VwGH 2008/21/0155

VwGH2008/21/015524.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des I, vertreten durch Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in 8650 Kindberg, Hauptstraße 7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 8. Jänner 2008, Zl. Fr 183/2001, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1956 geborene Beschwerdeführer stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Er reiste im Mai 1991 nach Österreich ein, wo er zunächst einen Asylantrag stellte. Nach Zurückziehung dieses Antrages wurden ihm Sichtvermerke und Niederlassungsbewilligungen erteilt, zuletzt am 9. Juni 2006 ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - Familienangehöriger".

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat fünf Kinder. Seiner mit ihm nach Österreich gelangten Ehefrau wurde am 12. Juni 2003 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen, auch die Kinder des Beschwerdeführers, von denen vier bereits volljährig sind, sind mittlerweile österreichische Staatsbürger.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Wr. Neustadt vom 21. Dezember 2000 wurde der Beschwerdeführer wegen § 269 Abs. 1, § 83 Abs. 1, § 84 Abs. 2 Z 4 und § 83 Abs. 1 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten (unbedingter Strafteil: ein Monat) verurteilt. Im Hinblick auf das dieser Verurteilung zu Grunde liegende Fehlverhalten erließ die Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot, das jedoch seitens der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark über Berufung des Beschwerdeführers im Hinblick auf dessen private und familiäre Verankerung in Österreich ersatzlos behoben wurde.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 8. Juni 2001 wurde über den Beschwerdeführer gemäß §§ 31, 40 StGB wegen § 83 Abs. 1 und § 107 Abs. 1 StGB unter Bedachtnahme auf die vorgenannte Verurteilung durch das Landesgericht Wiener Neustadt eine bedingt nachgesehene zweimonatige Zusatzfreiheitsstrafe verhängt. Weitere in Rechtskraft erwachsene Verurteilungen erfolgten am 10. April 2002 (dreimonatige Freiheitsstrafe wegen § 83 Abs. 1 StGB), am 14. Jänner 2004 (zweimonatige Freiheitsstrafe wegen § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG) und schließlich am 6. April 2007 (zwölfmonatige Freiheitsstrafe wegen § 107 Abs. 1 und 2 sowie § 83 Abs. 1 und § 84 Abs. 1 StGB).

In der Folge verhängte die Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark, die belangte Behörde, die dagegen erhobene Berufung mit der Maßgabe ab, dass das Aufenthaltsverbot - gestützt auf § 86 Abs. 1 und § 87 iVm § 60 Abs. 1 Z 1 und 2 sowie §§ 61, 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 -

FPG - auf die Dauer von fünf Jahren erlassen werde. Dem vorgenannten Urteil vom 10. April 2002 habe, so die belangte Behörde begründend - zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer am 27. August 2001 seine Ehefrau durch Versetzen eines Schlages in das Gesicht, durch Würgen und einen Biss in die rechte Wange (druckschmerzhafte Schwellung mit oberflächlicher bogenförmiger Abschürfung der rechten Wange über dem Jochbein, mehrere gerötete Streifen am Hals, teils bis zu 7 cm Länge, am linken Mundwinkel eine blutende, 1 cm lange Wunde, Bissmal an der rechten Wange) und seinen Sohn B. durch einen Schlag gegen den Bauch, zu Boden Stoßen und Würgen vorsätzlich am Körper verletzt habe. Die letztgenannte Verurteilung vom 6. April 2007 sei erfolgt, weil der Beschwerdeführer am 11. Oktober 2006 seine Ehefrau durch das Versetzen von Schlägen vorsätzlich am Körper verletzt (wobei die Tat eine an sich schwere Verletzung, nämlich einen Bruch des linken Handgelenkes, zur Folge gehabt habe) und sie im Anschluss daran durch die sinngemäße Äußerung "man solle ihm ein Messer geben, denn seine Frau gehöre getötet", wobei er während dessen nach einem Messer suchte, mit dem Tod gefährlich bedroht habe, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Auf Grund der Vielzahl der dargestellten gerichtlichen Verurteilungen und der zu Grunde liegenden schwer wiegenden Straftaten, die in ihrer Intensität während des Aufenthaltes im Bundesgebiet noch gesteigert worden seien, stelle der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - eine Gefahr für die öffentliche "Ruhe, Ordnung und Sicherheit" sowie für die körperliche Unversehrtheit (gemeint: anderer Personen) dar. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers begründe eine erhebliche, tatsächliche und gegenwärtige Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 86 Abs. 1 FPG gegeben seien. Der Beschwerdeführer sei "ein unverbesserlicher Wiederholungstäter", selbst mehrfache gerichtliche Verurteilungen wegen Gewalttätigkeiten hätten ihn nicht davon abhalten können, binnen kurzer Zeit neuerlich straffällig zu werden und noch schwerere Straftaten gegen die körperliche Integrität zu verüben. Die erwähnte Gefährlichkeitsprognose sei daher gerechtfertigt.

Was die familiäre Situation des Beschwerdeführers anlange, so sei eine Tochter des Beschwerdeführers mittlerweile verheiratet und lebe ohne Kontakt zum Beschwerdeführer in M. Zwei Söhne gingen einer eigenen geregelten Beschäftigung nach, ein weiterer Sohn sei seit Jänner 2005 als Lehrling registriert. Im Haushalt des Beschwerdeführers befinde sich auch seine pflegebedürftige, 1922 geborene Mutter, die sich allerdings "illegal" in Österreich aufhalte. Mit Schreiben vom 30. November 2007 habe die Ehefrau des Beschwerdeführers zum Ausdruck gebracht, dass sie sich ein Leben ohne den Beschwerdeführer nicht vorstellen könne. Aus all dem ergebe sich, dass es durch das gegenständliche Aufenthaltsverbot zu einem relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers komme. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung weiterer Straftaten) dringend geboten, lasse doch das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers eindrücklich erkennen, dass er nicht willens oder nicht in der Lage sei, die maßgeblichen Rechtsvorschriften einzuhalten. Weder das erste, in der Folge von der belangten Behörde ersatzlos behobene Aufenthaltsverbot noch die zahlreichen Verurteilungen hätten den Beschwerdeführer zu einem rechtskonformen Verhalten bewegen können. Daraus folge (weiters), dass die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer wiegen würden als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie. Das Aufenthaltsverbot erweise sich daher auch im Grunde des § 66 FPG als zulässig.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen:

Der Beschwerdeführer ist als Ehemann Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin. Für diese Personengruppe gelten jedenfalls - und zwar gemäß § 87 zweiter Satz FPG auch dann, wenn der österreichische Angehörige sein (gemeinschaftsrechtlich begründetes) Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat - die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach § 86 FPG.

§ 86 Abs. 1 FPG setzt für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eine qualifizierte Gefährdungsprognose voraus. Das zu beurteilende persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Hatte der betreffende Fremde vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet, so ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach dem noch strengeren Maßstab des fünften Satzes dieser Bestimmung nur dann zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

In der Beschwerde wird die Auffassung vertreten, die belangte Behörde hätte auf diese noch weiter gesteigerte Gefährdungsprognose nach dem eben zitierten fünften Satz des § 86 Abs. 1 FPG abstellen müssen. Dem ist wie folgt zu entgegnen:

Unter dem Zeitpunkt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" im Sinn des fünften Satzes des § 86 Abs. 1 FPG ist der Zeitpunkt vor Eintritt des ersten der von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltesverbotes herangezogenen Umstände, die in ihrer Gesamtheit die Maßnahme tragen, zu verstehen. Im Falle eines auf strafbare Handlungen gegründeten Aufenthaltsverbotes umfasst der "maßgebliche Sachverhalt" das den Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten. Es ist jedoch nicht zulässig, auch ein solches Fehlverhalten dem Aufenthaltsverbot zugrundezulegen, das unter Berücksichtigung des seither verstrichenen Zeitraumes nicht (mehr) geeignet ist, eine relevante Vergrößerung der von dem Fremden ausgehenden Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen herbeizuführen (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 25. September 2007, Zl. 2007/18/0418).

Im vorliegenden Fall indes kann nicht fraglich sein, dass auch das der Verurteilung vom 21. Dezember 2000 zu Grunde liegende Fehlverhalten zum "maßgeblichen Sachverhalt" gehört, ist dabei doch - wie sich auch ohne nähere Tatumschreibung durch die belangte Behörde allein auf Grund der Verurteilung wegen § 269 Abs. 1 StGB (Widerstand gegen die Staatsgewalt) und § 84 Abs. 2 Z 4 StGB (Körperverletzung an einem Beamten) ergibt - die Aggressionsbereitschaft des Beschwerdeführers auch außerhalb des Familienkreises zum Ausbruch gekommen. Da sich der unstrittig seit Mai 1991 in Österreich befindliche Beschwerdeführer im Zeitpunkt des der Verurteilung vom 21. Dezember 2000 zu Grunde liegenden Fehlverhaltens (nach der Aktenlage wurde es nach einem Verkehrsunfall mit Sachschaden am 22. Juli 2000 gesetzt) jedenfalls noch nicht zehn Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat, kann sich der Beschwerdeführer nicht auf § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG berufen.

Dass die belangte Behörde aber am Maßstab der nach den ersten Sätzen des § 86 Abs. 1 FPG anzustellenden Gefährdungsprognose die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes als zulässig ansah, begegnet keinen Bedenken. Auch die Beschwerde wendet sich gegen die von der belangten Behörde angenommene Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nur unter dem Gesichtspunkt des § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG. Im Übrigen ist ihr, soweit sie als Grund für die Aggressionsbereitschaft des Beschwerdeführers die seinerzeitigen schweren Misshandlungen in einem serbischen Gefängnis anführt, zu erwidern, dass es bei der im Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu beurteilenden Frage der Gefährlichkeit eines Fremden nicht darauf ankommt, worauf diese Gefährlichkeit zurückzuführen ist. Dass diese im hier maßgeblichen Ausmaß vorliegt, wird mit dem Vorbringen, es sei im Rahmen einer bis Oktober 2006 erfolgten Behandlung darum gegangen, "im Familienverband Spannungen und Neigungen zu aggressiven Triebdurchbrüchen medikamentös zu begegnen", nicht in Frage gestellt. Es kann auch keine Rede davon sein, dass die "bloß" familiären Auseinandersetzungen die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers relativierten. Dass er davon abgesehen auch außerhalb des Familienverbandes Aggressionshandlungen gesetzt hat, wurde schon oben ausgeführt. Schließlich trifft es aber auch nicht zu, dass der Beschwerdeführer 2007 erstmals in einem österreichischen Gefängnis gewesen sei. Schon die Verurteilungen vom 21. Dezember 2000, vom 10. April 2002 und vom 14. Jänner 2004 hatten nämlich einen Freiheitsentzug des Beschwerdeführers zur Folge.

Erkennbar unter dem Gesichtspunkt des § 66 FPG macht der Beschwerdeführer geltend, dass das gegenständliche Aufenthaltsverbot zu Lasten seiner Familie gehe. Diese Lasten stünden in keinem Verhältnis "zu dieser familiären Auseinandersetzung", seine Ehefrau habe ihm sofort verziehen, es sei nicht im Interesse der Familie gewesen, dass er "ein Jahr eingesperrt werde".

Auch mit diesem Vorbringen vermag der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides aufzuzeigen. Es wurde schon erwähnt, dass die von ihm ausgehende Gefährlichkeit nicht dadurch relativiert werden kann, dass sie weitgehend (wenn auch nicht ausschließlich) innerhalb der Familie zum Tragen kam. Mit der belangten Behörde ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass den Beschwerdeführer weder vorangegangene Verurteilungen noch das - von der belangten Behörde über seine Berufung dann ersatzlos behobene - erste Aufenthaltsverbot von der Begehung des letzten, bei Erlassung des bekämpften Bescheides erst rund 15 Monate zurück liegenden Gewaltdeliktes abhalten konnten. Vor diesem Hintergrund ist der belangten Behörde beizupflichten, wenn sie die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG für dringend geboten und im Grunde des § 66 Abs. 2 FPG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) für zulässig erachtete. Dass die Familie des Beschwerdeführers seine "Ausweisung" nicht wünsche und dass seine Ehefrau wieder mit ihm zusammen leben möchte bzw. sich ein Leben ohne den Beschwerdeführer nicht vorstellen könne, vermag nach dem Gesagten daran nichts zu ändern, weshalb sich letztlich auch der Vorwurf, die belangte Behörde habe die in diesem Zusammenhang beantragte Einvernahme der Familienangehörigen des Beschwerdeführers nicht durchgeführt, als nicht zielführend erweist.

Die damit insgesamt unbegründete Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. November 2009

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