VwGH 2007/21/0443

VwGH2007/21/044320.12.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über den Antrag des P, vertreten durch Dr. Martin Prokopp, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Rathausgasse 7, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Beschwerdeerhebung sowie über dessen Beschwerde gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 18. April 2007, Zl. Senat-FR-07-0043, betreffend Schubhaft, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

1.) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

2.) Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Der angefochtene Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 18. April 2007 wurde dem zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsvertreter des Beschwerdeführers samt dem die Verfahrenshilfe bewilligenden Beschluss am 13. Juli 2007 zugestellt. Die sechswöchige Beschwerdefrist endete daher am 24. August 2007. Die Beschwerde, die mit einem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden wurde, wurde vom Antragsteller am 9. November 2007 zur Post gegeben.

In seinem mit der Beschwerde verbundenen Wiedereinsetzungsantrag bringt der Antragsteller vor, sämtliche Verfahrenshilfesachen würden vom Substituten seines Verfahrenshelfers bearbeitet. Dieser "bewerkstelligte im Regelfall den Posteingang diesbezüglich und veranlasste die Eintragung ins Fristenbuch". Am 13. Juli 2007 habe sich der Verfahrenshelfer bereits auf einem zweiwöchigen Urlaub befunden. "Diese Frist" habe daher am Tag der Zustellung des Beschlusses über die Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht überprüft werden können. Der Akt sei zu den Akten im Zimmer des Substituten gelegt worden. "Ohne dies verifizieren zu können, dürfte es jedoch so gewesen sein, dass während eines der Telefonate während des Urlaubes auch kurz dieser Akt mit einer Sekretärin besprochen ... und wegen der Eintragung ins Fristenbuch auf die Zeit der Rückkehr des Substituten und der damit auch verbundenen Überprüfung durch den Substituten verschoben" worden sei. Der erste Arbeitstag des Substituten sei der 30. Juli 2007 gewesen. Der Substitut könne sich nicht daran erinnern, dass er bei seiner Rückkehr diesen Akt "in die Hand bekommen" habe.

"Im Zuge des Kanzleiwechsels des Substituten" seien sämtliche offenen Akten überprüft worden. "Dabei stellte sich am 30.10.2007 heraus der Akt in einen anderen sehr umfangreichen Akt, welche nach der Urlaubsrückkehr bearbeitet wurden, hineingerutscht ist."

(Sprachliche Fehler im Original). Dies habe passieren können, weil der Akt noch sehr dünn gewesen und daher "offensichtlich beim Bearbeiten übersehen" worden sei. Durch die urlaubsbedingte Abwesenheit habe sich eine sehr große Anzahl von Akten zur weiteren Bearbeitung beim Substituten angehäuft. Ein derartiger Fehler sei dem Substituten "in der Kanzlei des Verfahrenshelfers" noch nicht unterlaufen. Auf Grund des urlaubsbedingten Arbeitsanfalles "und weil der Akt zwischen dem anderen Akt in Verstoß geraten" sei, handle es sich um einen minderen Grad des Versehens, weshalb ein Wiedereinsetzungsgrund im Sinn des § 46 VwGG vorliege.

Zugleich mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist wurde die versäumte Handlung nachgeholt und Beschwerde gegen den genannten Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich erhoben.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist nicht berechtigt:

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung zu § 46 Abs. 1 VwGG ausgesprochen, dass ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber den Angestellten unterlassen hat. Der Anwalt muss seinen Aufgaben auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muss der Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt wird. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Wiedereinsetzung schadet ein solches Versagen dann nicht, wenn dem Rechtsanwalt nur ein minderer Grad des Versehens vorgeworfen werden kann. Der Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter dürfen also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen haben.

Wie der Verwaltungsgerichtshof weiters ausgesprochen hat, ist in einer Rechtsanwaltskanzlei für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittel- oder Beschwerdefrist in einem bestimmten Fall stets der Anwalt und nicht etwa jener Kanzleiangestellte allein verantwortlich, der damit im Zusammenhang stehende Termine in den Kalender einträgt oder eintragen sollte. Der Anwalt selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Tut er dies nicht oder unterläuft ihm dabei ein Versehen, ohne dass er dartun kann, dass die Fristversäumnis auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten der Kanzleiangestellten beruht und in seiner Person keinerlei Verschulden vorliegt, so trifft ihn ein Verschulden, welches sich gegen die von ihm vertretene Partei auswirkt (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 31. Juli 2006, Zl. 2006/05/0081).

Für die richtige Beachtung einer Beschwerdefrist ist somit grundsätzlich immer der Parteienvertreter selbst verantwortlich, der die Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen oder die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Angestellten obliegenden Aufsichtspflicht zu überwachen hat. Ein Parteienvertreter, der sich - aus welchen Gründen immer - auf die Richtigkeit von Fristvormerkungen der Angestellten verlässt, tut dies auf die Gefahr, dass das als ein die Wiedereinsetzung ausschließendes und der von ihm vertretenen Partei zuzurechnendes Verschulden qualifiziert wird. Wohl ist eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, dem Rechtsanwalt nicht zuzumuten, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Um einen solchen rein manipulativen Vorgang handelt es sich jedoch nicht bei der Bestimmung einer Beschwerdefrist. Wenn ein Parteienvertreter diese Frist nicht selbst kalendermäßig konkret ermittelt, sondern ihre Bestimmung - dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag zufolge - im vorliegenden Fall zur Gänze einer Kanzleiangestellten überlassen hat, so wäre es ihm im Rahmen der gebotenen Überwachungspflicht jedenfalls oblegen, die Durchführung entsprechender richtiger Fristvormerkungen im Kalender zu kontrollieren. Demgegenüber haben sowohl der Verfahrenshelfer als auch sein Substitut im vorliegenden Fall bei der Kontrolle der Fristwahrung in keiner Weise mitgewirkt (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Beschlüsse vom 17. April 2007, Zl. 2007/06/0009, und vom 30. Mai 2007, Zl. 2007/06/0014, mwN).

Ausgehend vom Vorbringen im vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Verfahrenshelfer des Antragstellers oder sein Substitut wirksame Maßnahmen zur Kontrolle der richtigen Bestimmung und Einhaltung der Beschwerdefrist getroffen hätten. Ein - im Antrag zudem nicht inhaltlich konkretisiertes - Kontrollsystem, das sowohl den Eintrag als auch den Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist vom Verfahrenshelfer, seinem Substituten und der Kanzlei unbemerkt verstreichen lässt, stellt sich jedenfalls als nicht ausreichend dar. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist war daher abzuweisen.

Da sich somit die am 9. November 2007 zur Post gegebene Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde als verspätet erweist, war diese gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 20. Dezember 2007

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