VwGH 2008/15/0023

VwGH2008/15/002327.8.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde der A. Bankaktiengesellschaft in L, vertreten durch die Exinger GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 1010 Wien, Renngasse 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom 28. November 2003, GZ. RV/1455-L/02, betreffend Kapitalertragsteuer für die Jahre 1998, 1999 und 2000 sowie die Monate Jänner und Februar 2001,

Normen

EStG §95 Abs2;
EStG §95 Abs3 Z2;
EStG §95 Abs4 Z3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs1;
VwRallg;
EStG §95 Abs2;
EStG §95 Abs3 Z2;
EStG §95 Abs4 Z3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Die Beschwerde wird, soweit sie die Kapitalertragsteuer für das Jahr 1999 betrifft, zurückgewiesen; und

2. zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird, soweit sie die Kapitalertragsteuer für die Jahre 1998 und 2000 sowie die Monate Jänner und Februar 2001 betrifft, als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführende Bank (Beschwerdeführerin) war im Streitzeitraum kuponauszahlende Stelle (§ 95 Abs. 3 Z. 2 EStG 1988) für so genannte Nullkuponanleihen (Zero-Bonds).

Anlässlich einer die Jahre 1998 bis 2000 sowie die Monate Jänner und Februar 2001 umfassenden abgabenbehördlichen Prüfung stellte die Prüferin fest, dass die Beschwerdeführerin zur Berechnung der auf die Stückzinsen entfallenden Kapitalertragsteuer (im Folgenden: KESt) zu Unrecht die so genannte Linearmethode ohne Zinseszinseffekt an Stelle der bei hochverzinsten und langfristigen Anleihen gebotenen finanzmathematischen Berechnung angewendet habe, weshalb die von der Beschwerdeführerin für den Streitzeitraum ermittelten "Kapitalertragsteuergutschriften bzw. Kapitalertragsteuerzahlungen" wie folgt zu berichtigen seien:

Zeitraum

KESt- Differenz

01-12/1998

227.088,00

01-12/1999

-277.307,00

01-12/2000

8.576.622,00

01-02/2001

179.413,00

Das Finanzamt folgte den Feststellungen der Prüferin und erließ am 21. September 2001 Bescheide, mit welchen die Beschwerdeführerin zur Haftung für die sich in den Jahren 1998, 1999 und 2000 sowie in den Monaten Jänner und Februar 2001 ergebenden Kapitalertragsteuerdifferenzen herangezogen wurde. Das Ergebnis des "Haftungsbescheides" für den Zeitraum des Jahres 1999 bestand in einer mit dem oben angeführten Betrag bezifferten Gutschrift.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin zum einen vor, dass dem Gesetz - verstanden in seinem historischen, systematischen und teleologischen Kontext - nur die von ihr angewandte lineare Abgrenzung der Kapitalerträge entnommen werden könne. Zum anderen liege ein Verstoß gegen Treu und Glauben vor, weil die Beschwerdeführerin davon habe ausgehen können, dass das Finanzamt der vom Finanzministerium in den Kapitalertragsteuerrichtlinien (im Folgenden KESt-Richtlinien) vertretenen Auffassung auf Grund des bestehenden Weisungszusammenhangs folgen werde, und bei Betriebsprüfungen die jahrelang verfolgte Praxis der linearen Abgrenzung niemals beanstandet worden sei. Zudem stehe auch die Bestimmung des § 307 BAO der Haftungsinanspruchnahme entgegen und habe die Abgabenbehörde das ihr eingeräumte Ermessen missbräuchlich geübt. Die von der Beschwerdeführerin vertretene Rechtsauffassung bewege sich jedenfalls im "Auslegungsspielraum" der gesetzlichen Bestimmungen. Die Abgabenbehörde habe bei der Ermessensübung zur Kenntnis zu nehmen, dass jede im Rahmen des Interpretationsspielraumes befindliche Auslegung hinzunehmen sei. Eine Unbestimmtheit des Gesetzes dürfe nicht zu Lasten des Haftungspflichtigen gehen. Überdies sei die Bank in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation auch "bestimmten Erwartungen des Steuerpflichtigen" ausgesetzt. Von einer Bank, die für den Fiskus die Steuer einhebe, könne nicht erwartet werden, dass sie eine Rechtsauffassung ablehne und deren Handhabung verweigere, die in Richtlinien als gesetzeskonform angesehen werde. Banken würden sich am Markt bewegen und seien damit der Gefahr ausgesetzt, Kunden zu verlieren, wenn sie sich "päpstlicher als der Papst" gerierten.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab.

Nullkuponanleihen (Zero-Bonds) stellten eine Anleiheform dar, welche eine Nominalverzinsung von Null aufwiesen. Anstatt der jährlichen Zinszahlungen falle der gesamte aus Kapitaltilgung und Zinserträgen bestehende Zahlungsstrom am Ende der Laufzeit an. Die gesamte Verzinsung komme "in der begebenen Anleihe in einem hohen Disagio zum Ausdruck", wobei das Nominale mit einem laufzeitadäquaten Kapitalmarktzins abgezinst werde.

Werde eine Nullkuponanleihe vor dem Ende der Laufzeit veräußert, so würden im Kaufpreis auch anteilige Kapitalerträge abgegolten. Für die anlässlich der Veräußerung des Wertpapiers vergüteten Stückzinsen werde durch § 93 Abs. 3 EStG 1988 iVm § 95 Abs. 3 Z 2 EStG 1988 und iVm § 95 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 eine Kapitalertragsteuerpflicht normiert. Die Finanzverwaltung vertrete die Auffassung, dass dem Verkäufer im Veräußerungszeitpunkt die auf den Zeitraum des Anleihebesitzes entfallenden "kalkulatorischen Zinsen" zufließen würden und der KESt unterlägen. Beim Erwerber der Nullkuponanleihen stellten die anteiligen Kapitalerträge (Stückzinsen) hingegen vorweg rückgängig gemachte Kapitalerträge dar, was sich daraus ergebe, dass der zur Kuponfälligkeit erhaltene volle Kapitalertrag durch die Bezahlung der Stückzinsen vorbelastet sei. Daher erhalte der Erwerber bereits beim Kauf der Anleihe eine auf die Stückzinsen entfallende Kapitalertragsteuergutschrift (im Folgenden: KESt-Gutschrift). Durch diese Gutschrift werde erreicht, dass die Steuerbelastung nur den Kapitalerträgen jenes Zeitraumes entspreche, in dem der Steuerpflichtige die Nullkuponanleihe auch tatsächlich gehalten habe.

In den KESt-Richtlinien 1993 habe das BMF im Hinblick auf die Abgrenzung der Zinsen für Zeiträume vor und nach dem 1. Jänner 1993 einfachheitshalber die Berechnung des monatlichen Kapitalertrags in Form einer linearen Verteilung des Unterschiedsbetrages zwischen dem Ausgabewert und dem Einlösungswert auf die gesamte Laufzeit gestattet. Allgemeine Aussagen und Erläuterungen des Begriffes und eine daraus abgeleitete Methode zur Ermittlung der anteiligen "kalkulatorischen" Zinsen anlässlich der vorzeitigen Veräußerung von Nullkuponanleihen seien erstmals in den Einkommensteuerrichtlinien (im Folgenden: ESt-Richtlinien) 2000, Rz 6186, enthalten. Laut diesen würden die anteiligen kalkulatorischen Zinsen im Veräußerungszeitpunkt der Differenz zwischen dem Ausgabewert und dem "inneren Wert" der Anleihe entsprechen, der sich durch Aufzinsung des Ausgabepreises mit dem Renditezinssatz und jährlicher Kapitalisierung ergebe.

"Mit Erlass des BMF AÖF Nr. 145/2001 wurde die Rz 6186 der ESt-Richtlinien 2000 dahingehend ergänzt bzw. abgeändert, als keine Bedenken bestehen, wenn anlässlich von steuerpflichtigen Vorgängen, die vor dem 1. Feber 2001 gelegen sind, der innere Wert nach der linearen Berechnungsmethode anhand der Formel 'Einlösungswert abzüglich Ausgabewert dividiert durch die Anzahl der vollen Monate zwischen Ausgabe und Einlösung = monatlicher Kapitalertrag' pauschal ermittelt wird. Diese Art der Schätzung sei aber nur zulässig, wenn keine wesentliche Abweichung zur Kapitalisierungsformel bestehe und somit das Schätzungsergebnis dem tatsächlichen Ergebnis nahe kommt."

Bemessungsgrundlage für den Kapitalertragsteuerabzug seien die erzielten Kapitalerträge. Dabei sei allgemein bekannt und dem Bankgeschäft geradezu immanent, dass für die Berechnung von Zinsen finanzmathematische Methoden verwendet werden. Diese Methoden seien zweifellos geeignet, die im Kaufpreis einer Nullkuponanleihe enthaltene Zinskomponente zu ermitteln. Werde eine vereinfachte Schätzungsmethode (gegenständlich die lineare Verteilung des Unterschiedsbetrages) bei der Zinsberechnung angewendet, könnten daraus resultierende Ungenauigkeiten nur innerhalb eines gewissen Toleranzbereiches in Kauf genommen werden. Dieser Toleranzbereich sei in der streitgegenständlichen Konstellation (lange Laufzeiten in Verbindung mit hohen Zinssätzen und Erwerbszeitpunkten knapp nach Laufzeitbeginn) bei weitem überschritten, da die nach der Linearmethode ermittelten KESt-Gutschriften bis zu achtzehnmal höher seien als jene, die sich bei Zugrundelegung der finanzmathematischen Methoden ergäben. Bei einzelnen Erwerbsvorgängen seien die nach der Linearmethode ermittelte KESt-Gutschriften sogar höher als der Kaufpreis. In diesen Fällen sei für die Anschaffung der Wertpapiere nicht nur nichts zu bezahlen gewesen, sondern habe der Erwerber sogar noch eine KESt-Gutschrift erhalten. Es widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, dass beim Kauf eines marktgängigen Wertpapiers nicht nur kein Kaufpreis zu bezahlen sei, sondern der Käufer zusätzlich zum erworbenen Wertpapier etwas vergütet erhalte. Bei einer derartigen Konstellation könne nicht davon ausgegangen werden, dass die von den wirtschaftlichen Verhältnissen völlig abweichende lineare Methode gesetzeskonform sei.

Dem von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwand, die Geltendmachung der Haftung verstoße im Hinblick auf die Ausführungen in den KESt-Richtlinien 1993 gegen das Prinzip von Treu und Glauben, sei entgegen zu halten, dass die Formulierung in den KESt-Richtlinien, wonach "keine Bedenken" gegen eine lineare Abgrenzung bestünden, kein Anhalten und keine Aufforderung zu einer bestimmten Vorgangsweise impliziere und offenkundig administrative Erleichterungen in der Übergangsphase bezweckt habe. Aus der von der Richtlinie verwendeten Formulierung sei vielmehr abzuleiten, dass die lineare Methode nur dann keine Bedenken auslöse, wenn sich bei ihrer Anwendung eine sachgerechte Schätzung der Gutschriftszinsen ergebe. Wenn die lineare Verteilungsmethode - wie im gegenständlichen Fall - zu einem wirtschaftlich völlig realitätsfremden Ergebnis führe und der Erwerbsvorgang selbst einem fachlich nicht versierten Anleihe-Käufer unplausibel erscheinen müsse, könne sich erst recht eine Bank mit einschlägigen Kenntnissen und Erfahrungen im Bank- und Wertpapiergeschäft nicht auf die Bindungswirkung von Richtlinienaussagen stützen, um eine Rückforderung von offensichtlich nicht gerechtfertigten KESt-Gutschriften zu vermeiden.

In Anbetracht dieser Umstände verletze das Vorgehen des Finanzamtes, in den berufungsgegenständlichen Fällen anstatt der linearen Berechnung von Stückzinsen eine finanzmathematische Berechnung vorzunehmen, den Grundsatz von Treu und Glauben nicht.

Die Bestimmung des § 307 Abs. 2 BAO sei mit BGBl. I Nr. 97/2002 aufgehoben worden. Auch § 117 BAO könne im Beschwerdefall - wie im angefochtenen Bescheid näher ausgeführt - der Beschwerdeführerin nicht zum Erfolg verhelfen.

Was die Frage der Ermessensübung anlange, sei der Beschwerdeführerin entgegenzuhalten, dass der Abzugsverpflichtete gemäß § 95 Abs. 2 EStG 1988 "zwingend und jedenfalls" für die KESt hafte, wenn die unmittelbare Inanspruchnahme des Steuerschuldners nicht möglich sei. Doch selbst bei Vorliegen eines Ermessensspielraumes würde die Heranziehung der Beschwerdeführerin zur Haftung nicht unbillig erscheinen, weil sie zur richtigen Ermittlung der KESt verpflichtet gewesen sei und ihr die Unverhältnismäßigkeit der KESt-Gutschriften hätte auffallen müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich u.a. dadurch in ihren Rechten verletzt, dass sie zur Haftung herangezogen wurde, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht gegeben waren.

Dadurch, dass die KESt 1999 mit einem Betrag festgesetzt wurde, der unter dem von der Beschwerdeführerin ermittelten liegt, kam es in diesem Jahr zu einer Gutschrift, nicht jedoch zu Nachforderungsbeträgen, für welche die Beschwerdeführerin hätte haften können.

Betreffend die KESt für das Jahr 1999 konnte die Beschwerdeführerin im geltend gemachten subjektiven Recht demnach nicht verletzt werden, weshalb die Beschwerde insoweit gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen war, was der Gerichtshof in einem nach § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat beschlossen hat.

In Bezug auf die KESt für die Jahre 1998 und 2000 sowie die Monate Jänner und Februar 2001 gleicht der Beschwerdefall sowohl hinsichtlich des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes als auch hinsichtlich der in der Beschwerde relevierten strittigen Fragen dem mit dem hg Erkenntnis vom heutigen Tage, 2006/15/0057 (früher 2005/14/0042), entschiedenen Beschwerdefall. Es wird daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

Die Beschwerde erweist sich somit, soweit sie die KESt für die Jahre 1998 und 2000 sowie die Monate Jänner und Februar 2001 betrifft, als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG Abstand genommen werden, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Die Durchführung der mündlichen Verhandlung war auch nicht unter dem Aspekt des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, erforderlich, weil die vorliegende Abgabensache nicht "civil rights" betrifft.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 27. August 2008

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