Normen
FrPolG 2005 §46 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §46 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer, einem nigerianischen Staatsangehörigen, eingebrachte Schubhaftbeschwerde - er wurde bis 12. September 2007 in Schubhaft angehalten - gemäß §§ 76, 81, 82 und 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) kostenpflichtig als unbegründet ab.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 6. September 2007 von Polizeibeamten im internationalen Reisezug EC 569 angetroffen und einer Kontrolle unterzogen worden. Dabei habe er sich "lediglich mit Lichtbildkopien eines nigerianischen Reisepasses sowie mit einer Asylwerberkarte" ausgewiesen. Im Zuge der daraufhin durchgeführten Erhebungen hätten die Polizeibeamten durch Nachschau im Asylwerberinformationssystem festgestellt, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers seit 9. Februar 2007 "negativ abgeschlossen" sei. Der Beschwerdeführer habe gegenüber den Polizeibeamten auch angegeben, dies gewusst zu haben und auch zu wissen, dass er Österreich bereits hätte verlassen müssen. Weiters habe er angegeben, am Weg nach Wien zu einer Scheidungsverhandlung vor dem Bezirksgericht Wien Liesing zu sein.
Dieser Sachverhalt sei dem für Fremdenpolizeiangelegenheiten zuständigen Sachbearbeiter der Bezirkshauptmannschaft Kufstein bekannt gegeben worden, der seinerseits mit dem fremdenpolizeilichen Referat der Bezirkshauptmannschaft Bregenz Kontakt aufgenommen habe. Von dort habe er weitere Informationen zu einem bereits negativ erledigten "Niederlassungsverfahren", zur Gewährung von Sozialhilfe an den Beschwerdeführer sowie zum Verwenden einer zweiten Identität durch den Beschwerdeführer erhalten. Daraufhin sei über den Beschwerdeführer die Schubhaft, die mit der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots oder einer Ausweisung begründet worden sei, verhängt worden.
In ihren rechtlichen Erwägungen führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei trotz der negativen Entscheidungen über seinen Asyl- und Niederlassungsantrag nicht aus Österreich ausgereist. Er halte sich ohne gültiges Reisedokument und ohne Aufenthaltstitel in Österreich auf. Es sei keine Bereitschaft des Beschwerdeführers zu erkennen, Österreich freiwillig zu verlassen. Der Beschwerdeführer habe zwar früher über einen gültigen Reisepass verfügt, er sei aber nicht bereit, dazu (gemeint offenbar: zu dessen Verbleib) Angaben zu machen. Der Beschwerdeführer verfüge über kein legales Einkommen und auch über kein ausreichendes Vermögen, um sich selbst erhalten zu können.
Die Schubhaft sei - so die belangte Behörde nach Wiedergabe von Bestimmungen des FPG und unter Zitierung von zum Fremdengesetz 1997 (FrG) ergangener Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - im Grunde "des § 61 Abs. 1 FrG" notwendig, wenn die Annahme gerechtfertigt sei, dass beim Fremden keine Ausreisewilligkeit bestehe und somit durch die Verhängung der Schubhaft die rechtlich gebotene Ausreise gesichert werden solle. Ebenso - so die belangte Behörde nochmals unter Hinweis auf zum FrG ergangene Judikatur - sei das Fehlen des Nachweises der Mittel zu seinem Unterhalt eine bestimmte Tatsache für die Annahme, der Fremde werde sich dem Verfahren entziehen. Dies reiche aus, die Schubhaft anzuordnen und den Fremden in Schubhaft anzuhalten. Zwar hätten Erhebungen der Polizeiinspektion Wolfurt ergeben, dass der Beschwerdeführer an seinem Hauptwohnsitz, wo er gemeldet sei, auch tatsächlich aufhältig sei. Auf Grund des Sozialhilfebezuges des Beschwerdeführers, der auch der Sicherung seiner Unterkunft diene, sei aber "durchaus davon auszugehen, dass es sich um keine gesicherte Unterkunft" handle.
Die Anwendung eines gelinderen Mittels sei im Hinblick auf die vermögensrechtliche Lage und die klare Ausreiseverweigerung des Beschwerdeführers, die sich "sowohl in seinem beharrenden illegalen Aufenthalt als auch in den wechselnden Angaben über seine Identität manifestiert" habe, nicht vorstellbar. Außer seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau, die eine Scheidungsklage eingebracht habe, hielten sich keine Familienangehörigen in Österreich auf. Sein Aufenthalt scheine "ohne jegliche existentielle und soziale Absicherung nicht realisierbar". Der Eingriff in sein "fast nicht existierendes Familien- und Privatleben" sei daher nicht derart schwerwiegend, dass er geeignet wäre, die entgegenstehenden Interessen an der Durchsetzung eines geordneten Fremdenwesens sowie der Sicherung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aufzuwiegen oder gar zu überwiegen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 76 Abs. 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern.
Der Verwaltungsgerichtshof hat, was die belangte Behörde verkannt hat, in seiner Rechtsprechung zum FPG klargestellt, dass die fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein die Verhängung der Schubhaft nicht rechtfertigen kann. Ist ein Fremder auf Grund mangelnder Ausreisewilligkeit nicht zeitgerecht ausgereist oder ist auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten, er werde seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, so erfüllt er - das Vorliegen eines Abschiebetitels vorausgesetzt - die Voraussetzungen für die Durchführung einer Abschiebung nach § 46 Abs. 1 FPG. Damit steht aber noch nicht in jedem Fall ohne Weiteres fest, dass es auch der Verhängung der Schubhaft bedarf, um die Außerlandesschaffung zu sichern. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt die Frage zu beantworten, ob auch ein Sicherungsbedarf besteht (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 23. September 2010, Zl. 2009/21/0280, mwN).
Die Zulässigkeit von Schubhaft verlangt die Prüfung ihrer Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit, zu deren Beurteilung eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Außerlandesschaffung und dem privaten Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen ist. Bei dieser Prüfung ist unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses vor allem der Frage nachzugehen, ob im jeweils vorliegenden Einzelfall ein Sicherungsbedürfnis gegeben ist. Das setzt die gerechtfertigte Annahme voraus, der Fremde werde sich aufenthaltsbeendenden Maßnahmen oder der Abschiebung (insbesondere) durch Untertauchen entziehen oder sie zumindest wesentlich erschweren. Das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag somit für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis Zl. 2009/21/0280).
Von der belangten Behörde wurde nun kein konkretes Verhalten des Beschwerdeführers festgestellt, aus dem die Befürchtung, er werde im Bundesgebiet untertauchen, schlüssig abgeleitet werden könnte. Vielmehr ging die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer an jenem Wohnsitz, an dem er mit einer aufrechten Meldung registriert sei, auch tatsächlich wohnhaft sei. Warum es sich in diesem Zusammenhang wegen des Sozialhilfebezuges des Beschwerdeführers um "keine gesicherte Unterkunft" handeln sollte, kann der Verwaltungsgerichtshof nicht nachzuvollziehen. Hinweise dafür, dass dem Beschwerdeführer seine Wohnung nicht mehr zur Verfügung gestanden wäre oder in zeitlichem Zusammenhang mit der Schubhaft nicht mehr stehen würde, sind nicht erkennbar.
Soweit die belangte Behörde ergänzend darauf abstellt, der Beschwerdeführer sei früher auch unter einer anderen Identität aufgetreten, ist darauf hinzuweisen, dass sich - was der Beschwerdeführer ausdrücklich ins Treffen führt - anhand des vorgelegten Verwaltungsaktes ergibt, dass der Bezirkshauptmannschaft Bregenz schon seit 27. August 2007 die früher verwendete Alias-Identität des Beschwerdeführers bekannt war, sowie dass dem Beschwerdeführer damals die auf diese Identität lautenden Dokumente abgenommen wurden. Aus den Feststellungen der belangten Behörde ist zudem ersichtlich, dass gerade die frühere Verwendung dieser Identitätsdokumente nicht maßgeblich für die hier gegenständliche Verhängung der Schubhaft war, zumal auch der die Schubhaft anordnende Bescheid darauf nicht Bezug nimmt. Auch ergibt sich aus den von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen zu der von Polizeibeamten vorgenommenen Anhaltung des Beschwerdeführers kein Hinweis darauf, dass er seit Bekanntwerden der Alias-Identität neuerlich versucht hätte, über seine Identität zu täuschen; hat er doch am Tag der Kontrolle zur Ausweisleistung nur Urkunden verwendet, die jene Identität, von der die Behörde ausgeht, bezeugen sollten.
Letztendlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde zwar eine Verhandlung durchgeführt hat, dabei aber im Wesentlichen nur Vorbringen der Parteien zu Protokoll nahm. Die einzige Beweisaufnahme bestand dem Verhandlungsprotokoll zufolge in der Verlesung des Fremdenpolizeiaktes sowie der im Akt der belangten Behörde erliegenden Urkunden. Insbesondere unterließ die belangte Behörde aus nicht näher dargestellten Überlegungen die Vernehmung des Beschwerdeführers und verschaffte sich keinen persönlichen Eindruck zu seiner Glaubwürdigkeit. Mit Blick auf das sachverhaltsbezogene Vorbringen des Beschwerdeführers in der Schubhaftbeschwerde zu seiner beruflichen und sozialen Integration im Bundesgebiet, deren nähere Feststellung sich für die Beurteilung des Sicherungsbedarfes nach dem oben Gesagten aber als notwendig erweist, stellt dies einen relevanten Verfahrensmangel dar.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 21. Dezember 2010
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