VwGH 2008/02/0088

VwGH2008/02/008829.6.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des P S in W, vertreten durch NH Niederhuber Hager Rechtsanwälte GmbH, in 1010 Wien, Wollzeile 24, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 14. Februar 2008, Zl. UVS-03/M/37/3566/2007-15, betreffend Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:

Normen

VStG §41 Abs1;
VStG §41 Abs2;
VStG §41 Abs3;
VStG §51f Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ZustG §21;
ZustG §22;
VStG §41 Abs1;
VStG §41 Abs2;
VStG §41 Abs3;
VStG §51f Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ZustG §21;
ZustG §22;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien, MA 67, vom 19. März 2007 für schuldig befunden, er habe als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmen Kraftfahrzeuges am 23. Mai 2006 um 07.38 Uhr an einem näher bezeichneten Ort das Fahrzeug auf einem Fahrstreifen für Omnibusse während der Betriebszeiten des Kraftfahrliniendienstes zum Halten abgestellt, ohne im Fahrzeug zu verbleiben, wodurch ein Fahrzeug des Kraftfahrliniendienstes am Befahren des Fahrstreifens gehindert worden sei. Er habe dadurch § 99 Abs. 3 lit. a iVm § 26a Abs. 3 StVO 1960 verletzt; über ihn wurde eine Geldstrafe von EUR 84,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 29 Stunden) verhängt.

Auf Grund der vom Beschwerdeführer gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung beraumte die belangte Behörde zunächst für den 13. September 2007 eine Berufungsverhandlung an. Der Ladungsbescheid zur mündlichen Verhandlung enthielt u.a. den Hinweis, dass das Nichterscheinen einer Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses hindere, und wurde dem Beschwerdeführer am 7. August 2007 zu eigenen Handen zugestellt.

Mit Schreiben vom 10. August 2007 ersuchte der Beschwerdeführer um eine Vertagung der mündlichen Verhandlung auf einen nach dem 15. November 2007 gelegenen Termin, weil er sich (zwecks Vorbereitung auf die Rechtsanwaltsprüfung) vom 15. August bis 15. November 2007 auf Urlaub befinde, den er teilweise im Ausland verbringen werde.

Am 20. August 2007 verlegte die Verhandlungsleiterin sodann den Verhandlungstermin telefonisch auf den 22. November 2007, 09.00 Uhr, und hielt in einem Aktenvermerk fest, dass der Beschwerdeführer ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass "alle anderen Parameter der ursprünglichen Landung aufrecht" blieben und er diesen Termin unter Ladungsverzicht zur Kenntnis genommen habe.

In dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 22. November 2007 wurde der Beschwerdeführer als "unentschuldigt nicht erschienen" geführt, eine weitere Verhandlung wurde nicht anberaumt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14. Februar 2008 wurde die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, dass er bei der Verhandlungsleiterin der belangten Behörde um eine Vertagung der für den 13. September 2007 anberaumten mündlichen Verhandlung ersucht habe, weil er sich zu dieser Zeit auf seine Rechtsanwaltsprüfung vorbereitet habe. Telefonisch sei als Verhandlungstermin der 29. November 2007 vereinbart worden, weil seiner Ansicht nach zu diesem Zeitpunkt die mündliche Anwaltsprüfung jedenfalls vorbei gewesen wäre. Er habe sich den 29. November 2007 als Verhandlungstermin notiert und im Rahmen des Telefongesprächs auf eine neuerliche Ladung verzichtet. Offensichtlich irrtümlich habe die belangte Behörde eine öffentliche mündliche Verhandlung auf den 22. November 2007 (also exakt eine Woche vor dem vereinbarten Termin) angesetzt und den Beschwerdeführer darüber nicht in Kenntnis gesetzt. Wie auch durch einen Aktenvermerk dokumentiert, sei der Beschwerdeführer am 29. November 2007 zur vereinbarten Uhrzeit bei dem vereinbarten Verhandlungssaal erschienen. Nachdem dort die Rechtssache nicht aufgerufen worden sei, habe sich der Beschwerdeführer in der Geschäftsabteilung erkundigt, wo ihm mitgeteilt worden sei, dass die Verhandlung bereits am 22. November 2007 stattgefunden habe.

Die Durchführung einer Verhandlung sei nach § 51f Abs. 2 VStG zwar auch zulässig, wenn eine Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen sei, im Beschwerdefall sei jedoch für den 22. November 2007 keine ordnungsmäße Ladung iSd der §§ 41 ff VStG erfolgt. Hätte die belangte Behörde eine ordnungsgemäße Ladung verschickt, hätte der Beschwerdeführer (nachdem Anfang Oktober festgestanden sei, dass seine mündliche Rechtsanwaltsprüfung am 22. November 2007 stattfinden werde) mit Sicherheit eine abermalige Verschiebung angeregt; er habe dies aber unterlassen, weil er in dem Wissen gelassen worden sei, dass die Verhandlung am 29. November 2007 stattfinden werde.

Die Beschwerde ist begründet.

Gemäß § 41 Abs. 1 VStG ist in der Ladung (§ 19 AVG) des Beschuldigten die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, kurz und deutlich zu bezeichnen.

Der Beschuldigte ist in der Ladung aufzufordern, die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel mitzubringen oder der Behörde so rechtzeitig anzuzeigen, dass sie zur Vernehmung noch herbeigeschafft werden können (Abs. 2).

Die Ladung kann auch die Androhung enthalten, dass das Strafverfahren, wenn der Beschuldigte der Ladung keine Folge leistet, ohne seine Anhörung durchgeführt werden kann. Diese Rechtsfolge kann nur eintreten, wenn sie in der Ladung angedroht und wenn die Ladung dem Beschuldigten zu eigenen Handen zugestellt worden ist (Abs. 3).

Gemäß § 19 Abs. 2 AVG ist in der Ladung außer Ort und Zeit der Amtshandlung u.a. auch anzugeben, was den Gegenstand der Amtshandlung bildet.

Da § 51f Abs. 2 VStG ausdrücklich auf die ordnungsgemäße Ladung abstellt, ist die Verhandlung in Abwesenheit der betreffenden Partei nur zulässig, wenn die Ladung fehlerfrei erfolgt ist; das heißt, jeder Mangel der Ladung hindert die Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit der Partei (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. März 2004, Zl. 2004/02/0032).

Im vorliegenden Fall erfolgte die Ladung des Beschwerdeführers zur Verhandlung vom 13. September 2007 durch die belangte Behörde zunächst in Form eines Ladungsbescheides, der dem Beschwerdeführer am 7. August 2007 zu eigenen Handen zugestellt wurde. Über seinen Antrag wurde diese Verhandlung im Zuge eines Telefongespräches zwischen der Verhandlungsleiterin und dem Beschwerdeführer verlegt, wobei die belangte Behörde von einem Verhandlungstermin 22. November 2007, der Beschwerdeführer von einem Verhandlungstermin 29. November 2007 ausging und wegen des abgegebenen Ladungsverzichts zur öffentlichen mündlichen Verhandlung nicht mehr gesondert geladen wurde.

Die belangte Behörde meint in ihrer Gegenschrift unter Bezugnahme auf das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1999, Zl. 95/03/0232, dass bei Erklärung eines Ladungsverzichts eine neue, schriftliche Ladung nicht zugestellt werden müsse und in einem solchen Fall eine ordnungsgemäße Ladung vorliege, sodass bei unentschuldigtem Fernbleiben des Beschuldigten die Verhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführt werden könne. Die belangte Behörde übersieht dabei jedoch, dass dem zitierten Erkenntnis vom 15. Oktober 1999 ein dem Beschwerdefall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag, weil im Zuge einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, bei welcher sowohl der Beschwerdeführer als auch dessen Vertreter persönlich anwesend waren, die Verhandlung auf einen neuen Termin vertagt wurde, und dies die anwesenden Parteien unter Ladungsverzicht zur Kenntnis nahmen. Sowohl der Beschwerdeführer als auch sein Vertreter haben die diesbezügliche Verhandlungsschrift unterschrieben. Im Hinblick darauf bestand daher im dortigen Beschwerdefall für eine nicht rechtmäßige Ladung des Beschwerdeführers zur (vertagten) Verhandlung kein Anhaltspunkt, sodass die Verkündung des Bescheides auch in Abwesenheit des Beschwerdeführers erfolgen konnte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 10. März 1964, Slg. Nr. 6265/A ausgeführt, es müsse nachträglich überprüfbar sein, ob die Ladung die gesetzlich vorgeschriebenen Angaben des § 41 Abs. 1 und 2 VStG enthalten habe; diese Möglichkeit bestehe aber in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise nur im Falle der schriftlichen Ladung, die bloß telefonische Ladung entspreche nicht den gesetzlichen Vorschriften.

Da der Eintritt der Rechtsfolge des § 41 Abs. 3 VStG aber auch voraussetzt, dass die Ladung dem Beschuldigten zu eigenen Handen zugestellt worden ist, erweist sich eine telefonische Ladung des Beschwerdeführers mangels Zustellnachweises jedenfalls als unzulässig (vgl. zur Zustellung der Ladung per Telefax das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2011, Zl. 2009/07/0012, mwN).

Im Beschwerdefall kann daher von einer "ordnungsgemäßen Ladung" zur Verhandlung vom 22. November 2007 über die dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid vorgeworfene Verwaltungsübertretung nicht gesprochen werden, sodass die Durchführung der Verhandlung in seiner Abwesenheit (§ 51f Abs. 2 VStG) unzulässig war.

Dieser Verfahrensmangel, der für den Beschwerdeführer den Verlust seiner in der mündlichen Verhandlung vorgesehenen Verteidigungsrechte bewirkte bzw. seine Mitwirkung an der Sachaufklärung (insbesondere die für seinen Standpunkt sprechenden Fakten vorzubringen und zu Beweisergebnissen Stellung zu nehmen) hinderte, kann im Hinblick auf das Vorliegen strittiger Tatfragen jedenfalls nicht als unwesentlich qualifiziert werden, weil die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften (insbesondere §§ 51e, 51f, 51i VStG) zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. August 1998, Zl. 96/09/0289, sowie vom 20. September 2006, Zl. 2006/08/0198, mwN).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGHAufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 29. Juni 2011

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