VwGH 2008/10/0026

VwGH2008/10/002621.10.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Schick und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über die Beschwerde der Mag. pharm. UL in R, vertreten durch Sauerzopf & Partner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Börsegasse 9/3, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Gesundheit, Familie und Jugend vom 28. Dezember 2007, Zl. BMGFJ-262405/0001-I/B/8/2007, betreffend Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke (mitbeteiligte Parteien: 1. Mag. pharm. TJ und

2. Mag. pharm. R. M KG, beide in E, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Völkl, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Nußdorfer Straße 10- 12 3. K in E, vertreten durch Dr. Christian Kuhn, Dr. Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Elisabethstraße 22, sowie

4. Mag. pharm. T KG in S), zu Recht erkannt:

Normen

12010E049 AEUV Art49;
62007CJ0171 Apothekerkammer des Saarlandes VORAB;
62007CJ0570 Blanco Perez und Chao Gomez VORAB;
ApG 1907 §10 Abs1;
ApG 1907 §10 Abs2 Z2;
ApG 1907 §10 Abs2 Z3;
ApG 1907 §10 Abs4;
ApG 1907 §10 Abs5;
12010E049 AEUV Art49;
62007CJ0171 Apothekerkammer des Saarlandes VORAB;
62007CJ0570 Blanco Perez und Chao Gomez VORAB;
ApG 1907 §10 Abs1;
ApG 1907 §10 Abs2 Z2;
ApG 1907 §10 Abs2 Z3;
ApG 1907 §10 Abs4;
ApG 1907 §10 Abs5;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 und der erst-, zweit- und drittmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenbegehren der viertmitbeteiligten Partei wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Bundesministerin für Gesundheit, Familie und Jugend vom 28. Dezember 2007 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke in X mit einem näher beschriebenen Standort und der voraussichtlichen Betriebsstätte W, abgewiesen. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens bestehe kein Bedarf iSd Apothekengesetzes an der beantragten neuen Apotheke. Nach dem Gutachten der Österreichischen Apothekerkammer werde sich nämlich die Zahl der von den Betriebsstätten der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen infolge der Neuerrichtung verringern und (jeweils) weniger als

5.500 betragen. Die in X bestehenden öffentlichen Apotheken, die Apotheke "Z" der Barmherzigen Brüder, die M-Apotheke und die S-Apotheke hätten ihre Betriebsstätten in so geringer Entfernung zueinander (jeweils weniger als 500 m), dass die Zuordnung des jeweiligen Versorgungspotenzials bei lebensnaher Betrachtung nicht möglich sei. Derart geringe Entfernungsunterschiede, wie sie im vorliegenden Fall bestünden, würden im Regelfall die Entscheidung der Personen, die eine oder die andere Apotheke aufzusuchen, nicht beeinflussen. Das Versorgungspotenzial der drei genannten Apotheken sei daher gemeinsam zu überprüfen gewesen: Für den Fall der Neuerrichtung der beantragten öffentlichen Apotheken würden den drei in X bestehenden Apotheken 11.763 ständige Einwohner des "violetten Polygons" verbleiben, weiters 1.114 ständige Einwohner des "gelben Polygons", für die die erwähnten Apotheken - obwohl außerhalb des 4-km-Polygons - die nächstgelegenen öffentlichen Apotheken seien. Zu berücksichtigen seien weiters 30 ständige Einwohner des "rosa Polygons", die den bestehenden Apotheken auf Grund einer näher beschriebenen Untersuchung trotz bestehen bleibender ärztlicher Hausapotheken zu 22 %, somit als 7 Personen zuzurechnen seien. Zu berücksichtigen seien schließlich die

1.225 Zweitwohnungsbesitzer im Versorgungsgebiet (violettes und gelbes Polygon), die auf Grund der Ergebnisse einer näher dargestellten Untersuchung als 160 Einwohnergleichwerte zu rechnen seien. Den in X bestehenden öffentlichen Apotheken würden daher im Falle der Neuerrichtung der beantragten öffentlichen Apotheke

11.763 ständige Einwohner aus dem 4-km-Polygon und 1.281 zusätzlich zu versorgende Personen gemäß § 10 Abs. 5 Apothekengesetz (ApG), somit weniger als 16.500 Personen zur Versorgung verbleiben. An diesem viel zu niedrigen verbleibenden Versorgungspotenzial könne auch eine Berücksichtigung von Nicht-Tagespendlern nichts ändern.

Zutreffend sei zwar, dass Fachärzte in Bezirksstädten mit Zentrumsfunktion als Einflutungserreger in Betracht kämen. Allerdings hätten die bisher vorgenommenen Untersuchungen über den auf Grund von Facharztbesuchen hervorgerufenen Bedarf nach Apothekenleistungen durch die an Ort und Stelle bestehenden Apotheken keine Ergebnisse erbracht, die einer quantifizierenden Berücksichtigung von Facharztordinationen eine taugliche Grundlage geboten hätten. Mangels Quantifizierbarkeit sei eine prognostische Zuordnung der Facharztpatienten als Kunden der an Ort und Stelle bestehenden Apotheken fachlich nicht möglich. Weiters seien im vorliegenden Fall Fremdennächtigungen nicht als bedarfsbegründend gewertet worden, weil X kein Fremdenverkehrszentrum sei; jedenfalls wiesen die Fremdennächtigungen in X kein solches Ausmaß auf, dass es im vorliegenden Fall zu einem im Ergebnis anderen Bescheid führen hätte können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligten Parteien eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 10 Apothekengesetz idF BGBl. Nr. 41/2006 lautet auszugsweise wie folgt:

"Sachliche Voraussetzungen der Konzessionserteilung

§ 10. (1) Die Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke ist zu erteilen, wenn

1. in der Gemeinde des Standortes der öffentlichen Apotheke ein Arzt seinen ständigen Berufssitz hat und

2. ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke besteht.

(2) Ein Bedarf besteht nicht, wenn

...

2. die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheke weniger als 500 m beträgt oder

3. die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen sich infolge der Neuerrichtung verringert und weniger als 5 500 betragen wird.

...

(4) Zu versorgende Personen gemäß Abs. 2 Z. 3 sind die ständigen Einwohner aus einem Umkreis von vier Straßenkilometern von der Betriebsstätte der bestehenden öffentlichen Apotheke, die auf Grund der örtlichen Verhältnisse aus dieser bestehenden öffentlichen Apotheke weiterhin zu versorgen sein werden.

(5) Beträgt die Zahl der ständigen Einwohner im Sinne des Abs. 4 weniger als 5.500, so sind die auf Grund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs in diesem Gebiet zu versorgenden Personen bei der Bedarfsfeststellung zu berücksichtigten.

...

(7) Zur Frage des Bedarfes an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke ist ein Gutachten der österreichischen Apothekerkammer einzuholen."

Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zu Grunde, den drei in X bestehenden öffentlichen Apotheken verbliebe im Falle der Errichtung der beantragten neuen Apotheke ein (im vorliegenden Fall maßgebliches) Gesamtpotenzial von lediglich 13.044 zu versorgenden Personen. Die negative Bedarfsvoraussetzung des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG sei daher erfüllt; es bestehe kein Bedarf an der von der beschwerdeführenden Partei beantragten Apotheke.

Die beschwerdeführende Partei wendet zunächst ein, die Bedarfsprüfung des § 10 ApG, die die Errichtung einer neuen öffentlichen Apotheke von einer Mindesteinwohnerzahl und von einer Mindestentfernung zu den Betriebsstätten anderer Apotheken abhängig mache, stehe im Widerspruch zu der unionsrechtlich gewährleisteten Niederlassungsfreiheit. Die durch das Unionsrecht verdrängte Bedarfsregelung des ApG hätte daher unangewendet gelassen und der Beschwerdeführerin die beantragte Konzession ohne Bedachtnahme auf das den bestehenden öffentlichen Apotheken verbleibende Versorgungspotenzial erteilt werden müssen. In diesem Zusammenhang werde die Einholung einer Vorabentscheidung angeregt.

Wie der EuGH bereits wiederholt ausgesprochen hat (vgl. die Urteile vom 1. Juni 2010, Perez u.a., C-570/07 , 571/07, und vom 19. Mai 2009, Apothekerkammer des Saarlandes u.a., C-171/07 , 172/07), steht Art. 49 AEUV einer nationalen Regelung nicht entgegen, die die Erteilung von Niederlassungserlaubnissen für neue öffentliche Apotheken nach Maßgabe eines Konzessionssystems begrenzt, das auf eine bestimmte Mindesteinwohnerzahl des zu versorgenden Gebietes abstellt, sowie auf eine Mindestentfernung der Betriebsstätte der beantragten Apotheke zu den bestehenden öffentlichen Apotheken. Eine solche Regelung sei nämlich grundsätzlich geeignet, das - Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigende - Ziel zu erreichen, eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu gewährleisten, vorausgesetzt, dieses Ziel werde kohärent und systematisch verfolgt.

Diese Erwägungen lassen sich auf die im vorliegenden Fall maßgeblichen Regelungen des § 10 Abs. 2 Z. 2 und 3 ApG, die gleichfalls zur Gewährleistung einer bestmöglichen Heilmittelversorgung der Bevölkerung (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. März 1998, VfSlg. 15.103/1998) die Errichtung neuer Apotheken von einer Mindesteinwohnerzahl im zu versorgenden Gebiet und von einer Mindestentfernung zu den Betriebsstätten der umliegenden Apotheken abhängig machen, übertragen. Es ist daher - auch auf dem Boden des Beschwerdevorbringens - kein Grund ersichtlich, warum Art. 49 AEUV der Regelung des § 10 Abs. 2 Z. 2 und 3 ApG entgegenstehen sollte.

Die Beschwerdeführerin bringt weiters vor, die belangte Behörde hätte den durch Tagespendler verursachten Bedarf nach Apothekenleistungen durch die bestehenden öffentlichen Apotheken berücksichtigen müssen, ebenso den durch Gäste im Rahmen des Fremdenverkehrs. Überdies wäre zu berücksichtigen gewesen, dass X Landeshauptstadt und Sitz zahlreicher Behörden und Institutionen sei. In X seien 52 Fachärzte und 13 Ärzte für Allgemeinmedizin niedergelassen. Dies lasse auf ein erhebliches Versorgungspotenzial schließen.

Nun trifft es zu, dass Pendler nach Maßgabe der in § 10 Abs. 5 ApG angeführten Tatbestände ("Beschäftigung", "Einrichtungen", "Verkehr") bei Beurteilung des Versorgungspotenzials bestehender Apotheken zu berücksichtigen sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 2008, Zl. 2007/10/0029). Allerdings hat die Beschwerde den Annahmen der belangten Behörde, Tagespendler seien nicht zu berücksichtigen, weil sie ihren Arzneimittelbedarf im Allgemeinen am Wohnsitz bzw. in möglichster Nähe ihres Wohnsitzes deckten und selbst eine Berücksichtigung des durch Nicht-Tagespendler verursachten Bedarfes nichts "am viel zu geringen Versorgungsergebnis" ändere, keinerlei konkretes Vorbringen entgegengehalten, das diese Annahmen als unzutreffend erscheinen ließe. Gleiches gilt für die Rüge, die Fremdennächtigungen hätten nicht unberücksichtigt gelassen werden dürfen.

Was aber die Berücksichtigung von Facharztordinationen als Einflutungserreger angeht, hat die belangte Behörde gestützt auf Untersuchungen der Österreichischen Apothekerkammer darauf hingewiesen, dass es mit empirischen Methoden bisher nicht gelungen sei, Maßstäbe zur Quantifizierung eines aus Facharztbesuchen durch Patienten außerhalb des 4-Straßenkilometer-Polygons resultierenden Bedarfs im Hinblick auf ein konkretes, einer ziffernmäßig bestimmten Anzahl zu versorgender Einwohner entsprechendes Kundenpotenzial zu gewinnen. Mangels Quantifizierbarkeit hätten daher iSd hg. Erkenntnisses vom 15. Februar 1999, Zl. 98/10/0073, Facharztbesuche im vorliegenden Fall nicht als bedarfsbegründend prognostiziert werden können.

Auch in diesem Punkt hat die Beschwerdeführerin weder ein konkretes, noch ein fachlich untermauertes Vorbringen erstattet, demzufolge die Auffassung der belangten Behörde als unzutreffend erkannt werden könnte.

Soweit die Beschwerdeführerin aber Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bedarfsregelung des § 10 ApG äußert, ist sie auf das bereits zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. März 1998, VfSlg. 15.103/1998, zu verweisen.

Die sich somit als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, insbesondere deren § 3 Abs. 2; die Abweisung des Kostenbegehrens der viertmitbeteiligten Partei stützt sich insbesondere auf § 48 Abs. 3 Z. 2 VwGG.

Wien, am 21. Oktober 2010

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