Normen
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein aus Grosny stammender russischer Staatsbürger, kam am 30. Juni 2007 gemeinsam mit seiner Ehefrau durch Überquerung der March illegal nach Österreich. Der Beschwerdeführer wurde nach dem (unmittelbar nach dem Grenzübertritt erfolgten) Aufgriff festgenommen, während seine hochschwangere Ehefrau in ein Krankenhaus gebracht wurde, wo sie nach der (noch in dieser Nacht erfolgten) Entbindung stationär aufgenommen wurde.
Bei der am nächsten Tag durchgeführten Ermittlung der persönlichen Verhältnisse stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. In der Folge wurde eine asylrechtliche Erstbefragung und anschließend eine Vernehmung durch ein Organ der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf durchgeführt, in deren Rahmen der Beschwerdeführer auch angab, auf der Flucht um den 20. Juni 2007 nach Polen gelangt zu sein und dort um Asyl angesucht zu haben. Er sei vernommen worden, habe jedoch noch keine Entscheidung erhalten. Wegen schlechter Behandlung im Lager (mehrere Tage kein Essen) und mangelnder ärztlicher Versorgung seiner Ehefrau seien sie nach Österreich weitergereist.
Mit dem gemäß § 57 Abs. 1 AVG erlassenen Bescheid vom 1. Juli 2007 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf sodann gegen den Beschwerdeführer zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 und zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft an. Als (wesentliche) Rechtsgrundlage wurde § 76 Abs. 2 Z 4 FPG angeführt.
Mit Schreiben vom 4. Juli 2007 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 mitgeteilt, dass das Bundesasylamt beabsichtige, seinen Antrag auf internationalen Schutz nach § 5 AsylG 2005 (wegen Zuständigkeit eines anderen Staates) zurückzuweisen, und dass seit 3. Juli 2007 "Dublin-Konsultationen" mit Polen geführt würden. Unter einem wurde darauf hingewiesen, dass diese Mitteilung (gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005) als Einleitung des Ausweisungsverfahrens gelte.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14. September 2007 wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) die am 11. September 2007 eingebrachte Schubhaftbeschwerde des Beschwerdeführers gemäß § 83 FPG als unbegründet ab.
Die belangte Behörde traf nach zusammengefasster Darstellung des bisherigen Verfahrensganges Feststellungen, die dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt entsprechen. Nach Zitierung der maßgeblichen Rechtsvorschriften ergänzte die belangte Behörde, aufgrund der Asylantragstellung in Polen sei "offensichtlich ein sog. Dublin II-Bezug" gegeben. Dem entsprechend sei vom Bundesasylamt mitgeteilt worden, dass die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz beabsichtigt sei und seit 3. Juli 2007 Dublin-Konsultationen geführt würden. "Mit 31.8.2007" habe das Bundesasylamt gemäß § 5 AsylG 2005 auch einen "Ausweisungsbescheid" erlassen, der durchsetzbar sei.
Daran anknüpfend führte die belangte Behörde zur Notwendigkeit der Schubhaft aus, der Beschwerdeführer besitze kein Reisedokument, sodass ihm die legale Ausreise nicht möglich sei. Er sei in Österreich in keiner Weise beruflich oder sozial verankert, sodass im Falle einer Belassung auf freiem Fuß zu befürchten sei, er werde sich gemeinsam mit seinen Angehörigen dem behördlichen Zugriff entziehen und im Inland untertauchen. Daher könne "derzeit" auch keine gemeinsame Unterbringung des Beschwerdeführers mit seiner Ehefrau und dem Kind in Betracht gezogen werden und die Schubhaft sei das "einzig taugliche" Sicherungsmittel für die weiteren fremdenpolizeilichen Schritte.
Da die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft noch andauere, stelle die belangte Behörde gemäß § 83 Abs. 4 FPG auch fest, dass im Zeitpunkt der Entscheidung "aufgrund des im Rahmen des Beschwerdeverfahrens als erwiesen festgestellten Sachverhaltes" die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorlägen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
§ 76 Abs. 2 FPG lautet:
"(2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn
1. gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;
2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;
3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist oder
4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird."
Der belangten Behörde ist zunächst vorzuwerfen, dass die nur in der Begründung des angefochtenen Bescheides vorgenommene Feststellung gemäß § 83 Abs. 4 FPG zum Vorliegen der Voraussetzungen für die weitere Anhaltung im Spruch zum Ausdruck zu bringen gewesen wäre. Dabei wäre mit entsprechender Begründung auch eindeutig klarzustellen gewesen, auf welchen Schubhaftgrund diese Annahme gestützt und welcher gesetzliche Tatbestand für verwirklicht angesehen wurde. Während nämlich in diesem Verfahrensstadium angesichts des - in der Beschwerde nicht bestrittenen - Vorliegens einer durchsetzbaren asylrechtlichen Ausweisung eine Heranziehung des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG in Betracht gekommen wäre, wurde die Schubhaftanordnung noch auf § 76 Abs. 2 Z 4 FPG gestützt und für die Anhaltung nach Einleitung des Ausweisungsverfahrens (bis zur Erlassung des Bundesasylamtsbescheides) wäre richtigerweise § 76 Abs. 2 Z 2 FPG maßgebend gewesen (zum Verhältnis der genannten Schubhaftgründe des § 76 Abs. 2 FPG vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043). Eine Bedachtnahme auf diese sich erst während der Anhaltung entwickelnde "Verdichtung" der Schubhaftgründe ist der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zu entnehmen, was allerdings für sich genommen noch keine Rechtsverletzung des Beschwerdeführers bewirkt.
Die belangte Behörde hat bei Prüfung des Schubhaftgrundes aber vor allem nicht ausreichend berücksichtigt, dass ungeachtet des Vorliegens eines Tatbestandes nach § 76 Abs. 2 FPG die Schubhaftnahme eines Asylwerbers nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die in dem jeweiligen Asylverfahrensstadium ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl. zum Ganzen ausführlich das schon erwähnte Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, auf dessen Entscheidungsgründe insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird; siehe in diesem Zusammenhang auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2007/21/0391).
Demnach ist neben der fehlenden Ausreisewilligkeit, die für sich allein die Schubhaftverhängung nicht rechtfertigen kann, in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen zu prüfen, ob auch ein konkretes Sicherungserfordernis gegeben ist. Dieses Sicherungsbedürfnis wurde von der belangten Behörde in Bezug auf den Beschwerdeführer nur darin gesehen, dass er in Österreich in keiner Weise beruflich und sozial verankert sei. Bei diesem Gesichtspunkt handelt es sich aber - wie neuerlich klarzustellen ist - in Bezug auf Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, um kein tragfähiges Argument. Das wurde schon in der Schubhaftbeschwerde aufgezeigt, ohne dass die belangte Behörde darauf eingegangen wäre. Diese Unterlassung wird in der Beschwerde zutreffend kritisiert. Es stellt sich in diesem Zusammenhang nämlich die (im bekämpften Bescheid nicht erörterte) Frage, weshalb der Beschwerdeführer - wäre er nicht in Schubhaft genommen und wäre ihm diese Versorgung gewährt worden - diese Unterstützung aufgeben und in die "Anonymität" untertauchen hätte sollen. Die Heranziehung des Gesichtspunktes, der Fremde sei mittellos bzw. in Österreich nicht ausreichend integriert, ist daher in der Regel bei Asylwerbern in der Situation des Beschwerdeführers verfehlt; der Frage der Integration kommt primär im (hier nicht gegebenen) Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG Bedeutung zu (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2007/21/0402).
Vor diesem Hintergrund ist die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer werde gemeinsam mit seiner Frau (kurz nach der Entbindung) und dem neugeborenen Kind - trotz deren eingeschränkter Mobilität - "untertauchen", mangels sonstiger im angefochtenen Bescheid aufgezeigter Anhaltspunkte für ein derartiges Verhalten nicht nachvollziehbar. In der vorliegenden Konstellation wäre vielmehr maßgeblich auch darauf Bedacht zu nehmen gewesen, dass der Beschwerdeführer bei der Befragung zu seinem (unverzüglich nach dem Aufgriff gestellten) Antrag auf internationalen Schutz richtige Angaben zum Fluchtweg und zur Asylantragstellung in Polen machte und sich auch die Identitätsangaben nicht als unrichtig erwiesen haben. Auch das zeigt die Beschwerde zutreffend auf.
Schließlich bleibt die belangte Behörde - einen Sicherungsbedarf unterstellt - aber auch eine nachvollziehbare Begründung dafür schuldig, weshalb gelindere Mittel fallbezogen nicht in Betracht gekommen wären.
Da die belangte Behörde nach dem Gesagten (auch) die Rechtslage verkannte, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 28. Februar 2008
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