VwGH 2008/01/0551

VwGH2008/01/05518.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde der AV (geboren 1962) in W, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. Juni 2008, Zl. 259.482/0/8E-XIII/32/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8;
AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8;

 

Spruch:

Der Bescheid wird im angefochtenen Umfang (Ausweisung der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 nach Kolumbien - Spruchpunkt III.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Kolumbien und stellte am 29. November 2003 einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den diesen Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes (BAA) vom 24. März 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Kolumbien zulässig sei (Spruchpunkt II.), und die Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Kolumbien ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Zur Begründung der Ausweisung der Beschwerdeführerin führte die belangte Behörde fallbezogen aus, dass mangels zum dauernden Aufenthalt in Österreich berechtigter Verwandter der Kernfamilie die Ausweisung der Beschwerdeführerin keinen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle. Zwar habe die Beschwerdeführerin bereits am 12. November 2005 in Österreich nach islamischem Recht einen Ehevertrag mit S geschlossen und behauptet, mit diesem mittlerweile seit 3 Jahren zusammenzuwohnen. Dies erscheine jedoch auf Grund der unterschiedlichen Hauptwohnsitzmeldungen der Beschwerdeführerin in einem zweifelhaften Licht. Die Beschwerdeführerin sei vom 24. August 2006 bis 2. Jänner 2008 bei ihrem ehemaligen Vertreter gemeldet gewesen. Die am 2. Jänner 2008 auf die Meldeadresse des S erfolgte Ummeldung sei kurz nach der Verhandlung vor der belangten Behörde im November 2007 erfolgt, bei der der ehemalige Vertreter der Beschwerdeführerin als deren Vertrauensperson teilgenommen habe. Die Meldung bei ihrer Vertrauensperson habe die Beschwerdeführerin damit begründet, dass sie eine Zusendung der Poststücke an diese Adresse ermöglichen habe wollen; in Wirklichkeit habe sie allerdings weiter bei ihrem Gatten S gewohnt, was von der belangten Behörde allerdings bezweifelt werde. Die Beschwerdeführerin habe es trotz konkreter Nachfrage der Verhandlungsleiterin verabsäumt anzuführen, dass sie nach ihrer Scheidung in Kolumbien mittlerweile in Österreich erneut eine Ehe eingegangen sei. Fragen zu ihren aktuellen privaten Lebensverhältnissen habe die Beschwerdeführerin immer nur sehr zögerlich beantwortet, weshalb die belangte Behörde von einem unglaubwürdigen Vorbringen ausgehe. Die Beschwerdeführerin habe daher kein schützenswertes, in Österreich geführtes Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK glaubhaft darlegen können. Ihr engster Verwandtenkreis (Sohn, Geschwister) lebe nach wie vor in Kolumbien. Es handle sich bei der Beschwerdeführerin nicht um eine Person von erhöhter Vulnerabilität, die in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis lebe.

Der durch die Ausweisung erfolgende Eingriff in ihr Privatleben sei durch ein deutliches Überwiegen des öffentlichen Interesses im Vergleich zum Privatinteresse am Verbleib im Bundesgebiet gedeckt. Schon seit der erstinstanzlichen Entscheidung habe die Beschwerdeführerin in Erwägung ziehen müssen, nicht für immer in Österreich verbleiben zu können.

Gegen Spruchpunkt III. (Ausweisung) dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde hat sich bei der Prüfung eines möglichen Familienlebens der Beschwerdeführerin in Österreich darauf beschränkt, das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der zweiten Berufungsverhandlung, dass sie seit drei Jahren mit einem pakistanischen Staatsbürger mit gültiger österreichischer Niederlassungsbewilligung zusammenlebe und mit ihm nach islamischem Recht verheiratet sei, als unglaubwürdig zu bewerten und jegliches Familienleben zu verneinen. Sie hat sich dabei im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Beschwerdeführerin nicht durchgehend an derselben Adresse wie ihr Ehemann gemeldet gewesen sei, weshalb nicht von einem aufrechten Familienleben auszugehen sei. Außerdem habe die Beschwerdeführerin nur sehr zögerlich über ihre privaten Lebensverhältnisse Auskunft gegeben, was sie unglaubwürdig erscheinen lasse.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) ist das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Beziehungen ("marriage-based relationships") beschränkt, sondern erfasst auch andere faktische Familienbindungen ("de facto family ties"), bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben (vgl. das Urteil des EGMR vom 22. Juli 2010, P.B. und J.S. gegen Österreich, Beschwerdenr. 18984/02, Randnrn. 27ff, mit Verweis unter anderem auf das Urteil des EGMR vom 26. Mai 1994, Keegan v. Ireland, Beschwerdenr. 16969/90; vgl. auch die im hg. Erkenntnis vom 26. April 2010, Zl. 2006/01/0354, zitierte Rechtsprechung des EGMR).

Im Beschwerdefall ist es nicht ausreichend, die unterschiedlichen Meldeadressen der Beschwerdeführerin zur gänzlichen Verneinung eines Familienlebens mit S in Österreich heranzuziehen. Die Beschwerdeführerin hat ihre Heirat mit S nach islamischem Recht in der zweiten Berufungsverhandlung vorgebracht, eine Kopie der muslimischen Heiratsurkunde vorgelegt, die von der belangten Behörde auch zum Akt genommen wurde und darauf verwiesen, sie lebe mit S seit 3 Jahren in einer Lebensgemeinschaft zusammen. Unstrittig ist weiters, dass die Beschwerdeführerin vor dem 24. August 2006 und nach dem 21. Jänner 2008 - also auch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - bei ihrem Ehegatten nach islamischem Recht gemeldet war und ihren Angaben zufolge auch dort gelebt hat.

Selbst wenn man davon ausginge, dass die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Eheschließung nach islamischem Recht keine Heirat im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung des EGMR ist, so durfte die belangte Behörde ein faktisch bestehendes Familienleben nicht alleine auf Grund der unterschiedlichen Meldungen der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten bzw. Lebensgefährten im Zeitraum vom 24. August 2006 bis zum 21. Jänner 2008 gänzlich verneinen. So sah es der EGMR im zitierten Urteil Keegan v. Ireland, Randnr. 45, unter anderem bereits als einen maßgeblichen Umstand an, dass die dortigen Kindeseltern während ihrer zweijährigen nicht formalisierten Beziehung ein Jahr zusammengewohnt hatten.

Daher hätte die belangte Behörde der oben angeführten Rechtsprechung zufolge die sonstigen Anhaltspunkte für ein tatsächliches Familienleben der Beschwerdeführerin mit S prüfen müssen und hiezu etwa den S zeugenschaftlich vernehmen müssen.

Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG in dem im Spruch angeführten Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 8. September 2010

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