VwGH 2008/21/0271

VwGH2008/21/027130.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde des G, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Bahnhofstraße 20, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 27. Februar 2008, Zl. St 42/08, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den aus dem Kosovo stammenden Beschwerdeführer gemäß den §§ 87 und 86 sowie § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein mit fünf Jahren befristetes Rückkehrverbot.

Begründend führte sie aus, dass der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Deutschland mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichtes Landshut vom 13. November 2000 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen gemäß den §§ 176 und 176a Abs. 1 und 3 sowie § 53 des deutschen StGB zu einer (unbedingten) zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Er habe vier Mal zwischen 1. November 1999 und 15. Februar 2000 mit einem am 14. März 1987 geborenen, also zwölfjährigen Mädchen einvernehmlich den Geschlechtsverkehr vollzogen. Der letzte ungeschützte Verkehr habe die Schwangerschaft der Genannten zur Folge gehabt.

Daraufhin habe der Beschwerdeführer die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2001 verlassen. Am 2. März 2007 sei er schlepperunterstützt illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe noch am selben Tag einen "Asylantrag" gestellt, über den - infolge Erhebung einer Berufung gegen den erstinstanzlichen "Negativbescheid" vom 31. Mai 2007 - noch nicht rechtskräftig entschieden worden sei. Am 26. Juli 2007 habe der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin E., die ihre im Gemeinschaftsrecht begründete Freizügigkeit unstrittig nicht in Anspruch genommen habe, geheiratet. Er sei nicht berufstätig und verfüge über keinerlei finanzielle Mittel.

Das vom Beschwerdeführer begangene Verbrechen sei dem Tatbestand des § 206 Abs. 1 und 3 des österreichischen StGB gleichzuhalten. Dabei handle es sich um schwere und besonders verwerfliche strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit. Die genannten Bestimmungen dienten nämlich dem Schutz der ungestörten psychischen und physischen Entwicklung junger Menschen, dem ein hoher Stellenwert zukomme. Ihre Verletzung begründe somit eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr iSd § 86 Abs. 1 FPG, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre.

Das wiederholte Ausnutzen der mangelnden Einsichtsfähigkeit einer Zwölfjährigen erlaube, auch unter Berücksichtigung der bei Sexualdelikten bestehenden hohen Rückfallsquote, keine positive Zukunftsprognose. Daraus folge, dass die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Rückkehrverbotes wesentlich schwerer wögen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und die seiner Familie. Das Rückkehrverbot erweise sich demnach als iSd § 66 Abs. 2 FPG zulässig.

Da die Ehefrau des Beschwerdeführers in Österreich lebe, bewirke die Entscheidung einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben. Jedoch habe er durch sein in vier Tathandlungen wiederholtes Fehlverhalten nachhaltig dokumentiert, nicht gewillt zu sein, die zum Schutz der Rechte und Freiheiten dritter Personen aufgestellten Normen zu beachten. Das Rückkehrverbot sei somit zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, zum Schutz der Gesundheit, der Moral sowie der Rechte und Freiheiten Anderer, insbesondere der freien sexuellen Entwicklung Minderjähriger, zulässig und dringend geboten. Ohne dass die (vom Beschwerdeführer beantragte) Beiziehung eines Psychotherapeuten oder Psychiaters erforderlich wäre, sei demnach der Schluss gerechtfertigt, dass den privaten Interessen des Beschwerdeführers das große und höher als diese zu gewichtende öffentliche Interesse an der Verhinderung erheblicher Straftaten entgegenstehe. Auch seien keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers begründen könnten.

Die Dauer des Rückkehrverbotes ergebe sich daraus, dass erst nach Ablauf von fünf Jahren erwartet werden könne, dass sich der Beschwerdeführer wiederum an die im Bundesgebiet geltenden Normen halten werde.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 62 Abs. 1 FPG kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2). Hinsichtlich der Gefährdungsprognose ist allerdings zu beachten, dass der Beschwerdeführer als Ehemann Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) einer Österreicherin ist. Gemäß § 87 zweiter Satz FPG gelten für diese Personengruppe die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG. Diese Bestimmungen sind auch dann auf Angehörige von Österreichern anzuwenden, wenn letztere ihr gemeinschaftsrechtlich begründetes Freizügigkeitsrecht nicht in Anspruch genommen haben. In diesem Fall müssen die Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG auch bei Erlassung eines Rückkehrverbotes gegeben sein (vgl. diesbezüglich das hg. Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2007/21/0442). § 86 Abs. 1 FPG verlangt, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Für die Beantwortung der Frage, ob diese Annahmen gerechtfertigt sind, ist demnach zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. September 2008, Zl. 2006/18/0333).

Im Beschwerdefall haben die dargestellten, zwischen November 1999 und Februar 2000 begangenen strafbaren Handlungen zu einer gerichtlichen Verurteilung vom 13. November 2000 geführt. Darin wurden, was die belangte Behörde bei der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht berücksichtigt hat, als mildernd das Geständnis, die bisherige Unbescholtenheit, das Bestehen einer Liebesbeziehung mit dem Mädchen und die Beihilfe ihrer Mutter zur Tatbegehung gewertet.

In den folgenden Jahren hat der Beschwerdeführer sein soziales Umfeld geändert und schließlich am 26. Juli 2007 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Die belangte Behörde hat keine Feststellungen getroffen, welche die Schlussfolgerung zuließen, er hätte sich seit dem Jahr 2000 nicht wohlverhalten.

Im Hinblick darauf und unter Berücksichtigung des Vorliegens einer einzigen strafgerichtlichen Verurteilung teilt der Verwaltungsgerichtshof nicht die von der belangten Behörde vertretene Ansicht, aus dem festgestellten Verhalten und Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers sei nach wie vor eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr abzuleiten, die ein Grundinteresse der Gesellschaft iSd § 86 Abs. 1 FPG berühre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 30. April 2009

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