VwGH 2007/20/0558

VwGH2007/20/05589.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hahnl, über die Beschwerden 1. der C, 2. des A und 3. der F, vertreten durch Dr. Alois M. Leeb, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Triester Straße 8, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom 3. Jänner 2007, Zlen. 305.214-C1/E1-XV/54/06 (ad 1., protokolliert zu hg. Zl. 2007/20/0558), 305.209-C1/E1-XV/54/06 (ad 2., protokolliert zu hg. Zl. 2007/20/0559), und 305.211-C1/E1- XV/54/06 (ad 3., protokolliert zu hg. Zl. 2007/20/0560), betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;
AsylG 1997 §7;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;

 

Spruch:

1. Der erst- und der drittangefochtene Bescheid werden im Umfang ihrer Anfechtung, nämlich hinsichtlich der Abweisung des beantragten Asyls gemäß § 7 Asylgesetz 1997, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

2. Der zweitangefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung, nämlich hinsichtlich der Abweisung des beantragten Asyls gemäß § 7 Asylgesetz 1997, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

3. Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt somit EUR 3.319,20, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführenden Parteien sind Mitglieder einer Familie (die Erstbeschwerdeführerin ist die Ehefrau des Zweitbeschwerdeführers; die Drittbeschwerdeführerin ist deren minderjähriges Kind) und Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit. Sie gelangten am 15. Juli 2005 in das Bundesgebiet und beantragten am selben Tag Asyl.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Zweitbeschwerdeführer in seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt im Wesentlichen an, dass es in seiner Heimat immer wieder Schießereien und Anschläge gegeben und er große Angst um seine Familie gehabt habe. Außerdem gebe es in seiner Heimat keine Arbeit und eine Beruhigung der Situation sei nicht in Sicht. Im Frühjahr 2005 sei sein jüngerer Bruder von zuhause verschleppt und etwa drei Tage lang angehalten worden; die Entführer hätten von ihm gewollt, dass er Informationen über bestimmte Leute preisgebe und für sie arbeite. Sein Bruder habe ihm nach seiner Freilassung erzählt, dass diese Leute auch ihn suchen würden. Vom Zeitpunkt der Verschleppung seines Bruders an habe sich der Zweitbeschwerdeführer an verschiedenen Orten versteckt gehalten. Der Zweitbeschwerdeführer könne sich vorstellen, dass die Bedrohung immer noch bestehe. Die Erst- und Drittbeschwerdeführerinnen machten keine eigenen Fluchtgründe geltend.

Mit Bescheiden jeweils vom 29. August 2006 wies das Bundesasylamt die Asylanträge der beschwerdeführenden Parteien gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG dorthin aus. Die Abweisung der Asylanträge begründete das Bundesasylamt im Wesentlichen damit, dass das Fluchtvorbringen des Zweitbeschwerdeführers nicht glaubwürdig sei.

Am 11. Dezember 2006 verhandelte die belangte Behörde über die gegen diese Bescheide eingebrachten Berufungen der beschwerdeführenden Parteien. Dabei wiederholte der Zweitbeschwerdeführer sein erstinstanzliches Vorbringen und führte ergänzend aus, auch seine Mutter habe ihm damals gesagt, dass man nach ihm suche; "sie" hätten im Zuge der Abholung seines Bruders nach dem Zweitbeschwerdeführer gefragt.

Mit Bescheiden jeweils vom 3. Jänner 2007 wies die belangte Behörde die Berufungen der beschwerdeführenden Parteien gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde den Berufungen gegen Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.); weiters wurde ihnen jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.). Zu den - nach den Ausführungen im zweitangefochtenen Bescheid als Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegten - Fluchtgründen des Zweitbeschwerdeführers hielt die belangte Behörde wörtlich Folgendes fest:

"Der Berufungswerber gab an während des ersten Krieges im Jahr 1995 in einem Filtrationslager angehalten worden zu sein.

Im Jahr 2000 habe er dann ca. für ein Jahr im Ministerium für außerordentliche Angelegenheiten gearbeitet und es sei seine Aufgabe gewesen, Grosny und andere Orte in Tschetschenien von Leichen zu befreien.

Er habe in diesem Zeitraum begonnen, die Leichen zu fotografieren und die Bilder an die Hilfsorganisation Memorial zum Beweis der Menschenrechtsverletzungen in seiner Heimat zu schicken. Der Berufungswerber sei von der russischen Miliz beim Fotografieren betreten worden, man habe ihm die Kamera weggenommen und er wäre gekündigt worden. Darüber hinausgehend konnten keine gegen die Person des Berufungswerbers gesetzten Handlungen festgestellt werden.

Im November 2005 seien ihm unbekannte, maskierte Männer in seine Wohnung eingedrungen, hätten ihn geschlagen und mitgenommen.

Der Berufungswerber sei im Keller der 'Abteilung 6', das ist die Bezirksstelle für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, angehalten und nur aufgrund Kautionszahlungen seiner Familie wieder frei gekommen. Als Grund für seine Festnahme vermute er einen Zusammenhang mit seinem Neffen, der im zweiten Krieg als Kämpfer tätig gewesen sei."

In Würdigung dieser Fluchtgründe führte die belangte Behörde aus, dass die behauptete Anhaltung im Jahr 1995 nicht ausgeschlossen und den geschilderten Vorfällen im Jahr 2000 Glauben geschenkt werde; konkrete Verfolgungshandlungen hätten in diesem Zusammenhang jedoch nicht festgestellt werden können. Das Vorbringen des Zweitbeschwerdeführers betreffend den Vorfall im November 2005 sei hingegen - mit näherer Begründung - unglaubwürdig.

Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide richten sich die vorliegenden - wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Zweitbeschwerdeführer macht in seiner Beschwerde unter anderem geltend, die belangte Behörde habe sich mit seinem Vorbringen in der Berufung, wonach er tschetschenische Widerstandskämpfer unterstützt habe und dies allein schon für die Behörden ausreichen würde, um eine Gefahr darzustellen, nicht auseinander gesetzt; es wäre Aufgabe der belangten Behörde gewesen, sich mit allen seinen Fluchtgründen auseinander zu setzen. Mit diesem Vorbringen spricht die Beschwerde zumindest im Ergebnis einen relevanten Verfahrensmangel an.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung ein Fluchtvorbringen zugrunde, das der Zweitbeschwerdeführer - wie sich aus dem eingangs geschilderten Verfahrensgang ergibt - in seinem Asylverfahren nie erstattet hat. Die Relevanz dieser Aktenwidrigkeit ist schon deshalb nicht auszuschließen, weil sich die belangte Behörde mit den (tatsächlich vorgebrachten) Fluchtgründen des Zweitbeschwerdeführers inhaltlich nicht auseinander setzte.

Der zweitangefochtene Bescheid war daher im bekämpften Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG aufzuheben.

Dieser Umstand schlägt gemäß § 10 Abs. 5 AsylG auch auf das Verfahren der Erst- und Drittbeschwerdeführerinnen durch (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. April 2006, Zlen. 2005/01/0556 bis 0560). Die sie betreffenden Bescheide der belangten Behörde waren daher im bekämpften Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 9. September 2010

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