungsrechts

§ 9. (1) Zur Dokumentation eines gemeinschaftsrechtlichen Aufenthalts- und Niederlassungsrechts werden

1. für EWR-Bürger, die sich in Österreich niedergelassen haben, über Antrag eine 'Anmeldebescheinigung' (§ 53) und

2. für Angehörige von EWR-Bürgern, die Drittstaatsangehörige sind, über Antrag eine 'Daueraufenthaltskarte' (§ 54), wenn der EWR-Bürger das Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, ausgestellt.

Allgemeine Verfahrensbestimmungen

§ 19. (1) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sind persönlich bei der Behörde zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

(2) Im Antrag ist der Grund des Aufenthalts bekannt zu geben; dieser ist genau zu bezeichnen. Nicht zulässig sind Anträge, aus denen sich verschiedene Aufenthaltszwecke ergeben, das gleichzeitige Stellen mehrerer Anträge und das Stellen weiterer Anträge während eines anhängigen Verfahrens nach diesem Bundesgesetz. ..."

Die Regierungsvorlage (952 BlgNR 22. GP 128) führt zu § 19 NAG auszugsweise Folgendes aus:

"Auf Verfahren vor den Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung - also auch auf die in mittelbarer Bundesverwaltung tätig werdenden Landeshauptmänner - ist gemäß Art. II Abs. 2 Z 1 EGVG das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) und das Verwaltungsstrafgesetz (VStG) anzuwenden. Abweichungen von den allgemeinen Verfahrensgesetzen sind nur insoweit zulässig, als diese unbedingt erforderlich sind (Art. 11 Abs. 2 B-VG).

§ 19 regelt darüber hinaus die allgemeinen Verfahrensbestimmungen, die für alle drei Verfahrensarten - Erstantrags-, Verlängerungs- und Zweckänderungsverfahren - entsprechend Anwendung finden und zur geeigneten und effizienten Regelung dieser Verfahren erforderlich sind. Das Verfahren vor den Auslandsvertretungsbehörden - also den Botschaften und Konsulaten -

wird in § 22 geregelt. ...

Abs. 2 stellt klar, dass einerseits der Grund des beabsichtigten Aufenthalts und andererseits die Identität und nötige Unterlage der Behörde bekannt zu geben bzw. vorzulegen sind. Darüber hinaus wird normiert, dass immer nur ein eindeutiger, laufender Antrag gestellt werden soll; hier gilt § 13 Abs. 3 AVG uneingeschränkt. Dies soll verhindern, dass Fremde versuchen, auf irgendeinem Weg nach Österreich zu kommen und hiezu mehrere Anträge oder Eventualanträge stellen. ..."

Aus der gesetzlichen Gliederung in Aufenthaltstitel (§ 8 NAG) und einer Dokumentation des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthalts- und Niederlassungsrechts (§ 9 NAG) sowie dem Abstellen des § 19 Abs. 1 NAG (in der hier anzuwendenden Fassung) nur auf Aufenthaltstitel folgt, dass die in § 19 Abs. 2 Satz 2 NAG normierte Unzulässigkeit des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge sowie des Stellens weiterer Anträge während eines anhängigen Verfahrens - § 19 Abs. 2 NAG bezieht sich zweifelsohne auf die davor in Abs. 1 behandelten Anträge - nicht für Dokumentationen iSd § 9 NAG gilt. Das Verfahren zur Erlangung der - hier primär beantragten - Daueraufenthaltskarte, also einer derartigen Dokumentation, hat vielmehr - Teilbereiche betreffend - in § 54 Abs. 2 NAG eine gesonderte Regelung erfahren.

Die genannte Unzulässigkeit könnte somit nur im Umfang einer Beantragung mehrerer Aufenthaltstitel (§ 8 Abs. 1 NAG) untereinander eintreten.

Da die belangte Behörde die Zurückweisung des primär gestellten Antrages auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte nach dem Gesagten zu Unrecht auf § 19 Abs. 2 Satz 2 NAG gestützt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 12. Oktober 2010

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