VwGH 2008/17/0112

VwGH2008/17/011227.10.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler, Dr. Zens und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Gold, über die Beschwerde der Dipl. Ing. S S in W, vertreten durch Alix Frank Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottengasse 10, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 16. Mai 2008, Zl. RU1-BR-903/001-2008, betreffend Aufschließungsabgabe (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde Tulln in 3430 Tulln, Minoritenplatz 1), zu Recht erkannt:

Normen

BauO NÖ 1996 §11;
BauO NÖ 1996 §38 Abs1 Z1;
VwRallg;
BauO NÖ 1996 §11;
BauO NÖ 1996 §38 Abs1 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Spruchpunkt 1 des Bescheides des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 21. November 2007 wurde ein näher bezeichnetes Grundstück gemäß § 11 Abs. 2 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996, LGBl. Nr. 8200 in der geltenden Fassung (in der Folge: NÖ BauO 1996) zum Bauplatz erklärt. Mit Spruchpunkt 2 dieses Bescheides wurde der Beschwerdeführerin als Grundeigentümerin für den durch Teilung geschaffenen Bauplatz eine Aufschließungsabgabe in der Höhe von EUR 13.594,70 vorgeschrieben.

Begründend führte die Behörde an, dass die Beschwerdeführerin am 12. Oktober 2007 der Baubehörde eine Änderung der Grundstücksgrenzen von näher bezeichneten Grundstücken gemäß § 10 NÖ BauO 1996 entsprechend einem näher bezeichneten Teilungsplan angezeigt habe. Bei diesen Grundstücken habe es sich um keine Bauplätze gehandelt, weshalb die Beschwerdeführerin aufgefordert worden sei, für eines der neu entstandenen Grundstücke um eine Bauplatzerklärung anzusuchen.

Mit Schreiben vom 7. November 2007 sei nunmehr von der Beschwerdeführerin, diese vertreten durch einen staatlich befugten und beeideten Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen, um die Bauplatzerklärung für ein näher bezeichnetes Grundstück angesucht worden. Da die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 NÖ BauO 1996 vorgelegen seien, sei dieses Grundstück zum Bauplatz zu erklären gewesen.

Zu Spruchpunkt 2 führte die Behörde aus, die Gemeinde sei gemäß § 38 Abs. 1 NÖ BauO 1996 verpflichtet, dem Eigentümer eines Grundstückes im Bauland eine Aufschließungsabgabe vorzuschreiben, wenn ein Grundstück zum Bauplatz erklärt werde. Aufgrund des Einheitssatzes von EUR 370,-- und eines Bauklassekoeffizienten von 1,25 ergebe sich bei einer Fläche von 864 m2 die Summe von EUR 13.594,70.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen Spruchpunkt 2 (s. diesbezüglich auch den Beschwerdepunkt im verwaltungsgerichtlichen Vefahren) Berufung und brachte darin vor, eine Aufschließungsabgabe falle nicht mehr an, weil das Grundstück schon vom Vorbesitzer ihres Großvaters eingezäunt worden sei, was als erste Bauführung gelte.

Mit dem Bescheid vom 8. Februar 2008 gab der Stadtrat der mitbeteiligten Stadtgemeinde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Begründend wurde angeführt, die Beschwerdeführerin habe eine Bauplatzerklärung für das näher ausgeführte Grundstück beantragt. Diesem Antrag sei mit Bescheid des Bürgermeisters vom 21. November 2007 (Spruchpunkt 1) entsprochen worden. Der Bürgermeister als Abgabenbehörde erster Instanz prüfe bei Vorschreibung der Aufschließungsabgabe, ob ein Grundstück oder Grundstücksteil mit Bescheid zum Bauplatz erklärt werde. Diese Tatbestandsvoraussetzungen seien gegeben gewesen und würden von der Beschwerdeführerin auch nicht in Zweifel gezogen. Überdies seien beim gegenständlichen Grundstück keine Anliegerleistungen erbracht worden, was auch von der Beschwerdeführerin nicht behauptet worden sei. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes berufe, liege dem ein anderer Abgabentatbestand zu Grunde.

In ihrer dagegen erhobenen Vorstellung brachte die Beschwerdeführerin vor, mit Bescheid vom 26. August 1977 habe der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde die Baubewilligung zur Erneuerung der Einzäunung näher umschriebener Grundstücke (darunter auch des gegenständlichen) gegenüber der angrenzenden Straße erteilt. Gleichzeitig sei auch eine Aufschließungsabgabe zur Vorschreibung gelangt, die im Rechtsweg bekämpft worden sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe 1979 festgehalten, dass es sich bei den im Bescheid genannten Grundstücken bereits um die zweite Bauführung gehandelt habe und somit eine neuerliche Vorschreibung von Aufschließungsabgaben nicht berechtigt gewesen sei.

Mit Bescheid vom 27. September 1982 habe der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde die Baubewilligung zur Errichtung einer neuerlichen Einzäunung der Grundstücke entlang der Straße erteilt. Des Weiteren habe der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde mit Bescheid vom 30. Oktober 1986 die Bewilligung zur Errichtung einer Einzäunung derselben Grundstücke, diesmal jedoch gegenüber einer anderen Gasse erteilt. Anlässlich der vorangegangenen Bauverhandlung vom 30. Oktober 1986 seien die Grundstücke zu Bauplätzen erklärt worden; im (diesbezüglichen) Bewilligungsbescheid aus dem Jahre 1986 sei festgehalten worden, dass das Protokoll über die Bauverhandlung einen wesentlichen Bestandteil des Bewilligungsbescheides bilde.

Es sei richtig, dass die Beschwerdeführerin um eine Bauplatzerklärung angesucht habe, dies jedoch nur aufgrund einer falschen Information. Die näher bezeichneten Grundstücke (darunter auch das gegenständliche) seien bereits seit 1986 als Bauplätze zu werten. Darüber hinaus seien entsprechend der Bauordnung Aufschließungsbeiträge bei der erstmaligen Bauführung vorzuschreiben gewesen. Diesbezüglich sei darauf zu verweisen, dass die Zaunerneuerung bereits als zweite Bauführung zu bewerten sei, weshalb bei allen weiteren Bauführungen die Möglichkeit zur Vorschreibung derartiger Abgaben fehle. Überdies sei es zu keiner Grundteilung im Sinne der Bauordnung gekommen. Für die neuerliche Bauplatzerklärung fehle somit die rechtliche Grundlage, weil die Grundstücke (darunter auch das gegenständliche) bereits 1986 zu Bauplätzen erklärt worden seien.

Mit ihrem Bescheid vom 16. Mai 2008 wies die belangte Behörde die Vorstellung als unbegründet ab. In ihrer Begründung verwies die belangte Behörde darauf, dass § 38 Abs. 1 NÖ BauO 1996 zwei unterschiedliche Abgabenvorschreibungsanlässe kenne: Ziffer 1 enthalte den Abgabentatbestand "Erklärung eines Grundstückes oder Grundstücksteiles zum Bauplatz", Ziffer 2 spreche von der "Erteilung einer Baubewilligung für die erstmalige Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage auf einem Bauplatz nach § 11 Abs. 1 Z. 2 und 3". Im gegenständlichen Fall stütze die Abgabenbehörde die Aufschließungsabgabe darauf, dass das näher bezeichnete Grundstück mit dem Bescheid vom 21. November 2007 aufgrund des Antrages der Beschwerdeführerin zum Bauplatz erklärt worden sei, der Tatbestand der Erteilung einer Baubewilligung für die erstmalige Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage sei von der Abgabenbehörde nicht herangezogen worden. Es sei daher nicht zu beurteilen, ob eine erstmalige Bauführung vorliege oder nicht. Weiters führte die belangte Behörde unter anderem begründend aus, die gegenständlichen Grundstücke seien nicht als "ex-lege-Bauplätze" anzusehen gewesen, sodass eine Bauplatzerklärung für eines dieser Grundstücke gesetzlich notwendig gewesen sei; aufgrund dieser Bauplatzerklärung sei vom Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde richtigerweise eine Aufschließungsabgabe vorzuschreiben gewesen, welche entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen und rechnerisch richtig berechnet worden sei.

Die Beschwerdeführerin bekämpft diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag erstattet, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Die mitbeteiligte Partei hat sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht geäußert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 38 Abs. 1 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 8200-11, ist dem Eigentümer eines Grundstückes im Bauland von der Gemeinde eine Aufschließungsabgabe vorzuschreiben, wenn mit rechtkräftigem Bescheid 1. ein Grundstück oder Grundstücksteil zum Bauplatz (§ 11) erklärt oder 2. eine Baubewilligung für die erstmalige Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage (§ 23 Abs. 3) auf einem Bauplatz nach § 11 Abs. 1 Z. 2 und 3, für den kein der Höhe nach bestimmter Aufschließungsbeitrag oder keine entsprechende Abgabe vorgeschrieben und entrichtet worden ist, erteilt wird.

Nach § 38 Abs. 3 leg. cit. ist die Aufschließungsabgabe eine einmal zu entrichtende, ausschließliche Gemeindeabgabe nach § 6 Abs. 1 Z 5 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948, BGBl. Nr. 45, in der Fassung BGBl. I Nr. 194/1999. Sie wird aus dem Produkt von Berechnungslänge, Bauklassekoeffizient und Einheitssatz errechnet.

Gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 NÖ BauO 1996 ist somit dem Eigentümer eines Grundstückes im Bauland von der Gemeinde eine Aufschließungsabgabe vorzuschreiben, wenn mit rechtskräftigem Bescheid ein Grundstück oder Grundstücksteil zum Bauplatz erklärt wird.

Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist für die Frage der Verpflichtung zur Entrichtung einer Aufschließungsabgabe nach § 38 Abs. 1 NÖ BauO 1996 wegen rechtskräftiger Bauplatzerteilung ohne Bedeutung, ob das Grundstück überhaupt zum Bauplatz zu erklären gewesen wäre. Diese Frage wäre in dem Verfahren zur Bauplatzerklärung zu klären gewesen, nicht jedoch nach Eintritt der Rechtskraft des Bauplatzerklärungsbescheides in dem Verfahren betreffend die Vorschreibung der Aufschließungsabgabe nach § 38 Abs. 1 Z 1 NÖ BauO 1996 (vgl. nur das hg. Erkenntnis vom 8. November 2005, 2002/17/0334 mit weiteren Nachweisen).

Die Vorschreibung einer Abgabe gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 NÖ BauO 1996 aufgrund der Bauplatzerklärung vom 21. November 2007 konnte somit grundsätzlich unabhängig davon erfolgen, dass dieses Grundstück zuvor bereits ein Bauplatz war. Es erübrigt sich daher, auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen insoweit näher einzugehen.

Die Frage, ob die Beurteilung der belangten Behörde hinsichtlich der Bauplatzeigenschaft des Grundstücks zutreffend war, könnte jedoch im Hinblick auf die im Folgenden zu behandelnde Frage der Berücksichtigung allfälliger verjährter Abgabenansprüche bei der Prüfung, ob nach dem Grundsatz der Einmaligkeit der Abgabenentrichtung gemäß § 38 Abs. 3 NÖ BauO 1996 noch eine Abgabenvorschreibung erfolgen kann, maßgeblich sein.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem bereits erwähnten Erkenntnis vom 8. November 2005, Zl. 2002/17/0334, mit ausführlicher Begründung, auf die hier gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden kann, dargelegt hat, bewirkt die nach der dort näher dargestellten Auffassung des Verfassungsgerichtshofes erforderliche Berücksichtung einer allenfalls eingetretenen Verjährung, dass auf diese jedenfalls Bedacht zu nehmen ist, gleichgültig ob die Abgabenpflicht seinerzeit aufgrund der Verwirklichung des selben Sachverhaltes, der aktuell die Abgabepflicht auslöste (im Beschwerdefall: die Bauplatzerklärung) oder aufgrund eines anderen Sachverhaltes eingetreten ist. Es ist somit nicht ausschlaggebend, ob das in Rede stehende Grundstück schon früher einen Bauplatz darstellte. Auch wenn die Überlegungen der belangten Behörde zur Frage, ob das in Rede stehende Grundstück schon vor der gegenständlichen Erklärung zum Bauplatz einen Bauplatz dargestellt hat oder nicht (die belangte Behörde verneinte die Bauplatzeigenschaft), zutreffend sein sollten, folgte daraus jedoch noch nicht, dass keine im Beschwerdefall zu berücksichtigende Verjährung vorliegen könne.

Die Prüfung, ob allenfalls eine Verjährung eines früher entstandenen Abgabenanspruches hinsichtlich Aufschließungsleistungen eingetreten ist, die im Rahmen der Prüfung nach § 38 Abs. 3 NÖ BauO 1996 zu berücksichtigen wäre, hat sich - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - nicht auf den Tatbestand "Bauplatzerklärung" zu beschränken; eine allfällige Verjährung des Abgabenanspruches wäre bei der Abgabenvorschreibung ganz generell zu berücksichtigen gewesen (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 8. November 2005, Zl. 2002/17/0334).

Die Abgabenbehörden hätten daher entsprechende Feststellungen auch hinsichtlich des Tatbestandes der "erstmaligen Errichtung eines Gebäudes" zu treffen gehabt, die die Beurteilung ermöglichen, ob eine Verjährung eingetreten ist, und ihren Bescheid auch insoweit begründen müssen.

Die belangte Behörde hätte die von den Gemeindebehörden vorgenommene Abgabenvorschreibung nicht ohne Durchführung ergänzender eigener Erhebungen und entsprechender Feststellungen zur Frage der Verjährung bestätigen dürfen, zumal sich aus dem Vorbringen Hinweise ergaben, dass der Abgabentatbestand - bezogen auf die damalige Rechtslage - verwirklicht worden sein könnte. Sollte die belangte Behörde jedoch aus rechtlichen Überlegungen zu der Ansicht gekommen sein, dass aufgrund des vorgetragenen Sachverhaltes eine Verjährung auszuschließen wäre, hätte sie dies im angefochtenen Bescheid in einer Weise darlegen müssen, die eine Überprüfung dieser Rechtsansicht durch den Verwaltungsgerichtshof ermöglicht hätte.

Die Gemeindebehörden haben jedenfalls keine Feststellungen zu einer allfälligen früheren Verwirklichung des Abgabentatbestandes nach den §§ 14 und 15 NÖ BauO 1976 getroffen.

Der insofern auf Gemeindeebene unterlaufene Verfahrensmangel war auch wesentlich, weil nach dem Parteienvorbringen eben nicht auszuschließen ist, dass bereits nach der Bauordnung für Niederösterreich 1883 oder nach § 14 NÖ BauO 1976 ein Abgabenanspruch entstanden war, der aber verjährte.

Dadurch, dass die belangte Behörde den auf Ebene der Gemeindebehörden unterlaufenen Verfahrensmangel nicht wahrgenommen hat, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 27. Oktober 2008

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte