Normen
AsylG 2005 §3;
AsylG 2005 §41 Abs4;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
AsylG 2005 §3;
AsylG 2005 §41 Abs4;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden hinsichtlich der erstbeschwerdeführenden Partei wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, hinsichtlich der zweitbeschwerdeführenden Partei wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 991, 20, zusammen somit EUR 1.982,40, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin; beide sind weißrussische Staatsangehörige.
Die (damals mit der Zweitbeschwerdeführerin schwangere) Erstbeschwerdeführerin reiste am 17. August 2007 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu ihren Fluchtgründen gab sie im Wesentlichen an, ebenso wie ihr Lebensgefährte Mitglied einer weißrussischen Oppositionspartei gewesen zu sein und an Demonstrationen teilgenommen zu haben. Bei einer solchen Demonstration sei sie von einem Polizeibeamten so zusammengeschlagen worden, dass sie sich im Anschluss mehrere Monate in Krankenhausbehandlung befunden habe. Am 13. August 2007 sei ihr Lebensgefährte von zum Teil uniformierten Männern verschleppt und am nächsten Tag die gemeinsame Wohnung durchsucht worden. Als sich die Erstbeschwerdeführerin bei der Polizei nach dem Verbleib ihres Lebensgefährten erkundigt habe und wegen dessen Entführung eine Anzeige habe erstatten wollen, sei sie beschimpft und bedroht worden. Deshalb habe sie die Flucht aus dem Herkunftsstaat angetreten.
Mit Bescheid vom 5. November 2007 wies das Bundesasylamt den Antrag der Erstbeschwerdeführerin gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und erkannte ihr weder den Status einer Asylberechtigten noch den einer subsidiär Schutzberechtigten zu. Gleichzeitig wies die Behörde die Erstbeschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Weißrussland aus. Die Angaben der Erstbeschwerdeführerin seien - so die Bescheidbegründung - auf keinerlei Beweismittel gestützt und - aus näher dargestellten Gründen - widersprüchlich gewesen, weshalb von einer glaubhaften Verfolgung aus politischen Motiven nicht ausgegangen werden könne.
Für die in Österreich am 14. November 2007 geborene Zweitbeschwerdeführerin stellte die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin am 3. Dezember 2007 einen "Antrag auf Gewährung des selben Schutzes bezogen auf meine Mutter". Sie gehöre zur Kernfamilie und habe keine eigenen Asylgründe.
Mit Bescheid vom 12. Dezember 2007 wies das Bundesasylamt auch diesen Antrag gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab, erkannte der Zweitbeschwerdeführerin weder den Status einer Asylberechtigten noch den einer subsidiär Schutzberechtigten zu, und wies sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Weißrussland aus. Begründend verwies sie darauf, dass auch der Erstbeschwerdeführerin kein Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt worden sei.
Gegen die erstinstanzlichen Bescheide erhoben die Beschwerdeführerinnen Berufungen. Darin beantragte die Erstbeschwerdeführerin auch ausdrücklich die Anberaumung einer Berufungsverhandlung. In einer Berufungsergänzung vom 10. Dezember 2007 wandte sie sich im Einzelnen gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung. Dabei ging sie auf die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesasylamtes detailliert ein und versuchte die gegen ihre Glaubwürdigkeit vorgebrachten Bedenken im erstinstanzlichen Bescheid argumentativ zu entkräften.
Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen ohne Durchführung einer Verhandlung ab. Begründend schloss sie sich den Ausführungen des Bundesasylamtes in den erstinstanzlichen Bescheiden an und erhob sie zum Inhalt ihrer Entscheidungen. Die Erstbeschwerdeführerin habe der Beweiswürdigung der ersten Instanz nicht in qualifizierter Form entgegenzutreten vermocht. Einer Berufungsverhandlung habe es nicht bedurft, weil der Sachverhalt als geklärt anzusehen sei.
Über die gegen diese Bescheide gemeinsam erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die Beschwerde macht als Verfahrensmangel vor allem eine Verletzung der Verhandlungspflicht der belangten Behörde geltend und ist damit im Recht:
Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhalts gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG, der eine Berufungsverhandlung entbehrlich macht, dann nicht erfüllt ist, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante und zulässige Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. dazu für die Rechtslage jeweils vor und nach der Asylgesetznovelle 2003, BGBl. I Nr. 101, und für den hier vorliegenden Fall einer beantragten Berufungsverhandlung die hg. Erkenntnisse vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533, und vom 14. Dezember 2006, Zl. 2006/01/0691, sowie für den Fall des unterbliebenen Parteienantrages auf Abhaltung einer Berufungsverhandlung die hg. Erkenntnisse vom 12. Juni 2003, Zl. 2002/20/0336, und vom 8. Juni 2006, Zl. 2004/01/0565).
Durch das AsylG 2005 ist in den dafür maßgeblichen Rechtsgrundlagen für Fälle wie den vorliegenden keine Änderung eingetreten. § 41 Abs. 4 AsylG 2005, demzufolge in Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat - mit Ausnahme der in dieser Gesetzesstelle genannten Fälle insbesondere einer Berufung gegen eine zurückweisende Entscheidung im Zulassungsverfahren - § 67d AVG gilt, nimmt auf Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG zwar nicht Bezug. Es kann den Gesetzesmaterialien aber nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber damit die zuletzt genannte Sondervorschrift für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat außer Kraft setzen wollte. § 41 Abs. 4 AsylG 2005 dient nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage vielmehr der Klarstellung, "dass bei Verfahren, die sich mit den sehr formalen Fragen einer Zurückweisung beschäftigen, eine Verhandlung ... nicht erforderlich ist" (952 BlgNR 22.GP 66). Für die Annahme, dass der Gesetzgeber eine Ausweitung der Verhandlungspflicht (gegenüber der Rechtslage vor dem AsylG 2005) auf alle anderen Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat beabsichtigt hätte, findet sich kein Hinweis. § 41 Abs. 4 letzter Satz AsylG 2005 ist daher so zu verstehen, dass in den dort genannten "anderen Verfahren" § 67d AVG weiterhin mit den Einschränkungen des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG zur Anwendung gelangt. Die oben dargestellte Judikatur zur Verhandlungspflicht ist daher auch im gegenständlichen Fall maßgeblich.
Die Erstbeschwerdeführerin hat die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes zum behaupteten Fluchtgrund in ihrer Berufungsergänzung entgegen der Auffassung der belangten Behörde substantiiert bekämpft. Die belangte Behörde wäre deshalb nach den geschilderten Rechtsgrundsätzen verpflichtet gewesen, eine (beantragte) Berufungsverhandlung abzuhalten.
Da nicht auszuschließen ist, dass bei Einhaltung der außer Acht gelassenen Verfahrensvorschriften für die Erstbeschwerdeführerin ein anderes Verfahrensergebnis zu erzielen gewesen wäre, war der erstangefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Dieser Umstand schlägt aufgrund des anzuwendenden Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG 2005 auch auf den die Zweitbeschwerdeführerin betreffenden Bescheid der belangten Behörde durch, der deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 11. Juni 2008
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)