VwGH 2008/18/0434

VwGH2008/18/043413.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Gerhard Koller, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Friedrich Schmidt-Platz 7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 19. Februar 2008, Zl. SD 1554/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z6;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §63 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z6;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §63 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 19. Februar 2008 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zu Grunde, dass der Beschwerdeführer erstmalig 1991 in das Bundesgebiet eingereist und über ihn mit Bescheid vom 28. Juni 1995 ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren auf Grund des Eingehens einer Scheinehe verhängt worden sei. Obwohl der Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes abgewiesen worden sei, habe der Beschwerdeführer dennoch von der österreichischen Botschaft in Ankara ein Touristenvisum, gültig vom 14. Mai bis 13. August 2001, erhalten. Sowohl im Jahr 2001 als auch 2002 seien Anträge auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen für den Aufenthaltszweck "unselbständige Erwerbstätigkeit" bzw. "privat" abgewiesen worden. Nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet habe der Beschwerdeführer im Jänner 2002 einen Asylantrag gestellt, den er am 25. Oktober 2002 zurückgezogen habe.

Am 26. September 2002 habe der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und anschließend einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Ö, § 49 Abs. 1 FrG 1997" eingebracht. Der beantragte Aufenthaltstitel sei ihm erteilt worden.

Am selben Tag sei bei der Bundespolizeidirektion Wien (der Erstbehörde) eine anonyme Anzeige eingelangt, in der die Ehe des Beschwerdeführers als Scheinehe bezeichnet werde. Daraufhin seien - im angefochtenen Bescheid ausführlich dargestellte - Erhebungen hinsichtlich des Vorliegens einer Scheinehe eingeleitet worden.

Im Rahmen dieser Erhebungen habe die Ehefrau des Beschwerdeführers angegeben, Schulden in der Höhe von EUR 35.000,--

zu haben und derzeit Notstandshilfe zu beziehen. Mit dem Beschwerdeführer unterhalte sie sich in Deutsch, sie spreche jedoch ein paar Worte Türkisch. Seit März 2005 wohne der Beschwerdeführer nicht mehr bei ihr.

Am 22. November 2005 habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "jeglicher Aufenthaltszweck" und in eventu "Schlüsselkraft - selbständig" eingebracht.

Die Zeugin F.D. habe am 29. Dezember 2005 u.a. ausgesagt, dass der Beschwerdeführer seit 31. Jänner 2005 mit ihr zusammenlebe und sie eine intime Beziehung hätten. Erst nach dem Zusammenziehen habe ihr der Beschwerdeführer erzählt, dass er mit einer österreichischen Frau verheiratet sei, mit dieser aber nie zusammengewohnt und auch nie mit ihr geschlafen habe; er habe die Frau nur geheiratet, damit er in Österreich bleiben könne bzw. in weiterer Folge die österreichische Staatsbürgerschaft bekomme. Die Beziehung zwischen der Zeugin und dem Beschwerdeführer habe sich in weiterer Folge verschlechtert, weil diese das Gefühl gehabt habe, der Beschwerdeführer habe noch immer eine Beziehung zu seiner geschiedenen Ehefrau in der Türkei, mit der er drei gemeinsame Kinder habe. Da der Beschwerdeführer trotz Verlangen nicht aus der Wohnung der Zeugin ausgezogen sei, habe sich diese einer Freundin anvertraut; diese Freundin habe den anonymen Brief an die Fremdenpolizei geschrieben. Die Zeugin sei auch mehrmals bei Treffen zwischen dem Beschwerdeführer und seiner österreichischen Ehefrau anwesend gewesen, wobei jeweils vor Terminen bei der Fremdenpolizei die Aussagen abgesprochen worden seien. Die Lebensgemeinschaft zwischen der Zeugin und dem Beschwerdeführer bestehe seit 31. Jänner 2005.

Das Zusammenleben der Zeugin und des Beschwerdeführers sei - so die belangte Behörde - von Nachbarn der Zeugin sowie der Hausbesorgerin bestätigt worden.

Die Hausbesorgerin sowie unmittelbare Wohnungsnachbarn an der Wohnungsadresse der Ehefrau des Beschwerdeführers hätten hingegen ausgesagt, dass diese allein lebe; der Beschwerdeführer sei ihnen gänzlich unbekannt.

Sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Ehefrau hätten das Vorliegen einer Scheinehe bestritten, wobei zwischen den Aussagen erhebliche Widersprüche aufgetreten seien. Erst in der Berufung habe der Beschwerdeführer vorgebracht, die Angaben seiner Ehefrau seien auf Verständigungsschwierigkeiten und Missverständnisse zurückzuführen, weil seine Ehefrau die deutsche Sprache nur mangelhaft spreche.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass insbesondere auf Grund der Aussagen der Zeugin F.D. und der Erhebungen (an den Wohnadressen) davon auszugehen sei, dass die Ehe ausschließlich deshalb geschlossen worden sei, um dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu verschaffen, problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und damit eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu erlangen. Es bestehe kein Anlass, an der Richtigkeit der Zeugenaussage von F.D. zu zweifeln. Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau hätten widersprüchliche Angaben getätigt. Erst als die Widersprüche in hoher Intensität und Dichte zu Tage getreten seien, habe der Beschwerdeführer behauptet, seine Gattin spreche nicht hinreichend Deutsch, obwohl er zuvor noch angegeben habe, sich mit ihr in deutscher Sprache zu verständigen.

Der Missbrauch des Rechtsinstitutes der Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Rechte stelle eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertige. Auf Grund der dargestellten Umstände seien die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG - im Grunde des § 87 iVm § 86 leg. cit. gegeben.

Angesichts aller Umstände sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, zur Verhinderung von Aufenthalts- und Scheinehen - dringend geboten sei. Wer - wie der Beschwerdeführer - zur Erlangung eines Aufenthaltstitels eine Aufenthalts- bzw. Scheinehe mit einem österreichischen Staatsbürger schließe, lasse seine außerordentliche Geringschätzung maßgeblicher, in Österreich gültiger Rechtsvorschriften erkennen. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt Fremder regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Somit bestehe auch ein hohes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Scheinehen. Gegen dieses Interesse habe der Beschwerdeführer jedoch gravierend verstoßen. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei daher dringend geboten und sohin zulässig im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG.

Die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes sei auch im Rahmen der gemäß § 66 Abs. 2 FPG gebotenen Interessenabwägung zu bejahen. Nur auf Grund der durch seine Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin bevorzugten Stellung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz habe der Beschwerdeführer eine unselbständige Beschäftigung eingehen können. Die durch den Aufenthalt im Bundesgebiet erzielte Integration des Beschwerdeführers werde durch die bewirkte Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens auf Grund seines Eingehens einer Scheinehe wesentlich gemindert. Bei einer Abwägung der genannten Interessenlagen ergebe sich, dass die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet keinesfalls schwerer wögen als das öffentliche Interesse an der Erlassung dieser Maßnahme.

Da sonst keine besonderen, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände gegeben gewesen seien, habe die belangte Behörde angesichts des vorliegenden Sachverhaltes von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde bestreitet die Richtigkeit der im angefochtenen Bescheid getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht und wendet sich auch nicht gegen die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde, dass die Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau ausschließlich deshalb geschlossen worden sei, um ihm die Möglichkeit zu verschaffen, problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und damit eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu erlangen.

Der Beschwerdeführer bringt lediglich vor, die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei unzulässig, weil die Ehe bereits am 26. September 2002 geschlossen worden sei. Nach der ständigen Spruchpraxis des "Bundesministeriums für Inneres" in Anwendung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei die Erlassung einer aufenthaltsbeendigenden Maßnahme nicht mehr geboten, wenn das rechtsmissbräuchliche Eingehen der Ehe zumindest fünf Jahre zurückliege.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Auf dem Boden der im angefochtenen Bescheid getroffenen - unbestrittenen - Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen hat, ohne mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt zu haben, und in Anbetracht des hohen Stellenwertes, der der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. November 2009, Zl. 2009/18/0464, mwN), begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass das Fehlverhalten des Beschwerdeführers eine Gefährdung im Sinn des - im Beschwerdefall gemäß § 87 FPG anzuwendenden - § 86 Abs. 1 FPG darstelle, keinen Bedenken. Für diese Beurteilung bedurfte es auch nicht einer vorangegangenen Nichtigerklärung durch ein ordentliches Gericht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. September 2009, Zl. 2009/18/0261, mwN).

Entgegen der Beschwerdeansicht widerspricht die im angefochtenen Bescheid getroffene rechtliche Beurteilung nicht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Nach der zum Fremdengesetz 1997 - FrG ergangenen hg. Judikatur war eine allein aus dem besagten Rechtsmissbrauch durch Eingehen einer Scheinehe resultierende Gefährdung der öffentlichen Ordnung als weggefallen zu betrachten, wenn - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes - die erstmalige Erfüllung des in § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG normierten Tatbestandes bereits mehr als fünf Jahre zurücklag. Diese Rechtsprechung wurde für den Anwendungsbereich des FPG im Hinblick darauf, dass nunmehr § 63 Abs. 1 FPG im Fall des § 60 Abs. 2 Z. 9 leg. cit. ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot zulässt, nicht übernommen, zumal die Annahme, ein weiteres Fehlverhalten im Sinn des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG zu späteren Zeitpunkten wäre unerheblich, in einen Wertungswiderspruch zu § 60 Abs. 2 Z. 6 FPG geraten würde (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa das bereits zitierte Erkenntnis vom 26. November 2009, mwN).

2. Ferner begegnet die im angefochtenen Bescheid gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 FPG getroffene Interessenabwägung auch dann keinem Einwand, wenn man berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer sowohl strafgerichtlich als auch verwaltungsstrafrechtlich unbescholten ist. Auf die diesbezüglich insoweit zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid kann somit verwiesen werden.

3. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

4. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 13. April 2010

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte