VwGH 2007/21/0259

VwGH2007/21/025917.3.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde des C, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 8. Mai 2007, Zl. Fr 2177/01, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §125 Abs3;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z5;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs3;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §125 Abs3;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z5;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs3;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, war Ende August 1991 im Alter von 12 Jahren nach Österreich zu seinem hier aufhältigen Vater gekommen. Mit Bescheid vom 10. Dezember 1997 wurde über ihn wegen Bestrafungen nach der Gewerbeordnung und nach dem Grenzkontrollgesetz sowie zweimal nach dem Fremdengesetz 1997 zunächst ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot verhängt.

Mit Gerichtsurteil vom 30. April 2001 wurde der Beschwerdeführer - den Feststellungen im angefochtenen Bescheid zufolge - des Vergehens der Schlepperei nach § 104 Abs. 1 Fremdengesetz 1997, des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach den §§ 147, 148 Abs. 1 Z 1 und 3, 148 erster Fall StGB und des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt und zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten (davon zwei Monate unbedingt) verurteilt. Der Beschwerdeführer hatte einerseits vier im Zeitraum Februar bis November 1997 begangene Betrugshandlungen - er verleitete die jeweils Geschädigten trotz seiner (Rück)Zahlungsunfähigkeit in zwei Fällen zur Einräumung von Darlehen in der Höhe von ATS 3.200,- bzw. von ATS 1.000,- und in zwei Fällen zur Gewährung von Quartier in Hotels durch näher beschriebene Täuschungshandlungen - und einen am 20. November 1997 verübten Diebstahl eines Mobiltelefons im Wert von etwa ATS 2.000,-

zu verantworten. Andererseits lag dem Beschwerdeführer auch zur Last, am 27. Februar 2001 die rechtswidrige Einreise von vier indischen Staatsangehörigen aus der Tschechischen Republik nach Österreich gegen einen nicht bloß geringfügigen Vermögensvorteil gefördert zu haben, indem er diese Personen über die "grüne Grenze" in das Gemeindegebiet von Reingers geleitete und dort mit ihnen (vergeblich) auf einen weiteren Transporteur wartete.

Im Hinblick darauf wurde gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 16. Mai 2001 gemäß § 36 Fremdengesetz 1997 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen; er wurde zwei Tage später aus Österreich abgeschoben.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 8. Mai 2007 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 23. Oktober 2006 auf Aufhebung dieses Aufenthaltsverbotes gemäß § 65 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ab.

Zur Begründung verwies die belangte Behörde vor allem auf die erwähnten, dem Aufenthaltsverbot zugrundeliegenden Straftaten des Beschwerdeführers und führte daran anknüpfend aus, Schlepperei stelle eine besonders schwerwiegende kriminelle Erscheinungsform dar. Gegen Personen, die Schlepperei um ihres Vorteils willen gewerbsmäßig ausübten, könne weder in kriminal- noch in fremdenpolizeilicher Hinsicht mit Nachsicht vorgegangen werden. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers bedeute somit eine gravierende Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der international organisierten Schlepperkriminalität. Darüber hinaus bestehe auch weiterhin die Gefahr, der Beschwerdeführer werde Straftaten gegen fremdes Vermögen begehen. Diese Annahme werde durch die gewerbsmäßige Begehung der Betrugshandlungen und deren Wiederholung erhärtet. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers habe er sein strafbares Verhalten über einen Zeitraum von vier Jahren gesetzt und dabei fünf Straftaten begangen, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhten, was den Schluss auf eine besonders sozialschädliche Neigung zur Missachtung von Rechtsvorschriften zulasse. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers liege auch noch keineswegs so lange zurück, dass aufgrund des seither verstrichenen Zeitraums auf einen Wegfall oder eine entscheidende Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr geschlossen werden könne. Dass die Verurteilung - wie der Beschwerdeführer vorgebracht habe -

bereits getilgt sei, stehe einer Berücksichtigung der zugrunde liegenden Taten im Rahmen der Beurteilung seines Gesamtfehlverhaltens nicht entgegen.

Die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem Aufenthalt in Österreich hätten sich nicht verstärkt, zumal er seit längerer Zeit mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind in Spanien lebe und dort offenbar über einen Aufenthaltstitel verfüge. Die Eltern des Beschwerdeführers und seine Seitenverwandten hätten aber auch schon bei Erlassung des Aufenthaltsverbotes in Österreich gelebt. Die belangte Behörde vertrete daher die Auffassung, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie weniger schwer wiegen würden als die gegenläufigen öffentlichen Interessen an der Bekämpfung des Schlepperunwesens und der Verhinderung von Eigentumskriminalität. Das Aufenthaltsverbot sei daher im Hinblick auf die erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung, die nicht vor Ablauf von zehn Jahren weggefallen sein werde, aufrecht zu erhalten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorweg ist auf die Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 3 FPG zu verweisen, wonach Aufenthaltsverbote, deren Gültigkeitsdauer bei In-Kraft Treten des FPG (am 1. Jänner 2006) noch nicht abgelaufen war, als nach dem FPG erlassene Aufenthaltsverbote mit derselben Gültigkeitsdauer gelten. Das trifft auf das gegenständliche Aufenthaltsverbot zu.

Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein solcher Antrag nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist. Bei der Beurteilung nach § 65 Abs. 1 FPG ist maßgeblich, ob eine Gefährlichkeitsprognose dergestalt (weiterhin) zu treffen ist, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes erforderlich ist, um eine vom Fremden ausgehende erhebliche Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden, und ob die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 66 FPG zulässig ist. Darüber hinaus hat die Behörde auch bei dieser Entscheidung das ihr eingeräumte Ermessen zu üben (vgl. etwa das Erkenntnis vom 2. Oktober 2008, Zl. 2007/18/0244).

Die Beschwerde bestreitet vor allem, dass die Gefährdungsprognose nach einem Zeitraum von sechs Jahren und trotz der Tilgung der Verurteilung des Beschwerdeführers aufrecht zu erhalten sei. Damit ist sie im Ergebnis im Recht:

Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid erkennbar davon aus, dass in Bezug auf den Beschwerdeführer weiterhin eine Gefährdung im Sinne des § 60 Abs. 1 FPG - diese Norm entspricht im Wesentlichen § 36 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - vorliege. Danach müsste auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt sein, dass der (weitere) Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß der - im vorliegenden Fall in Betracht kommenden - Z 1 und Z 5 des § 60 Abs. 2 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht (unter anderem) zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden ist oder Schlepperei begangen oder an ihr mitgewirkt hat. Nach dem ersten Satz des § 60 Abs. 3 FPG liegt eine gemäß Abs. 2 maßgebliche Verurteilung nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist.

Vor diesem Hintergrund kommt dem Einwand des Beschwerdeführers, seine am 30. April 2001 erfolgte Verurteilung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten sei bereits getilgt, insofern Berechtigung zu, als sich die Gefährdungsprognose jedenfalls nicht mit der Verwirklichung des Tatbestandes nach der Z 1 des § 60 Abs. 2 FPG begründen lässt. Da aber bei der Z 5 der genannten Gesetzesstelle nicht auf die Tatsache der Verurteilung abgestellt wird, ließe sich hinsichtlich der angenommenen Gefährdung im vorliegenden Fall zwar mit der Erfüllung dieses Tatbestandes argumentieren. Letztlich kommt es aber bei der auf Straftaten gegründeten Gefährdungsprognose immer auf das zugrundeliegende Verhalten an und es ist auf das sich aus deren Art und Schwere ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Diesbezüglich hätte die belangte Behörde aber zu berücksichtigen gehabt, dass es sich in Bezug auf die Schlepperei um ein einmalig gebliebenes Fehlverhalten des Beschwerdeführers gehandelt hat, das überdies im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides mehr als sechs Jahre zurücklag. Im Übrigen findet die Annahme der belangten Behörde, dem Beschwerdeführer sei Schlepperei in gewerbsmäßiger und international organisierter Form zur Last gelegt worden, keine Deckung in der Aktenlage. Auch wenn die Schleppereihandlung des Beschwerdeführers in keiner Weise verharmlost werden soll, kann angesichts seines - von der belangten Behörde unbestritten gebliebenen - langjährigen Wohlverhaltens der Ansicht im bekämpften Bescheid nicht zugestimmt werden, dass der Beschwerdeführer insoweit immer noch eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Österreich darstellen würde.

Das gilt aber umso mehr für die Annahme, die Gefährdungsprognose ließe sich auf die vom Beschwerdeführer begangenen Vermögensdelikte stützen. Es entspricht zwar der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass die eingetretene Tilgung einer Berücksichtigung der einer Verurteilung zugrundeliegenden Taten im Rahmen der Beurteilung des Gesamt(fehl)verhaltens des Fremden im Sinne des § 60 Abs. 1 FPG nicht entgegenstünde (vgl. etwa das zum Fremdengesetz 1997 ergangene, auch für die aktuelle Rechtslage gültige Erkenntnis vom 12. März 2002, Zl. 2002/18/0042). Im Hinblick auf die Begehung der Betrugshandlungen und des Diebstahls im Laufe des Jahres 1997, also - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - zum Teil vor mehr als zehn Jahren, ließe sich aber darauf auch nach den Überlegungen der belangten Behörde, die einem Wegfall der Gefährdung nach Ablauf von zehn Jahren in Betracht zieht, eine noch aktuelle negative Prognose im Sinne des § 60 Abs. 1 FPG nicht gründen. Im Übrigen ist die dabei von der belangten Behörde zugrundegelegte Prämisse, der Beschwerdeführer habe sein strafbares Verhalten "über einen Zeitraum von vier Jahren gesetzt", aktenwidrig und feststellungsfremd.

Damit erweist sich die Annahme im angefochtenen Bescheid, dass gegen den Beschwerdeführer weiterhin eine maßgebliche Gefährlichkeitsprognose zu treffen sei, als nicht tragfähig (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation auch das hg. Erkenntnis vom 23. September 2004, Zl. 2001/21/0170).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 17. März 2009

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