VwGH 2008/21/0552

VwGH2008/21/055230.8.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des O, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 9. September 2008, Zl. UVS- 01/18/6997/2008-5, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §77;
FrPolG 2005 §82;
FrPolG 2005 §83;
NAG 2005 §11 Abs1 Z1;
NAG 2005 §24 Abs1;
NAG 2005 §24 Abs2;
NAG 2005 §25;
NAG 2005 §8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §77;
FrPolG 2005 §82;
FrPolG 2005 §83;
NAG 2005 §11 Abs1 Z1;
NAG 2005 §24 Abs1;
NAG 2005 §24 Abs2;
NAG 2005 §25;
NAG 2005 §8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer trat in Österreich zunächst unter der Identität M.OB., geboren 1983, Staatsangehöriger von Uganda, in Erscheinung. Er stellte am 7. November 2000 einen Asylantrag, der jedoch mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Februar 2001 abgewiesen wurde. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 17. September 2002 ab.

Nach einer strafgerichtlichen Verurteilung verhängte die Bundespolizeidirektion Eisenstadt gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 12. März 2001 ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot. Nach einer weiteren Verurteilung befand sich der Beschwerdeführer bis 8. November 2005 in Strafhaft.

Im Zuge einer Antragstellung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG (der Beschwerdeführer hatte - nunmehr unter der auch jetzt geführten Identität O.O., geboren am 7. Juli 1975, Staatsangehöriger von Nigeria - die Verlängerung eines 2006 erteilten Aufenthaltstitels beantragt) wurde der Beschwerdeführer festgenommen. In der Folge verhängte die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 13. August 2008 gegen ihn gemäß § 76 Abs. 1 FPG zur Sicherung seiner Abschiebung die Schubhaft. Dabei wurde auf das Aufenthaltsverbot vom 12. März 2001 Bezug genommen; auf eine (allfällige) Berechtigung nach dem NAG ging die Bundespolizeidirektion Wien nicht ein.

Der Beschwerdeführer erhob Schubhaftbeschwerde. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 9. September 2008 wies der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) diese Beschwerde gemäß §§ 82 Abs. 1 sowie 83 Abs. 1, 2 und 4 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG als unbegründet ab. Unter einem stellte die belangte Behörde fest, dass im Zeitpunkt ihrer Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen "nach Maßgabe des § 76 Abs. 2 Z 2 sowie Abs. 6 FPG vorliegen".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Zunächst ist anzumerken, dass die belangte Behörde im Spruch ihres Bescheides ohne erkennbare sachverhaltsmäßige Grundlage - der Beschwerdeführer ist nicht (mehr) Asylwerber - auf § 76 Abs. 2 Z 2 und Abs. 6 FPG Bezug genommen hat.

Dem bekämpften Bescheid liegt im Übrigen die Annahme zugrunde, dass der Beschwerdeführer wissentlich seine Alias-Identität M.OB. verschwiegen und gefälschte Urkunden verwendet habe, um sich damit im Rechtsverkehr auszuweisen und einen Aufenthaltstitel zu erschleichen. "Den für eine Person namens O.O. erworbenen Aufenthaltstitel" - so die belangte Behörde wörtlich - habe der Beschwerdeführer "ganz offensichtlich erschlichen". Von der Bundespolizeidirektion Wien in ihrer Stellungnahme zur Administrativbeschwerde geäußerte Bedenken dahingehend, der Beschwerdeführer sei nicht mit jener Person ident, der 2006 unter dem nunmehr vom Beschwerdeführer geführten Namen O.O. der erwähnte Aufenthaltstitel erteilt wurde, griff die belangte Behörde damit nicht auf. War dem Beschwerdeführer aber - wenn auch rechtswidrig und unter neuer Identität - 2006 ein Aufenthaltstitel erteilt worden, so lag gegen ihn sowohl bei Erlassung des Schubhaftbescheides als auch bei Erlassung des nunmehr bekämpften Bescheides kein durchsetzbares Aufenthaltsverbot vor. Denn die Rechtskraft des über den Beschwerdeführer 2001 verhängten Aufenthaltsverbotes bewirkte nicht die Unwirksamkeit des (zu Unrecht) erteilten Aufenthaltstitels, sondern der in Rechtskraft erwachsene Aufenthaltstitel verdrängte als spätere Norm die Rechtswirksamkeit des zuvor erlassenen Aufenthaltsverbotes für die Dauer der Geltungsdauer des Titels (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. März 2008, Zl. 2008/21/0123). Da der Beschwerdeführer jedenfalls rechtzeitig (im Sinn des § 24 Abs. 2 NAG in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) einen Verlängerungsantrag gestellt hatte, war er nach § 24 Abs. 2 letzter Satz NAG auch bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Verlängerungsantrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Das durch die rechtswirksame Erteilung des Aufenthaltstitels erlangte Niederlassungsrecht war somit während des Verfahrens über den Verlängerungsantrag perpetuiert und verdrängte auch in diesem Zeitraum das gegen den Beschwerdeführer 2001 erlassene Aufenthaltsverbot (vgl. auch dazu das zuvor genannte Erkenntnis vom 31. März 2008).

Eine Entscheidung über den Verlängerungsantrag des Beschwerdeführers lag hier unstrittig noch nicht vor. Es war daher, wie schon festgehalten, ausgehend von den Annahmen des bekämpften Bescheides das 2001 verhängte Aufenthaltsverbot nicht durchsetzbar, sodass die Verhängung und Aufrechterhaltung von Schubhaft zur hier allein gegenständlichen Sicherung der Abschiebung des Beschwerdeführers nicht rechtmäßig war. Der bekämpfte Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 30. August 2011

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