VwGH 2008/18/0237

VwGH2008/18/023721.7.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des A U O in W, vertreten durch Mag. Sylvia Weiländer, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Schottenring 23/9, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Oktober 2007, Zl. BMI-1009009/0004-II/3/2007, betreffend Aufhebung eines Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
SMG 1997 §27 Abs1;
SMG 1997 §27 Abs2 Z2;
StGB §15;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
SMG 1997 §27 Abs1;
SMG 1997 §27 Abs2 Z2;
StGB §15;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die - im Devolutionsweg zuständig gewordene - belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Aufhebung des gegen ihn bestehenden, auf die Dauer von zehn Jahren befristeten Rückkehrverbotes gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe am 28. November 2003 einen Asylantrag gestellt; ein diesbezügliches Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof sei noch unerledigt.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21. Mai 2004 sei der Beschwerdeführer wegen § 15 StGB und § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 2 (erster Fall) SMG zu einer siebenmonatigen Freiheitsstrafe, davon sechs Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt worden. Die Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, habe am 26. Juli 2004 gegen den Beschwerdeführer gemäß § 36 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung sei mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 5. Jänner 2005 abgewiesen worden.

Der Beschwerdeführer habe am 7. Oktober 2005 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und am 15. November 2005 gemäß § 44 FrG einen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes gestellt, der mit Bescheid vom 25. November 2005 von der Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, abgewiesen worden sei. Mit dem Devolutionsantrag an die belangte Behörde habe der Beschwerdeführer unter anderem die Geburtsurkunde seiner am 8. Jänner 2007 geborenen Tochter vorgelegt.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, es handle sich um ein anhängiges Verfahren, in dem nachgeprüft werde, ob die materiellen Voraussetzungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes noch vorlägen. Dieses sei gemäß § 125 Abs. 1 FPG nach § 65 Abs. 1 leg.cit. weiterzuführen. Das gegen einen Asylwerber am 1. Jänner 2006 bestehende Aufenthaltsverbot gelte gemäß § 125 Abs. 3 FPG als Rückkehrverbot weiter. Der Beschwerdeführer sei durch seine Heirat mit einer österreichischen Staatsbürgerin als Familienangehöriger einer nicht freizügigkeitsberechtigten Österreicherin anzusehen, weshalb für ihn gemäß § 87 FPG die Bestimmungen nach § 86 FPG gelten würden. Sollten auch im Verfahren zur Aufhebung eines Rückkehrverbotes die Sonderbestimmungen des § 86 FPG für begünstigte Drittstaatsangehörige zur Anwendung kommen, sei zu bemerken, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig sei, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet sei. Das persönliche Verhalten müsse eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei auf den Umstand gestützt worden, dass der Beschwerdeführer mit dem genannten Urteil rechtskräftig verurteilt worden sei. Auf Grund seiner Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung eines Suchtgiftdeliktes fortlaufende Einnahmen zu verschaffen, stelle dieses Verhalten eine tatsächliche und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet berühre ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf die Wahrung eines geordneten Fremdenwesens und der Sicherheit. Die seit der Verurteilung im Jahr 2004 vergangene Zeitspanne sei zu kurz, um aus dem Unterbleiben weiterer Verurteilungen auf eine Läuterung durch die Verhängung und Vollstreckung der Freiheitsstrafe schließen zu können. Es sei somit weiterhin von einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auszugehen. Die Dauer des Rückkehrverbotes entspreche jenem Zeitraum, innerhalb dessen ein allfälliger positiver Gesinnungswandel im Bezug auf die Einstellungen des Beschwerdeführers zu den österreichischen Rechtsvorschriften erwartet werden könne.

Die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung des Rückkehrverbotes zum Schutze des wirtschaftlichen Wohles der Republik Österreich und zur Verhinderung strafbarer Handlungen, sohin zur Erreichung von in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, und die nachteiligen Folgen einer Aufhebung dieses Rückkehrverbots im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit des vom Beschwerdeführer begangenen Suchtgiftdeliktes und der der Suchtgiftkriminalität innewohnenden Wiederholungsgefahr sowie der anhaltende Verstoß gegen das Fremdenrecht wirkten unverhältnismäßig schwerer als die Auswirkungen auf die konkrete Lebenssituation des Beschwerdeführers. Auch die während des geltenden Aufenthaltsverbotes mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossene Ehe und die Geburt eines gemeinsamen Kindes könnten nicht als wesentliche Änderung der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes oder Rückkehrverbotes maßgebenden Umstände zugunsten des Beschwerdeführers gewertet werden, zumal im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden nicht rechtswidrig sei. Somit hätten sich die für die Erlassung des auf zehn Jahre befristeten Aufenthaltsverbotes - nunmehr Rückkehrverbot - maßgebenden Umstände nicht zugunsten des Beschwerdeführers geändert, weshalb eine vorzeitige Aufhebung im Sinn des § 65 Abs. 1 FPG nicht in Betracht käme.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zunächst ist festzuhalten, dass - worauf schon die belangte Behörde zutreffend hingewiesen hat - das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 125 Abs. 3 FPG im Hinblick auf seine Position als Asylwerber seit 1. Jänner 2006 als Rückkehrverbot gilt.

2. Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot oder ein Rückkehrverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Ein darauf abzielender Antrag kann nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben. Bei Fremden, die seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes - wie der Beschwerdeführer - die Stellung eines Familienangehörigen (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) eines Österreichers erlangt haben, ist überdies zu beachten, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthalts- oder Rückkehrverbotes nur im Grunde des § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG zulässig ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2007, Zl. 2006/21/0115, mwN).

Nach der hg. Judikatur kommt es bei dieser Beurteilung darauf an, ob eine Gefährlichkeitsprognose dergestalt (weiterhin) zu treffen ist, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthalts- oder Rückkehrverbotes erforderlich ist, weil auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige oder erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 29. November 2006, Zl. 2006/18/0327, mwN).

Für die Beantwortung der Frage, ob diese Annahme gerechtfertigt ist, ist demnach zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 31. März 2008, Zl. 2007/18/0483, mwN).

Obgleich aus der im angefochtenen Bescheid festgestellten Verurteilung des Beschwerdeführers nach § 15 StGB und § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 2 (erster Fall) SMG zu einer siebenmonatigen Freiheitsstrafe, davon sechs Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, sohin wegen eines mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Vergehens nach dem SMG, also wegen einer in § 56 Abs. 2 Z. 1 FPG genannten Tat und somit die Verwirklichung der in § 56 Abs. 1 FPG genannten Gefährdungsprognose eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit indiziert wäre, kann daraus allein schon mit Blick auf das System der "abgestuften Gefährdungsprognosen" (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2010, Zl. 2007/21/0297, mwN) nicht auf das Vorliegen einer vom Beschwerdeführer weiterhin ausgehenden tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG geschlossen werden. Dazu wären ausführliche Feststellungen zu dem Verhalten des Beschwerdeführers im Hinblick auf den geänderten Sachverhalt unter Berücksichtigung des Gefährdungsmaßstabes des § 86 FPG zu treffen gewesen. Diese fehlen im angefochtenen Bescheid, weshalb dieser wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf Ersatz von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese bereits im Pauschalsatz des § 1 Z. 1 lit. a der genannten Verordnung umfasst ist.

Wien, am 21. Juli 2011

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