VwGH 2008/19/0706

VwGH2008/19/070616.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerden der beschwerdeführenden Parteien 1. Z, 2. E,

3. G, und 4. N, alle vertreten durch Mag. Wolfgang Auner, Rechtsanwalts-Kommandit-Partnerschaft KG, in 8700 Leoben, Parkstraße 1/I, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1.) 8. Mai 2008, Zl. 246.219/0/12E-VII/43/04, 2.) 8. Mai 2008, Zl. 301.612-C1/7E-VII/43/06,

3.) 8. Mai 2008, Zl. 306.177-C1/2E-VII/43/06, 4.) 8. Mai 2008, Zl. 301.611-C1/2E-VII/43/06, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (zu 1., 2., und 4.) bzw. §§ 3, 8 Asylgesetz 2005 (zu 3.) (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 2005 §2 Abs1 Z17;
AsylG 2005 §3;
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 2005 §2 Abs1 Z17;
AsylG 2005 §3;
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden im angefochtenen Umfang, hinsichtlich der erstbeschwerdeführenden Partei zur Gänze, hinsichtlich der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien in den Spruchpunkten I. und II. wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführenden Parteien sind nach den Feststellungen in den angefochtenen Bescheiden armenische Staatsangehörige und Mitglieder einer Familie (der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten, der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin ihre minderjährigen Kinder).

Der Erstbeschwerdeführer reiste am 30. Dezember 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Er brachte im Wesentlichen vor, sein Heimatland verlassen zu haben, weil er Anfang Dezember 2003 gemeinsam mit seinem Schwager in einen Verkehrsunfall mit einem Fahrzeug verwickelt gewesen sei, in dem sich mehrere Kriminelle, darunter auch ein Polizeioffizier, befunden hätten. Diese hätten den Beschwerdeführer und seinen Schwager in der Folge unter Anwendung von Gewalt erpresst. Der Autounfall sei aber nur ein Vorwand gewesen bzw. inszeniert worden, um die gesamte Familie aus anderen Gründen zu vernichten. So habe der Schwager des Beschwerdeführers schon in der Zeit vor dem Unfall Schwierigkeiten mit diesen "Leuten" gehabt, weil sie "in der Regierung sitzen" und "eine Mafia" seien. Im Einzelnen schilderte der Beschwerdeführer, dass er und sein Schwager anlässlich der Präsidentenwahl im Jahr 2003 den Kandidaten "Demirjan" unterstützt hätten, der jedoch nicht gewählt worden sei. Wegen dieses Engagements hätten die Leute von Hovik Abrahamyan, der auch heute noch in der Regierung sei, vor allem dem Schwager des Beschwerdeführers - im Einzelnen näher dargestellte - Probleme bereitet. Im Falle der Rückkehr nach Armenien fürchte er, dass "die Mafia" ihn umbringe.

Die Zweit- und Viertbeschwerdeführerinnen reisten am 2. November 2005 in das Bundesgebiet ein und beantragten ebenfalls Asyl. Dazu gab die Zweitbeschwerdeführerin an, sie habe sich nach der Ausreise ihres Mannes gemeinsam mit der Viertbeschwerdeführerin versteckt gehalten. Ende des Jahres 2005 hätten sie jedoch erfahren, dass "die Männer, die bei dem Unfall dabei waren, sich nach (ihr) erkundigt hätten". Da die Verfolger somit herausgefunden hätten, dass sie und ihre Tochter noch in Armenien aufhältig seien, sei ihnen geraten worden, zum Erstbeschwerdeführer nach Österreich zu fliehen.

Der Drittbeschwerdeführer wurde erst in Österreich geboren. Für ihn beantragte die Zweitbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin am 9. August 2006 unter Bezugnahme auf die eigenen Fluchtgründe internationalen Schutz.

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Asylanträge der erst-, zweit- und viertbeschwerdeführenden Parteien gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (jeweilige Spruchpunkte I.) und stellte fest, dass ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 50 FPG 2005 zulässig sei (jeweilige Spruchpunkte II.). Auch der Antrag auf internationalen Schutz des Drittbeschwerdeführers wurde gemäß § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen (Spruchpunkt I.) und es wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Im Übrigen behob die belangte Behörde hinsichtlich der zweit-, dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien die von der ersten Instanz vorgenommene Ausweisung (jeweilige Spruchpunkte III.).

Begründend führte die belangte Behörde im Berufungsbescheid betreffend den Erstbeschwerdeführer aus, seinem Vorbringen komme Glaubwürdigkeit zu. Trotzdem lasse sich daraus keine Gefahr einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in seinem Herkunftsstaat ableiten. Beim Berufungswerber handle es sich nur um einen "einfachen" Dorfbewohner, der nicht einmal Parteimitglied gewesen sei. Seine damaligen Probleme mit einem örtlichen Lokalpolitiker lägen bereits vier Jahre zurück. Außerdem sei er selbst gar nicht in die Auseinandersetzung mit dem Lokalpolitiker verwickelt gewesen. Nicht er, sondern sein Schwager hatte mit diesem Probleme. Auch im Sinne einer Prognoseentscheidung sei nicht mehr mit einer Verfolgung des Beschwerdeführers in Armenien zu rechnen. Der Beschwerdeführer sei für die dortigen Machthaber einfach viel zu unwichtig, um für die regierenden Personen auch nur irgendeine Gefahr darzustellen. Auch von den Erpressern drohe keine Verfolgung mehr, da der Vorfall einfach schon zu lange zurückliege und nicht angenommen werden könne, dass die Männer noch heute auf den Berufungswerber warteten, weil solche Erpressungsversuche in Armenien an der Tagesordnung stünden und sich die Kriminellen nach einem gescheiterten Erpressungsversuch einfach einem neuen Opfer zuwendeten, zumal vom Beschwerdeführer auch materiell nichts mehr zu erwarten sei. Aus einem einmaligen Übergriff, der bereits vier Jahre zurückliege, sei keine aktuelle Gefahr mehr erkennbar.

Im Berufungsbescheid betreffend die Zweitbeschwerdeführerin führte die belangte Behörde aus, auch ihrem Vorbringen komme "durchaus Glaubwürdigkeit zu". Allerdings vermöge dieses - aus den im Bescheid des Erstbeschwerdeführers ausgeführten Gründen - kein Asyl oder subsidiären Schutz zu rechtfertigen.

Im Wesentlichen gleichlautend argumentierte die belangte Behörde auch in den Berufungsbescheiden betreffend die minderjährigen Kinder (also den Drittbeschwerdeführer bzw. die Viertbeschwerdeführerin).

Gegen diese Bescheide (hinsichtlich der zweit- bis viertbeschwerdeführerenden Parteien allerdings erkennbar nur in ihren Spruchpunkten I. und II.) wenden sich die vorliegenden, wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde legte ihren Entscheidungen das Vorbringen der Asylwerber zu Grunde. Ausgehend davon lässt sich ihre rechtliche Beurteilung, die beschwerdeführenden Parteien hätten bei einer Rückkehr nach Armenien keine asylrelevante Verfolgung (mehr) zu erwarten, nicht nachvollziehen. Die Einschätzung, die Probleme mit einem "örtlichen Lokalpolitiker" hätten nicht die beschwerdeführenden Parteien, sondern nur den Schwager betroffen, steht im Widerspruch zu der Aussage des Erstbeschwerdeführers, es sei den Verfolgern darum gegangen, die gesamte Familie (wozu auch die beschwerdeführenden Parteien gehören) zu vernichten. Im Übrigen ist nicht zu erkennen, aus welchen Gründen die belangte Behörde den Verfolger bloß als Lokalpolitiker bezeichnete, zumal dieser nach den Angaben des Erstbeschwerdeführers ein Regierungsamt bekleiden soll.

Dass die "Erpressungsversuche" lange Zeit zurücklägen und nicht angenommen werden könne, dass die Verfolger auch heute noch auf die beschwerdeführenden Parteien warteten, ist eine spekulative Annahme der belangten Behörde, der sich entgegenhalten lässt, dass die Verfolger - unter Zugrundelegung des Vorbringens der beschwerdeführenden Parteien - auch noch zwei Jahre nach der Ausreise des Erstbeschwerdeführers nach dessen Familienmitgliedern gesucht haben, was letztlich zur Ausreise der Zweit- und Viertbeschwerdeführerinnen geführt haben soll.

Auf der Grundlage des Vorbringens der beschwerdeführenden Parteien lässt sich somit weder die Verfolgungsgefahr noch der Konventionsgrund (Mitgliedschaft zur sozialen Gruppe "Familie") verneinen. Da die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden auch keine anderen Gründe angeführt hat, die gegen die Gewährung von Asyl sprächen, sind die angefochtenen Bescheide mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Abschließend sei bemerkt, dass auch die Staatsangehörigkeit des Erstbeschwerdeführers aktenwidrig festgestellt wurde. Die belangte Behörde führte aus, der Erstbeschwerdeführer sei - nach eigenen Angaben - armenischer Staatsangehöriger. Die Aussage des Erstbeschwerdeführers in der mündlichen Berufungsverhandlung am 8. April 2008 lautete jedoch wörtlich wie folgt:

"Ich bin nicht armenischer Staatsangehöriger, ich bin Flüchtling aus Nagorno-Karabach. Ich bin als Flüchtling registriert in Armenien, man hat mir auch ein kleines Häuschen gegeben, dass wir dort wohnen können. Einen Antrag auf die Staatsbürgerschaft habe ich nicht gestellt, da ich das zu dem Zeitpunkt nicht gebraucht habe."

Ausgehend davon wäre im fortgesetzten Verfahren zunächst zu klären, ob Armenien überhaupt als "Herkunftsstaat" im Sinne des § 1 Z 4 AsylG (bzw. § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005) des Erstbeschwerdeführers und seiner Familie anzusehen ist.

Die angefochtenen Bescheide waren jedoch (vorrangig) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 16. April 2009

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