VwGH 2008/18/0554

VwGH2008/18/055420.10.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des AL, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 19. Mai 2008, Zl. E1/202.557/2008, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art14 Abs1;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art15 Abs1;
EURallg;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art14 Abs1;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art15 Abs1;
EURallg;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen marokkanischen Staatsangehörigen, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei im September 2007 in das Bundesgebiet eingereist. Bereits zuvor habe er am 23. April 2007 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt. Dieser Antrag sei vom Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 4. Jänner 2008 rechtskräftig abgewiesen worden. Somit verfüge der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel.

Wenn der Beschwerdeführer darauf hinweise, dass er im Besitz eines italienischen Aufenthaltstitels sei, welcher als solcher nach der Richtlinie 2003/109/EG zu qualifizieren sei und er daher zur Ausübung der "EU - Mobilität" berechtigt sei, werde dem entgegengehalten, dass einer Auskunft des Bundesministeriums für Inneres zufolge ein derartiger Aufenthaltstitel voraussetze, dass er in Form eines Aufklebers oder einer Karte nach Maßgabe der Verordnung 2002/1030/EG zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatsangehörige vorliege. Im Eintragungsfeld "Art des Aufenthaltstitels" müsse die Bezeichnung "Daueraufenthalt - EG" in der jeweiligen Landessprache stehen. Da dies aber beim gegenständlichen Aufenthaltstitel nicht ersichtlich sei, handle es sich im konkreten Fall nicht um einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" im Sinn der Richtlinie 2003/109/EG. Daran ändere auch das Vorliegen einer Bestätigung der italienischen Behörde, dass der unbefristet gültige Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers die gleiche Rechtsgültigkeit "wie eine EU-Aufenthaltsgenehmigung im elektronischen Format" besitze, nichts. Sohin dokumentiere der hier in Rede stehende Aufenthaltstitel lediglich das dem Beschwerdeführer in Italien zustehende unbefristete Niederlassungsrecht. Er entfalte aber ausschließlich zwischen dem Beschwerdeführer und dem Staat Italien Rechtswirkungen. Zur "EU - Mobilität innerhalb der Mitgliedstaaten" berechtige dieser Aufenthaltstitel aber nicht.

Es seien sohin die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG gegeben.

Im Weiteren legte die belangte Behörde noch dar, weshalb ihrer Ansicht nach auch § 66 FPG der Ausweisung nicht entgegenstehe.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

§ 31 Abs. 1 und § 53 Abs. 1 FPG (jeweils samt Überschrift; in der hier maßgeblichen Stammfassung) lauten:

"Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet

§ 31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2. wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind;

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5. soweit sie nicht auf Grund eines Rückübernahmeabkommens (§ 19 Abs. 4) oder internationaler Gepflogenheiten rückgenommen werden mussten oder nicht auf Grund einer Durchbeförderungserklärung, sonstiger zwischenstaatlicher Abkommen oder auf Ersuchen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union um Durchbeförderung (§ 48 Abs. 1) oder aufgrund einer Durchlieferungsbewilligung gemäß § 67 ARHG eingereist sind;

6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel

§ 53. (1) Fremde können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

..."

Der Beschwerdeführer verweist auf seinen in Italien ausgestellten, unbefristet gültigen Aufenthaltstitel. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde letztlich zum Erfolg.

Anders als der Beschwerdeführer meint, kam ihm auf Grund des in Italien erteilten Aufenthaltstitels mit Blick darauf, dass er sich im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits mehr als drei Monate im Bundesgebiet aufhielt, jedenfalls kein unmittelbar aus der Richtlinie 2003/109/EG ableitbares Aufenthaltsrecht zu. Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer in Italien als langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger im Sinn dieser Richtlinie anzusehen war. Gemäß Artikel 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG erwirbt ein langfristig Aufenthaltsberechtigter das Recht, sich länger als drei Monate im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten als desjenigen, der ihm die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt hat, aufzuhalten, sofern die in diesem Kapitel festgelegten Bedingungen erfüllt sind. Als eine dieser Bedingungen sieht Artikel 15 Abs. 1 Richtlinie 2003/109/EG vor, dass der betreffende Fremde unverzüglich, jedoch spätestens drei Monate nach seiner Einreise einen Aufenthaltstitel bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates zu beantragen hat. Dazu legt die genannte Richtlinie zwar Voraussetzungen fest, unter denen der begehrte Aufenthaltstitel im zweiten Mitgliedstaat zu erteilen ist, jedoch kann anhand der Bestimmungen der Richtlinie nicht davon ausgegangen werden, ein aus der Richtlinie herrührendes Recht auf Aufenthalt über drei Monate hinaus im anderen Mitgliedstaat bestehe bereits allein auf Grund der in einem anderen Mitgliedsstaat bestehenden Rechtsstellung als langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger.

Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings zu § 31 FPG in seinem Erkenntnis vom 24. November 2009, Zl. 2008/21/0436, festgehalten, dass nach § 31 Abs. 1 Z 3 FPG während der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltstitels das Recht zum weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet (auf innerstaatlicher Grundlage) zusteht. Ebenso wie im damaligen Fall kann im hier vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob diese Bestimmung, die ihrem Wortlaut nach keinerlei Einschränkung (insofern anders die Rechtslage nach dem Fremdengesetz 1997) enthält, dergestalt zu interpretieren sein könnte, dass die Rechtmäßigkeit des inländischen Aufenthalts im Fall des Bestehens einer Erwerbstätigkeit nach dieser Gesetzesstelle nicht gegeben sei. Feststellungen dahingehend, dass der Beschwerdeführer einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre, enthält der angefochtene Bescheid nämlich nicht. Die bloße Absicht, eine solche - im Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG - aufnehmen zu wollen, kann insofern mit dem Bestehen einer Erwerbstätigkeit nicht gleichgesetzt werden.

Somit stand § 31 Abs. 1 Z 3 FPG der Annahme, der Beschwerdeführer halte sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, entgegen. Dann aber erweist sich eine auf § 53 Abs. 1 FPG gestützte Ausweisung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts als nicht zulässig.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 20. Oktober 2011

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